Pressemitteilung | Deutscher Städtetag - Hauptgeschäftsstelle Berlin

Abschluss der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Berlin / Städte fordern Gemeindefinanzreform, mehr Rechte für die Kommunen und neue Formen der Kooperation

(Berlin) - Drei Kernforderungen haben die deutschen Städte zum Abschluss der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Berlin erhoben: Eine Gemeindefinanzreform soll die strukturellen Finanzprobleme der Städte an der Wurzel bekämpfen. Eine Föderalismusreform soll um substantielle Rechte der Kommunen gegenüber Bund und Ländern in Gesetzgebungsverfahren ergänzt werden, damit sie sich wirksam zur Wehr setzen können. Neue Formen der Kooperation und Arbeitsteilung zwischen Bund, Ländern und Städten sollen die öffentlichen Dienstleistungssysteme sanieren und modernisieren helfen, um etwa die Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen, die Betreuung von Kindern, die Hilfen für Behinderte und die Integration von Zuwanderern effizienter und besser zu gewährleisten.

Mit Blick auf die Gemeindefinanzen sagte der neue Präsident des Deutschen Städtetages, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, heute nach seiner Wahl: „Wir wären von allen guten Geistern verlassen, wenn wir die Gewerbesteuer zur Disposition stellen würden. Woher soll denn der gleichwertige Ersatz kommen, der treuherzig immer in Aussicht gestellt wird? Von der Einkommenssteuer? Das wäre verteilungspolitisch eine enorme Entlastung gewinnstarker Unternehmen zu Lasten der Berufstätigen – ein tolles Steuererhöhungsprogramm für alle Lohn- und Einkommensteuerzahler, zu dem sich niemand bekennen wird.“

Eine Fehlkonstruktion nannte Ude die Tatsache, dass die Kommunen zwar die meisten Bundesgesetze administrieren müssen, aber am Zustandekommen nicht beteiligt werden: „Im bürgerlichen Leben wären das unwirksame Verträge zu Lasten Dritter, aber im Verfassungsrecht sind wir keine Dritten, sondern die Dummen.“ Durch die Beteiligung der Kommunen könne die Gesetzgebung nur lebenswerter und vollzugstauglicher werden. Für den Neuanfang zur Föderalismusreform forderte der Städtetagspräsident daher: „Wenn wir aus den Krisen der vergangenen Jahre wirklich Konsequenzen ziehen wollen, dann müssen die Beteiligungsrechte der Kommunen nicht nur in Grußbotschaften vorkommen, sondern endlich auch im Text des Grundgesetzes.“

Als richtig bezeichnete Ude das im Hartz IV-Gesetz verankerte Engagement des Bundes bei der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit. Der Städtetag habe seit vielen Jahren gefordert, dass Lasten der Dauerarbeitslosigkeit nicht auf die Kommunen abgewälzt werden dürfen, wie es vor Hartz IV der Fall war: „Jetzt darf es auf keinen Fall eine Rekommunalisierung dieses Themas geben.“

Von der europäischen Ebene forderte der neue Präsident im Hinblick auf die kommunale Daseinsvorsorge „faire Chancen für die kommunale Selbstverwaltung. Sie darf den Städten nicht gegen ihren Willen aus der Hand gewunden werden.“ Auch das bewährte öffentlich-rechtliche Sparkassenwesen müsse gegen Privatisierungsbestrebungen verteidigt werden.

Die Hauptversammlung verabschiedete nach Beratungen in sieben Fachforen ein Thesenpapier „Die Zukunft liegt in den Städten: Neue Formen der Kooperation und Arbeitsteilung“. Am Abend vorher hatten rund 1800 Delegierte und Gäste im Konzerthaus Berlin in einem Festakt „100 Jahre Deutscher Städtetag“ das Jubiläum des Verbandes gefeiert. Bundespräsident Horst Köhler betonte: „Die Föderalismusreform liegt auf Eis. Ich hoffe, da bleibt frisch, was bisher an Vernünftigem erreicht wurde. Und dazu gehört aus meiner Sicht unbedingt die Durchsetzung des Grundsatzes ‚Wer bestellt, bezahlt.’“ Der Bundespräsident nannte es zugleich sinnvoll, bei den weiteren Verhandlungen über die Föderalismusreform auch über eine nachhaltige Gemeindefinanzreform nachzudenken.

Der Regierende Bürgermeister der gastgebenden Stadt Berlin, Klaus Wowereit, erklärte: „Die Städte haben eine Vielzahl drängender Probleme, und wenn man an die Finanzlage denkt, sind sie auch existentiell. Aber unsere Städte haben zugleich enorme Potentiale und Stärken. Unsere Städte sind attraktiv. In unseren Städten entscheiden sich wichtige Zukunftsthemen wie Immigration und Integration, Bildung, Infrastruktur, Wirtschaft und Wissenschaft. Deshalb müssen wir in unserem Land die kommunale Selbstverwaltung hochhalten und stärken.“

Ausgangspunkt für das Thesenpapier zu neuen Formen der Kooperation und Arbeitsteilung ist der Befund, dass die öffentlichen Dienstleistungssysteme wie die Ganztagsbetreuung, die Bildung oder die Hilfen für Langzeitarbeitslose unter chronischen Finanzierungsproblemen, aber auch vielfach unter deutlichen Qualitätsmängeln zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger leiden. Reformbedürftig sind die bestehenden Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Gemeinden außerdem,

- weil die Bürger nicht mehr erkennen können, wer für was verantwortlich ist,
- weil die Kosten nicht die gleiche Ebene trägt, die kostenverursachende Entscheidungen trifft und
- weil durch immer weiter wachsende Belastungen die Gestaltungskraft der Städte für ihre originären Aufgaben geschwächt wird.

Die in Berlin zur Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages gewählte Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth sagte: „Die Städte sind am besten befähigt, persönliche Hilfen für Sozialhilfeempfänger, Asylsuchende, Langzeitarbeitslose oder Behinderte zu erbringen. Denn die Städte sind nah an diesen Menschen dran. Aber unsere heutigen Leistungssysteme sind so falsch gestrickt, dass die Kommunen bisher vor der Übernahme einer klaren Verantwortung für die persönliche Hilfe zurückschrecken, weil ihnen meistens gleich die ganze Finanzierung aufgeladen wird.“ Bei Hartz IV sei erstmals versucht worden, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, indem der Bund die Verantwortung für die Geldleistungen an die Langzeitarbeitslosen übernimmt und die Kommunen für die persönlichen Hilfen wie Sucht- oder Schuldnerberatung zuständig sind.

„Neue Formen der Kooperation bedürfen einer stärkeren politischen Aufgeschlossenheit bei Bund und Ländern. Darüber hinaus sind Änderungen der rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Grundlagen im Verhältnis zwischen den drei Verwaltungsebenen des Bundesstaates erforderlich“, sagte die Vizepräsidentin.

Der Deutsche Städtetag fordert im einzelnen unter anderem:

- Es muss der Zustand beseitigt werden, dass alle an allem mitwirken. Es dürfen nur diejenigen staatlichen oder kommunalen Akteure an einem Dienstleistungssystem beteiligt werden, deren Einsatz auch zwingend erforderlich ist. So stellt sich zunächst die Frage, ob überhaupt eine Beteiligung der öffentlichen Hand erforderlich ist, oder ob eine Dienstleistung nicht auch durch den privaten Sektor erfolgen kann.

- Der Bund sollte die Finanzierung einer Aufgabe übernehmen
oder daran beteiligt sein können, ohne wie etwa bei Hartz IV gleichzeitig sämtliche Details des operativen Geschäftes über fachliche Weisungen bestimmen zu können. An die Stelle von Weisungen könnte auch eine Steuerung über Zielvereinbarungen treten, um eine Kooperation auf gleicher Augenhöhe zu sichern.

- Bund und Städte und Gemeinden sollten unmittelbar miteinander kooperieren können. Denn die im Grundgesetz angelegte Sichtweise der Städte als Bestandteil der Länder ist ein Modernisierungshindernis, weil so eine effiziente Arbeitsteilung zwischen Bund und Städten von den Ländern durch eine ständige Bevormundung unmöglich gemacht wird.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Dr. Stephan Articus, sagte: „Unter dem Druck eigener Finanznöte behandeln Bund und Länder unsere Forderungen nach einer Gemeindefinanzreform und zur Föderalismusreform offensichtlich als unbeachtliche Interessen Dritter. Das aber ist ein großer Irrtum. Deshalb müssen wir als Städte deutlich machen, dass unsere Anliegen auch Kernanliegen des Bundes und der Länder sind.“ Die großen öffentlichen Dienstleistungssysteme, die Bund und Länder per Gesetz gestalten, die aber ganz oder zu großen Teilen von den Kommunen ausgeführt werden, müssten besser werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Städtetag, Hauptgeschäftsstelle Berlin Straße des 17. Juni 112, 10623 Berlin Telefon: 030/377110, Telefax: 030/37711999

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