Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Die Lage der Weltwirtschaft und der deutschen Wirtschaft im Herbst 2002

(Berlin) - Die Weltwirtschaft befindet sich derzeit in einer fragilen Lage. Die Unsicherheit über den Fortgang der Konjunktur hat sich unter dem Eindruck des Irak-Konfliktes, des damit verbundenen Anstiegs der Ölpreise und des Kurssturzes an den Aktienmärkten deutlich erhöht. In den USA flachte die Expansion seit dem Frühjahr wieder ab, und auch in den ostasiatischen Schwellenländern hat sich der zuvor kräftige Produktionsanstieg zuletzt verringert. Im Euroraum hat sich die Konjunktur zwar erholt, jedoch bleibt die Dynamik gering. In Japan schließlich nahm das reale Bruttoinlandsprodukt nur verhalten zu.

In den kommenden Monaten bleibt die Weltkonjunktur verhalten. Die Unsicherheit bezüglich der Zukunftsperspektiven wird sich bei Investoren und Konsumenten erst nach und nach verringern. Dann werden sich die Auftriebskräfte - nicht zuletzt angeregt durch die expansive Geldpolitik - allmählich durchsetzen, so dass sich die Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion in den Industrieländern im weiteren Verlauf des kommenden Jahres beschleunigt. Die Erholung fällt jedoch mäßig aus, insbesondere weil die Konsolidierungszwänge sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor groß bleiben. In den Indus-trieländern insgesamt wird das reale Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,3 % und im nächsten um 2,2 % steigen. Damit wird sich das weltwirtschaftliche Umfeld allmählich verbessern.

Die Konjunktur in Deutschland ist nach wie vor schwach. Zwar hat sich die Wirtschaft in diesem Jahr nach der milden Rezession in der zweiten Jahreshälfte 2001 stabilisiert, ein Aufschwung kam aber nicht in Gang. Dies ist auf das Zusammenwirken verschiedener Faktoren zurückzuführen. Die drastischen Kurseinbrüche an den internationalen Aktienmärkten und die damit einhergehenden Vermögensverluste beeinträchtigten die Kaufbereitschaft der Verbraucher und erschwerten die Außenfinanzierung für Unternehmen. Zudem wurde die ohnehin schon gedrückte Stimmung in der Wirtschaft durch den Irak-Konflikt und den damit verbundenen Anstieg des Ölpreises getrübt. Zudem verlor die Expansion in den USA seit dem Frühjahr deutlich an Fahrt, und zugleich wertete der Euro gegenüber dem Dollar auf.

Bei vorläufig verhaltener Expansion und geringen Inflationsrisiken wird die EZB bis weit in das nächste Jahr hinein ihren expansiven Kurs beibehalten. Die kurzfristigen Zinsen bleiben dabei unverändert und werden erst gegen Ende des Jahres, bei einer Festigung der Konjunktur im Euroraum, leicht angehoben. Die Lohnpolitik hat 2002 den zurückhaltenden Kurs der vergangenen Jahre vorübergehend verlassen, im kommenden Jahr wird sich die Zunahme der Tariflöhne aber etwas abschwächen. Die Finanzpolitik steht unter erheblichem Konsolidierungsdruck und wird im kommenden Jahr merklich restriktiv sein. Zur Haushaltskonsolidierung werden weitere Ausgabenkürzungen von rund 6 Mrd. € und zusätzlich Steuererhöhungen von 6 ½ Mrd. € vorgenommen; außerdem wird die Belastung mit Sozialabgaben gesteigert.

Vor diesem Hintergrund ist erst im Verlauf des Jahres 2003 mit einer allmählichen Erholung der Konjunktur in Deutschland zu rechnen. Die sich belebende Weltwirtschaft regt den Export an. Zudem werden die von der Aufwertung des Euro ausgehenden dämpfenden Effekte im Laufe des kommenden Jahres schwächer. Darüber hinaus hellen sich die Erwartungen von Verbrauchern und Investoren auf, sobald sich die Aktienkurse stabilisieren und sich die Lage im Nahen Osten normalisiert. Damit werden die günstigeren monetären Rahmenbedingungen wieder stärker zum Tragen kommen. Diesen Impulsen steht jedoch eine sehr restriktive Finanzpolitik gegenüber.

Im Winterhalbjahr 2002/2003 wird die konjunkturelle Grundtendenz von den Sonderfaktoren überlagert, die sich aus der Beseitigung der Hochwasserschäden ergeben. Hier ist unterstellt, dass in diesem und im nächsten Jahr hierfür insgesamt rund 13 ½ Mrd. € aufgewandt werden, die das Bruttoinlandsprodukt insbesondere im Winterhalbjahr erhöhen dürften. Im Durchschnitt des kommenden Jahres wird es um 1,4 % steigen, nach 0,4 % in diesem. Eine durchgreifende Besserung am Arbeitsmarkt ist dabei nicht zu erwarten; die Zahl der Arbeitslosen dürfte 2003 etwas höher sein als in diesem Jahr. Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich in diesem Jahr merklich verschlechtern, die Defizitquote wird mit 3,2 % die im Maastricht-Vertrag festgelegte Obergrenze überschreiten. Im nächsten Jahr wird sie sich - bedingt durch die Konsolidierungsbemühungen - auf 1,9 % verringern. - Das DIW Berlin erwartet im Gegensatz zur Mehrheit der Institute für den Verlauf des kommenden Jahres eine ungünstigere konjunkturelle Entwicklung in Deutschland. Es rechnet damit, dass sich, wegen der markant restriktiven Finanzpolitik, eine Stagnationsentwicklung verfestigt und das Bruttoinlandsprodukt 2003 nur um 0,9 % zunimmt.

Die Wirtschaftspolitik ist in den kommenden Jahren gefordert, zur Verbesserung von Wachstum und Beschäftigung beizutragen. Im Mittelpunkt der Finanzpolitik sollte die Haushaltskonsolidierung stehen, die über eine Begrenzung der Ausgaben anzustreben ist. Es reicht jedoch nicht aus, das Konsolidierungsziel für die kommenden Jahre nur allgemein anzukündigen, wie es in den bisherigen Stabilitätsprogrammen der Bundesregierung der Fall war. Soll der Kurs glaubhaft sein, muss beispielsweise konkretisiert werden, welche Leistungsgesetze geändert und welche Subventionen gekürzt werden sollen. Ferner muss vermieden werden, den Rotstift bei den Investitionen anzusetzen; vielmehr geht es darum, die Staatsausgaben zugunsten der Investitionen in Humankapital und in Sachkapital umzuschichten. Auch hier hat sich die Politik in den vergangenen Jahren in die falsche Richtung bewegt. Die Koalitionsvereinbarungen zur Anhebung von Steuern und Sozialabgaben sind das Gegenteil dessen, was wachstumspolitisch geboten ist.

In der Arbeitsmarktpolitik setzt die Bundesregierung im Wesentlichen auf das Konzept der Hartz-Kommission. Deren Vorschläge enthalten eine Reihe von Maßnahmen, die Effizienzgewinne bei der Vermittlung von Arbeitskräften und eine tendenzielle Zunahme der Flexibilität am Arbeitsmarkt erwarten lassen. Die Institute teilen jedoch nicht die vielfach euphorische Hoffnung über das Ausmaß des Abbaus der Arbeitslosigkeit. Die Vorschläge der Hartz-Kommission können, selbst wenn sie umgesetzt werden, die hochgesteckten Erwartungen auf rasche Entlastung am Arbeitsmarkt nicht erfüllen. Sie können eine ursachengerechte Therapie nicht ersetzen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5 14195 Berlin Telefon: 030/897890 Telefax: 030/89789200

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