Pressemitteilung | Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ)

36. Kinder- und Jugend-Ärztetag 2006 - Presseerklärung (1)

(Köln) - Kinder- und Jugendärzte wollen ihre Patienten in Klinik und Praxis auch in Zukunft nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ohne Einschränkungen durch Fallpauschalen im Krankenhaus (DRG) und Budgets im ambulanten Versorgungsbereich, ohne ständige Regressdrohungen, ohne den überbordenden Bürokratismus auf allen Ebenen qualifiziert versorgen.

Es geht nicht an,

- dass die Resolution aller Fraktionen des Deutschen Bundestages vom Juni 2002 zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen weiterhin vorwiegend nur auf dem Papier steht und nicht umgesetzt wird,

- dass Kinder und Jugendliche entgegen den Beschlüssen der Gesundheitsministerkonferenz vom November 1997 immer noch in Betten für Erwachsene liegen und nicht von Fachärzten für Kinder- und Jugendmedizin und entsprechend qualifiziertem Personal betreut werden,

- dass die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit seltenen und/oder chronischen Erkrankungen durch Spezialisten nicht mehr sicher gestellt ist,

- dass Jugendliche ab dem vollendeten 12. Lebensjahr einen Teil ihrer zum medizinischen Standard gehörenden Medikamente aus eigener Tasche bezahlen müssen und somit der Chronifizierung von Erkrankungen Vorschub geleistet wird,

- dass Kinder im Alter zwischen 6 und 10 Jahren keinen Anspruch auf gesetzliche Früherkennungsuntersuchungen haben,

- dass man nach deutschen Vertragsarztrecht zwar Krankheiten behandeln und früh erkennen aber nicht verhindern darf (primäre Prävention),

- dass man Früherkennungsuntersuchungen bei Kindern ohne Nachweis einer entsprechenden Weiterbildung im Fach Kinder- und Jugendmedizin abrechnen darf,

- dass sich das Augenmerk der Politik fast ausschließlich auf die hausärztliche Versorgung der Bevölkerung durch Allgemeinmediziner richtet, dabei aber vergessen wird, dass Kinder und Jugendliche mit ihren Besonderheiten der Entwicklung, der Erkrankungen und deren Therapie auch im hausärztlichen Versorgungsbereich am besten durch entsprechend weitergebildete Kinder- und Jugendärzte versorgt werden,

- dass die medikamentöse Versorgung von Kindern zu einem großen Teil illegal durchgeführt werden muss, weil viele wichtige Arzneimittel, die auch in der Behandlung von Kindern mit schweren und/oder chronischen Erkrankungen Standard sind, für diese Altersgruppe keine Zulassung haben und wir Kinder- und Jugendärzte ständig mit den Damoklesschwert der Weigerung der Krankenkassen zur Kostenübernahme leben müssen, was ein unzumutbares finanzielles Risiko darstellt,

- dass es die Politik als selbstverständlich ansieht, dass die Ärzteschaft das Gesundheitssystem in Deutschland mit jährlich 10 Milliarden € durch unbezahlte Leistungen subventioniert,

- dass wir Vertragsärzte für unsere Leistungen nur in Punkten mit von Bundesland zu Bundesland völlig unterschiedlichen Punktwerten für die gleiche Leistung honoriert werden und in vielen Fällen unsere Praxen nur noch durch Privateinnahmen über Wasser halten können,

- dass wir wegen der unzureichenden Finanzierung reihenweise qualifizierte Mitarbeiterinnen entlassen müssen und keine Ausbildungsplätze anbieten können, obwohl das Gesundheitssystem die Branche mit den größten Wachstumschancen ist,

- dass es auch bei den Kinder- und Jugendärzten einen zunehmenden Nachwuchsmangel durch Schließung von Kinderkliniken und fehlender Förderung der Weiterbildung in den Praxen niedergelassener Kinder- und Jugendärzte analog der allgemeinmedizinischen Weiterbildung gibt,

- dass der jugendmedizinische Dienst im Öffentlichen Gesundheitsdienst weiterhin abgebaut wird und man sich somit der großen Chance beraubt, angesichts der zunehmenden Zahl von Kindesvernachlässigungen und Kindesmisshandlungen aufsuchende und vernetzte Gesundheitsfürsorge zu betreiben,

- dass ca. 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland an der Armutsgrenze leben,

- dass ca. 200.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland keinen Krankenversicherungsschutz haben,

- dass wir immer noch kein nationales Impfkonzept haben, in dem wir festlegen, mit welchen Mitteln wir die Vorgaben der WHO zur Ausrottung von Masern und Kinderlähmung bis 2010 erfüllen können, wobei Bayern die niedrigste Durchimpfungsrate aller Bundesländer aufweist,

- dass die Krankenkassen immer noch frei entscheiden können, ob sie die Impfempfehlungen der STIKO umsetzen oder nicht und somit die Durchimpfungsraten von Kindern auch vom Geldbeutel und der Einsichtsfähigkeit der Eltern abhängen,

- dass die Bundesregierung und die Landesregierungen es immer noch nicht geschafft haben, Kinder und Jugendliche im Gegensatz zu vielen europäischen Nachbarländern vor den Schäden durch Rauchen und Passivrauchen durch entsprechende Verbote wirksam zu schützen,

- dass in Deutschland Jugendliche bereits ab 16 Jahren legal Alkohol kaufen und konsumieren dürfen, weil die Politik vor der übermächtigen Bierindustrie kuscht.


Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat sich gerade in den letzten Monaten auf allen Ebenen für das Wohl von Kindern und Jugendlichen eingesetzt,

- für enge interdisziplinäre Netzwerke zur Früherkennung und Vermeidung von Kindesmisshandlung und –vernachlässigung, wobei verpflichtende Früherkennungsuntersuchungen und ein Ausbau sowie eine inhaltliche Neugestaltung des bestehenden Früherkennungsprogramms ein Teil dieses Präventionsnetzes ist,

- für ein nationales Impfkonzept mit dem Nachweis vollständiger Impfungen gemäß den aktuellen Empfehlungen der STIKO vor Aufnahme in vorwiegend öffentlich finanzierte Gemeinschaftseinrichtungen,

- für ein wirksames Konzept zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor legalen und illegalen Drogen,

- für ein Verbot von höchst unfallträchtigen Lauflernhilfen für Kleinstkinder,

- für einen Ausbau von qualifiziert geführten Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen für alle Kinder spätestens ab dem vollendeten 3. Lebensjahr,

- für einen wirksamen Schutz von Kindern vor den negativen Einflüssen übermäßigen Fernseh- und Medienkonsums (Stichwort: Fernsehprogramm für Zuschauer von 0- 2 Jahren bei Super-RTL),

- für wirksame Präventionskonzepte zur Vermeidung der Adipositas mit all ihren schwerwiegenden Folgen durch Förderung von Bewegung und gesunder Ernährung im Alltag der Kinder und Jugendlichen,

- für mehr Kinderfreundlichkeit unserer Gesellschaft.

Was unsere eigenen Zukunftschancen anbelangt, so finden viele Kolleginnen und Kollegen inzwischen keinen Praxisnachfolger mehr, regional ist auch im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin mit zunehmenden Versorgungslücken zu rechnen.

Bei den Hausärzten sieht die Situation wesentlich dramatischer aus. Deshalb ist es notwendig, im hausärztlichen Versorgungsbereich, zu dem wir ja zählen, eine Aufgabenteilung vorzunehmen und sich nicht gegenseitig das Leben schwer zu machen.

Die Domäne der Hausarztmedizin ist die Versorgung von älteren Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen, mit Demenz, es sind die Pflegefälle sowie die Palliativmedizin, Schmerztherapie und Altenheimbetreuung. Für eine qualifizierte Betreuung von Kindern und Jugendlichen fehlen den Hausärzten eingehende Kenntnisse und Zeit.

Deshalb müssen Kinder- und Jugendärzte in ihrer Zuständigkeit für die Altersgruppe bis zum vollendeten 18. Lebensjahr auch politisch wirksam gestärkt werden. Kooperationsmodelle mit Allgemeinärzten sind besonders in der Fläche durchaus denkbar und sinnvoll. Auch die Akutversorgung von Kindern und Jugendlichen muss wohnortnah in Zusammenarbeit mit den Hausärzten gesichert werden, aber die spezifische pädiatrische Versorgung (Vorsorgeuntersuchungen, Entwicklungsstörungen, chronisch-kranke Kinder und Jugendliche) gehört in die Hände von entsprechend weitergebildeten Kinder- und Jugendärzten.

Wir werden aber auch weiterhin öffentlich protestieren und unsere Patienten informieren, wenn es der großen Koalition nicht gelingt, die uns unter den Nägeln brennenden Probleme des Gesundheitswesens mit vereinten Kräften nachhaltig zu lösen. Wir haben mit das beste Potential in der Welt, diese Chance darf nicht kurzsichtigen Parteiinteressen geopfert werden. Hier ist Verantwortung für das Ganze gefragt! Wir sind immer bereit, konstruktiv mitzuwirken.

Quelle und Kontaktadresse:
Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ) Pressestelle Mielenforster Str. 2, 51069 Köln Telefon: (0221) 689090, Telefax: (0221) 683204

(bl)

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