Pressemitteilung | Milchindustrie-Verband e.V. (MIV)

Der letzte Geburtstag der Milchquote

(Berlin) - Die europäische Milchquote wurde 1984 in Brüssel geboren und soll nächstes Jahr am 31.03.2015 auslaufen. Grund genug für eine Rückschau vom ehemaligen Leiter des Milchreferates bei der Zentrale Markt- und Preisberichtstelle (ZMP)-Bonn Erhard Richarts.

30 Jahre Milchquoten, eine Rückschau

Im Endspurt zeigt sich das Milchquotensystem wieder unerbittlich, und sein dreißigster Geburtstag am 1. April 2014 wird in Brüssel nicht zum Anlass genommen, vielfach gewünschte Milde zu zeigen. Gleichwohl lohnt es sich, eine Rückschau auf seine Anfänge und seinen Verlauf zu halten. Da die Darstellung der vielen Details Bände füllen würde, kann dies auf den folgenden Seiten nur in groben Strichen erfolgen.

Beschlossen wurden die Quoten nach äußerst zähen Verhandlungen im Rat der damaligen EG-Agrarminister am 2. April 1984. Sie wurden dann mit Wirkung ab dem 1. April und zunächst als Notmaßnahme für vier Jahre in Kraft gesetzt. Vorausgegangen waren lange Diskussionen: Immerhin hatte schon in den Jahren 1969 und 1970 eine Arbeitsgruppe im Zentralausschuss der Deutschen Landwirtschaft Überlegungen dazu angestellt. Mit Kontingenten sollte das Problem der Überschüsse am Milchmarkt auf ein erträgliches Maß reduziert und mehr Spielraum für die Preispolitik gewonnen werden. Große Überschüsse waren in Form von hohen Lagerbeständen an Butter und Magermilchpulver aufgelaufen. Zwar sind zum Ausgleich von saisonalen und sonstigen Angebotsschwankungen Vorräte durchaus sinnvoll. Da sie seinerzeit erheblich über das übliche und notwendige Maß hinausgingen, sprach man von einem "strukturellen" Überschuss. Diesem hinzuzurechnen waren außerdem große Mengen an Milchprodukten, für die Export- oder Verbrauchsbeihilfen gezahlt wurden. Mit der Übernahme von vollen Garantien für politisch festgesetzte Preise musste die Agrarpolitik die Verwertung der Überschussproduktion finanzieren. Dafür standen zwar reichliche, aber eben nicht unbegrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Da es keine Obergrenze für die im Preis garantierten Mengen gab, drohte eine steigende Produktion den Haushalt der EWG (später EG und EU) zu sprengen.

Die finanzielle Last behinderte auch das vielfach von der EWG-Agrarpolitik erhoffte Ziel einer "aktiven Preispolitik", die es den Landwirten in den frühen Jahren der EWG-Marktordnungen ermöglichen sollte, an dem allgemeinen Wachstum der Realeinkommen teilzunehmen. Allerdings wurden auch unter diesen Bedingungen Preiserhöhungen durchgesetzt, die vielen Milcherzeugern noch Anreize zur Ausweitung der Produktion boten; hinzu kamen die Fortschritte in der Rinderzucht und -haltung. Mäßige und nur kurzfristige Erfolge hatten im Gegenzug durchgeführte Abschlacht- und Nichtvermarktungsaktionen, die vielen Landwirten Anreiz boten, die Milchviehhaltung aufzugeben und dadurch die Entstehung von neuen Überschüssen zu begrenzen.

Auf teilweise abenteuerliche Art und Weise mussten die schon bestehenden Überschüsse auf verwertet werden: Z.B. durch die damaligen Exportbeihilfen, die oft mehr als der Hälfte des Warenwertes in der EWG entsprachen. In Einzelfällen wie den legendären Butterlieferungen in die Sowjetunion kamen diese schon mal mit ca. 90 Prozent fast einer Verschenkung gleich. Dabei ging es manchmal um 100.000 oder 200.000 Tonnen auf einmal, Deals, die allein schon Hunderte von Millionen an Kosten verursachten. Kostspielig waren ebenfalls die Beihilfen für die interne Verwertung von Butter und Magermilch, mit denen diese dann in vielen Anwendungen in der Lebensmittel- und Futtermittelindustrie gegenüber anderen Fetten und Eiweißträgern konkurrieren konnten.

Über dem Marktgleichgewicht: Administrative Preise

Immerhin ließ sich mit diesen Maßnahmen über ein Jahrzehnt der Markt mühsam in einer Art von Gleichgewicht halten. Mit Herz für die Landwirtschaft war der damalige Landwirtschaftsminister Ertl mit einer dirigistischen Preispolitik, die administrative Preise oberhalb des Marktgleichgewichtes festsetzte, durchaus einverstanden. Und in den jährlichen Agrarpreisverhandlungen des Ministerrats hat er stets dafür gesorgt, dass aufgrund der Währungsproblematik im ungünstigsten Fall eine Nullrunde für die deutschen Landwirte herauskam, was mit dazu beitrug, dass Marktordnungspreise nur noch wenig mit dem Marktgleichgewicht zu tun hatten. Als Liberaler wäre er vermutlich mit der Kontingentierung als weiterem dirigistischem Instrument nicht einverstanden gewesen.

Daher änderten sich die politischen Bedingungen erst, als Ignaz Kiechle in Bonn das Landwirtschaftsressort übernahm und sich gleichzeitig die Überschusslage mit über einer Million Tonnen an eingelagerten Beständen dramatisch zugespitzt hatte. Von der EG-Kommission ausgearbeitete Pläne wurden, wie erwähnt, Anfang April 1984 durch den Ministerrat beschlossen und durch Kommission und nationale Regierungen umgesetzt. Mit Milchquoten stand die EG nicht allein: In der Schweiz, Schweden und Kanada existierten ähnliche Regelungen, und innerhalb der EG war die Rübenzuckerproduktion kontingentiert.

Garantiemengenregelung mit unterschiedlichen Zielen

Als Ziel der Regelung wurde von Seiten der Erzeuger und vieler Agrarpolitiker die Stabilisierung und Erhöhung des Milchpreises angesehen. Für die EG-Kommission stand dagegen die Stabilisierung und Verringerung der Ausgaben für die Marktordnungen im Vordergrund. Zunächst wurde dann dem System der Name "Garantiemengenregelung" verliehen, weil mit ihm die Preisgarantien auf festgelegte Mengen begrenzt wurden.

Beschlossen wurde eine globale Garantiemenge für die EG, diese wurde auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt. Die weitere Verteilung auf einzelne Erzeuger oder Molkereien war Aufgabe der Mitgliedstaaten. Genannt wurden die Quoten "Referenzmengen", weil man die Milchanlieferungen des Jahres 1983, gekürzt um 9 Prozent, als Referenz nahm. Um 7 Prozent wurden diese Mengen für die einzelnen Erzeuger bzw. Molkereien gegenüber den Anlieferungen des Jahres 1983 gekürzt, der Rest wurde durch ein Programm zur Stilllegung erzielt. Über diese Referenzmengen hinaus gehende Milchverkäufe wurden mit der Superabgabe belegt, die eine Überschreitung unrentabel machen sollte.

Die Zuteilung: Bauchladen und SLOM

Den für die Beschlüsse zuständigen Rat der Agrarminister der Mitgliedstaaten hatte unter anderem die Scheckbuchpolitik der Regierung Kohl überzeugt, so z.B. der Beitrittsrabatt für die Briten. In Italien setzte man möglicherweise darauf, dass das System dort im Dickicht der administrativen Kompetenzen versickern würde. Die Illusion, dass die Bundesrepublik Deutschland Musterschüler bei der Durchführung sein würde, wurde durch das Erscheinen des "Bauchladens" erschüttert.

In Grenzen hielt sich die Einsicht bei den Milcherzeugern: Viele waren mit ihren Quoten unzufrieden, was zu Protesten führte. Besonders schwierig erwies sich die Zuteilung für Milcherzeuger, wenn sie in Expansion schon investiert hatten und diese nicht realisieren konnten, und andere, wenn sie 1983 Pech im Kuhstall hatten und die Referenz dann zu niedrig war. Ganz ausgeschlossen waren Teilnehmer an der Nichtvermarktungsaktion des Jahres 1978 (SLOM-Erzeuger). Sie hatten sich für mehrere Jahre verpflichtet, keine Milch zu verkaufen, denn mit 1983 als Bezugszeitraum standen sie dann mit Nullreferenz da. Für sie zog sich der juristische Streit über Jahre hin, bis sie Quoten erhielten und entschädigt wurden.

Für Aufstockungswillige und Pechvögel wurden nationale Härteregelungen getroffen. In Deutschland war man bei der Regelung von Härten durch die Bundesländer zu großzügig, so dass am Ende bei rund 22 Mio. Tonnen an nationaler Referenzmenge 0,9 Mio. Tonnen zu viel zugeteilt waren. Dieser im Jargon genannte "Bauchladen" erlaubte es zunächst nicht, das System in Deutschland im Sinne von aufstockungswilligen, zumeist jungen Betriebsleitern flexibler zu gestalten. Erst durch eine über mehrere Jahre laufende Aktion zum Herauskauf von Referenzmengen konnte dieser Mangel behoben werden. Zahlreiche komplizierte Regelungen waren für Betriebsübergaben, Erbfälle, Pacht, Verkauf etc. zu treffen. Alles in allem erwies sich das System als ein unfreiwilliges Beschäftigungsprogramm, oblag und obliegt die Durchführung der Regelungen nicht nur Behörden und Verbänden, sondern soweit es die Berechnung von Referenzmengen und Superabgaben betraf, den Molkereien.

Weitere Kürzungen und die Fettkorrektur

Ebenfalls erschwert wurden flexiblere Regelungen im Sinne der Milchlieferanten in der zweiten Hälfte der achtziger Jahr durch wachsende Lagerbestände an Butter auf über 1,5 Mio. und bei Magermilchpulver auf über 0,6 Mio. Tonnen, weil die EU zeitweise weniger exportieren konnte. Weitere Kürzungen waren erforderlich: Beschlossen wurde 1988 eine Kürzung der EU-Quoten um 6 Prozent. Davon wurden im weiteren Verlauf nur 4 Prozent realisiert, weil sich der Binnenmarkt der EU als zunehmend aufnahmefähig erwies.

Das Wachstum der Butterbestände war unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass viele Milcherzeuger durch Zuchtwahl und geeignete Futtermittel auf die Erhöhung der Fettgehalte gesetzt hatten, um trotz limitierter Mengen einen höheren Erlös an Milchgeld zu erzielen. Damit sah man auf Seiten der Politik die Ziele der Quoten gefährdet, entsprechend wurde dann die Fettkorrektur mit der Festsetzung von Referenzfettgehalten eingeführt. Damit wurde das System effizienter, aber eben auch noch komplizierter.

Höhere Preise und Quotenhandel

Schließlich wurde durch die verschiedenen Maßnahmen ein Zustand erreicht, der die Belastungen der Agrarpolitik in einem bezahlbaren Rahmen hielt und den Milchpreisen ab 1988 mehr Spielraum nach oben verschaffte. Während in den Jahren von 1968 bis 1986 die Milchpreise wegen des Drucks der Überschüsse immer unter dem als politisches Ziel formulierten Richtpreis gelegen hatten, bewegten sie sich in der Folge dann etwas darüber.

Milchpreis und Absicherung durch die Intervention in Deutschland

Mit der Beseitigung des "Bauchladens" konnten dann auch in Deutschland flexiblere Regelungen zum Erwerb, Verkauf, Verpachtung und Leasing von Milchquoten eingeführt werden. Es entwickelte sich ein Markt für Milchquoten, in dem je nach Region und Übertragungsfall sehr unterschiedliche Preise beobachtet wurden. Weitgehend eingeschränkt blieb noch der überregionale Handel, dieser kam erst später nach der Einführung der Milchquotenbörsen in Gang. Der strukturelle Wandel setzte sich fort mit dem Ergebnis, dass ein immer höherer Anteil der Milcherzeugung auch mit Kosten für den Erwerb von Milchquoten belastet wurde, die den Vorteilen der zunächst nur nach oben gegebenen Preisvolatilität gegenüber zu stellen waren. Schließlich hat der überregionale Quotenhandel zu einer begrenzten Verschiebung der Milcherzeugung vom Süden Deutschlands nach dem Norden und Westen geführt.

Als Glücksfall für viele Milcherzeuger erwies sich die Deutsche Einheit ab 1990. Die in Ostdeutschland zugeteilten Milchquoten boten in der Mehrzahl der vergangenen 23 Jahre reichlich Spielraum durch nicht voll genutzte Quoten, mit denen Überlieferungen im Westen zu großen Teilen oder ganz wegsaldiert werden konnten. Prognostische Tipps waren immer sehr gefragt, waren allerdings mit hohem Risiko verbunden. Überlieferung war daher ein Ding für Spielernaturen. Meistens hat sie sich gelohnt, aber eben nicht immer.

Eine Frage des Standpunktes: Die weiche Landung?

In diesem Jahr fällt die Superabgabenbelastung besonders hoch aus. Daher enden die Quoten nicht für alle Erzeuger mit einer weichen Landung. Hinzu kommt das mögliche Ende der derzeitigen Hochpreisphase Anfang 2015, was aber eher ein Zufall als eine Folge des Quotenendes ist. Die Volatilität der Preise ab 2008 unter das traditionelle Niveau der Marktstützung ist den ab 2004 eingetretenen Reformen zuzuschreiben. Dass diese Reformen erst zehn Jahre später als in anderen Agrarmärkten der EU eingeführt wurden, hatte immerhin das Quotensystem bewirkt. Denn die staatlichen Kosten der Milchmarktordnung in Form von Ausgaben für Interventionen, Exporterstattungen und sonstige Beihilfen sind durch die Quoten maßgeblich verringert worden. Seit über zehn Jahren spielt das bescheidene Wachstum von Märkten innerhalb und das kräftige Wachstum außerhalb der EU eine entscheidende Rolle. Da die Milchmarktordnung der EU faktisch keine Kosten mehr verursacht, wird die Sinnhaftigkeit des Quotensystems schon vor seinem Ende vermehrt in Frage gestellt. Doch sieht man die Situation in manchen anderen Mitgliedstaaten anders, vor allem dort, wo die Milchproduktion in den vergangenen Jahren kaum gestiegen ist: Man erinnert sich daran, dass Deutschland 1984 maßgeblich die Einführung betrieben hat.

Weitere Informationen rund um Milch finden Sie unter
www.milchindustrie.de
www.meine-milch.de

Quelle und Kontaktadresse:
Milchindustrie Verband e.V. (MIV) Pressestelle Jägerstr. 51, 10117 Berlin Telefon: (030) 4030445-31, Fax: (0228) 371535

(cl)

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