Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Deutsche studieren seltener / IW Köln vergleicht Bildungsbeteiligung in 20 Industrieländern

(Köln) - Eine hoch industrialisierte Volkswirtschaft, die mit Rohstoffen nicht reich gesegnet ist, braucht vor allem eins: Spitzenkräfte. In Deutschland ist es mit der so genannten Humankapitalausstattung allerdings nicht mehr so weit her wie in vergleichbaren Industrienationen. Zwar wird hierzulande viel und auch gut in der Breite ausgebildet, und die duale Berufsbildung zählt zu den Stärken des deutschen Bildungssystems. Dieses bringt jedoch im Vergleich zu anderen Ländern insgesamt nicht genügend Hochqualifizierte hervor. Das könnte dem Standort Deutschland auf Dauer zu schaffen machen.

Wissen wird häufig als die entscheidende Ressource des 21. Jahrhunderts bezeichnet. Wie gut eine Gesellschaft für die Herausforderungen der Wissensgesellschaft gewappnet ist, hängt daher ganz wesentlich von seinem Bildungssystem ab. Dies muss so gestaltet sein, dass es zum einen möglichst vielen Menschen grundlegende Qualifikationen vermittelt. Zum anderen muss es in ausreichender Zahl kluge Köpfe hervorbringen, die die Innovationen und Produkte von morgen auf den Weg bringen.

Fast überall erhalten die jungen Menschen in den Industrieländern heutzutage ein gutes Starter-Paket für das Leben: In den meisten der vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln untersuchten 20 Länder haben fast alle Jugendlichen bis zum Alter von mindestens 16 Jahren Zugang zu einer Bildung mit einem qualifizierten Abschluss.

Dass die Bildungssysteme von Land zu Land sehr verschieden organisiert sind,
erklärt mit, warum es im Detail dann mal schneller und mal langsamer geht:

– In Frankreich, Belgien, Italien und Spanien ist die Bildungsbeteiligung höher, weil die Kinder schon ab drei Jahren obligatorisch die Vorschule besuchen.

– In Belgien, Deutschland und den Niederlanden sorgt die Schulpflicht dafür, dass die Mehrheit der Jugendlichen bis zum Alter von 18 oder 19 Jahren im Bildungssystem verbleibt.

– In den skandinavischen und angelsächsischen Ländern ist die Nachfrage nach akademischen Qualifikationen sehr ausgeprägt – dort sind ein Fünftel und mehr der 20- bis 30-Jährigen in der Ausbildung.

In neun der 20 vom IW betrachteten Länder fällt die Bildungsbeteiligung nach dem 18. Lebensjahr von durchschnittlich 76 Prozent auf 31 Prozent ab. Die Jugendlichen haben zu diesem Zeitpunkt die weiterführende Schule abgeschlossen und wenden das erworbene Wissen nun im Job an.

In Deutschland sinkt die Quote erst nach dem 19. Lebensjahr von 91 Prozent auf 18 Prozent. Zu dieser „Verlängerung“ trägt bei, dass die Einschulung hierzulande später erfolgt und die Oberschüler erst nach 13 Schuljahren ihr Abiturzeugnis in der Tasche haben. Mehr als das eine Jährchen Unterschied fällt ein anderes Faktum ins Auge: In Deutschland erwarb im Jahr 2000 ein Drittel der Jugendlichen im typischen Abschlussalter eine Hochschulzugangsberechtigung – quer durch alle beobachteten Länder waren es 57 Prozent.

In elf von 19 Ländern streben im Schnitt sogar drei Viertel der jungen Leute einen akademischen Abschluss an. In Deutschland absolvieren dagegen rund zwei Drittel eines Jahrgangs eine Berufsausbildung im dualen System. Das hat zur Folge, dass man hierzulande bei den mittleren Qualifikationen viele Pluspunkte sammelt: Mit knapp 60 Prozent gibt es einen überdurchschnittlich hohen Anteil der 25- bis 64-jährigen Bevölkerung mit Hochschulzugangsberechtigung bzw. abgeschlossener Berufsausbildung.

In Österreich, der Schweiz und Dänemark sieht dies ähnlich aus – sämtlich Länder, die über gut ausgebaute duale Berufsbildungssysteme verfügen. Zwar hat sich das traditionell hohe Bildungsniveau in Deutschland in den vergangenen Generationen weiter gesteigert und liegt nach wie vor über dem internationalen Mittelwert: Von den 55- bis 64-Jährigen haben etwas mehr als drei Viertel mindestens einen Abschluss im Sekundarbereich II, bei den 25- bis 34-Jährigen sind es schon knapp 86 Prozent.

So hervorragend jedoch das Berufsausbildungsniveau zwischen Flensburg und Füssen ist, in puncto Akademiker fällt der internationale Vergleich weitaus weniger schmeichelhaft aus. Noch hat Deutschland international vergleichbar große Anteile von Hochqualifizierten in der erwerbstätigen Bevölkerung. Das gilt sowohl für die Absolventen von Unis und Fachhochschulen als auch für Fachwirte, Meister und Berufsakademieabsolventen. Allerdings deuten verschiedene Indikatoren darauf hin, dass es in Zukunft eng werden kann. In allen 20 analysierten Ländern stehen in der Generation der 25- bis 34-Jährigen mehr Hochqualifizierte für den Arbeitsmarkt bereit als bei den 55- bis 64-Jährigen.

Während andernorts der Akademikeranteil der nachfolgenden Generationen jedoch um teilweise 10 Prozentpunkte und mehr zugelegt hat, ist hierzulande weitgehend Stagnation angesagt: 14 Prozent der jüngeren Bevölkerung sind Fachhochschul- und Uni-Diplomanden – gerade einmal 4 Punkte mehr als bei den älteren Semestern. Lücken gegenüber anderen Ländern zeichnen sich vor allem bei IT- und Technik-Absolventen ab. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Nachlassende Studienmotivation der jungen Männer. Studierten von den älteren Herren der Schöpfung noch 28 Prozent, sind es bei den jüngeren nur 23 Prozent. Auch der zunehmende Bildungshunger der Frauen – von den Jüngeren hat jede fünfte, bei den älteren nur jede achte einen Hochschulabschluss – schließt diese Lücke nicht. Schließlich steht nicht jede Frau dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.

Rückgang der Studentenzahlen: Entgegen dem weltweiten Trend ist die Studentenzahl in Deutschland von 1995 bis 2000 um 5 Prozent geschrumpft. Nur Frankreich vermeldet ebenfalls einen Negativtrend. Allen anderen der 20 betrachteten Ländern ist es hingegen gelungen, den zum Teil demographisch bedingten Schwund durch eine Erhöhung der Neigung zum Studium auszugleichen.

Geringe Studierbeteiligung: Im Durchschnitt der OECD-Länder nimmt knapp die Hälfte der jungen Leute im Alter von 15 bis 29 Jahren ein Hochschulstudium auf, in Deutschland sind es hingegen nur 30 Prozent. Zu wünschen übrig lässt hierzulande auch die Nachfrage nach nichtakademischen weiterführenden Qualifikationen wie etwa einer Meister-, Techniker- oder Fachwirtausbildung. Im Schnitt des Ländersamples beginnen knapp 20 Prozent der jungen Leute eine solche Ausbildung, in Deutschland sind es nur 13 Prozent.

Das heißt nicht, dass Qualifikation für die Jugend per se ein Fremdwort ist – man ist nur pragmatischer: Anstelle eines Studiums entscheiden sich in Deutschland überdurchschnittlich viele junge Leute für eine Doppelqualifikation von Hochschulreife plus Lehre oder Lehre mit Berufsfachschule.

Der anschließende Weg in die Hochschule fällt dann mangels Teilzeitstudiengängen schwer. Flexibler sind beispielsweise die Schweden – von ihnen praktiziert nahezu jeder zweite den Spagat zwischen Job und Uni. Der hiesige Mangel an kürzeren Bachelor-Studiengängen stellt junge Leute in Deutschland zudem vor die wenig freudvolle Alternative, entweder eine Hochschulausbildung mit langer Dauer zu wählen oder ganz darauf zu verzichten. Nicht ganz unwahrscheinlich, dass dies mit eine der Ursachen für die wachsende Uni-Abstinenz ist – immerhin hat man den Berufsabschluss im dualen System nach drei Jahren oder schneller absolviert. Während international 17 Prozent einer Altersgruppe in drei- bis fünfjährigen Kurz-Studiengängen einen Abschluss erwerben, sind es in Deutschland nur 6 Prozent.

Da reicht auch ein relativ hoher Anteil von Absolventen langer Studiengänge nicht aus, um an den internationalen Level zu kommen. Im Schnitt aller Länder beendete im Jahr 2000 jeder Vierte eines Altersjahrgangs seine Ausbildung mit einem akademischen Abschluss, in Deutschland war es nur jeder Fünfte. Damit droht im Land der Dichter und Denker der Nachwuchs an klugen Köpfen auszubleiben – nicht gerade die beste Voraussetzung, um in der Top-Liga der Industrienationen mitzuhalten.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln Telefon: 0221/49811, Telefax: 0221/4981592

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