Pressemitteilung | Bundesverband deutscher Banken e.V. (BdB)

Diskussion um Stabilitätspakt: Konsequenzen für Zinsen, Wechselkurse und Geldpolitik

(Berlin) - Am 25. November 2003 beschloss der Rat der Wirtschafts- und Finanzminister der EU (ECOFIN-Rat) mit Mehrheit und gegen die anderslautenden Empfehlungen der EU-Kommission, die Defizit-Verfahren gegen Deutschland und Frankreich anzuhalten. Verbunden wurden die Abstimmungen mit quantifizierten Empfehlungen an beide Staaten, in den Jahren 2004 und 2005 ihre strukturellen Haushaltsdefizite zurückzuführen. Deutschland soll seinen konjunkturbereinigten Haushaltssaldo um 0,6 Prozent des BIP im Jahre 2004 und um mindestens 0,5 Prozent im Jahre 2005 abbauen. Bei Frankreich lauten die Vorgaben 0,8 Prozent bzw. 0,6 Prozent. Von beiden Staaten wird erwartet, dass sie spätestens bis zum Jahre 2005 ihr Defizit unter die 3 Prozent-Grenze des EG-Vertrages gedrückt haben werden.

Die Rats-Entscheidungen über Deutschland und Frankreich wurden von der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) heftig kritisiert. Das Nichtbefolgen der im Stabilitäts- und Wachstumspakt vereinbarten Regeln und Verfahren drohe, so die EZB, die Glaubwürdigkeit des institutionellen Rahmens und das Vertrauen in solide öffentliche Finanzen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zu beeinträchtigen. Die EZB hob in einer eigens aus diesem Anlass veröffentlichten Erklärung hervor, dass sie unbeirrt an ihrer Verpflichtung zur Gewährleistung der Preisstabilität festhalten werde.

Ist diese Kritik gerechtfertigt? Gehen von der Rats-Entscheidung Risiken für den Zusammenhalt der Währungsunion und für die Geldwertstabilität aus? Wird der Euro eine schwache Währung?

Die Antwort auf die erste Frage ist eindeutig ja. Die Regierungen haben mit dieser Entscheidung einem der Grundpfeiler der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion einen harten Schlag versetzt. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt soll schließlich dazu beitragen, dass das Nebeneinander von einer einheitlichen, stabilitätsorientierten Geldpolitik und nationalen Finanzpolitiken nicht zu Konflikten führt.

Konflikte können zum einen bei einer übermäßig expansiven Haushaltspolitik entstehen. Dann müsste die EZB ihre Zinsen anheben, um die potenziellen inflationären Effekte der Finanzpolitik abzubremsen. Diese Situation, die Anfang der 80er Jahre in den USA zu beobachten war, würde im Endergebnis zu erheblichen Wachstumseinbußen führen.

Zum anderen soll der Pakt verhindern, dass einzelne Teilnehmerländer an der Währungsunion eine laxe Haushaltspolitik verfolgen und damit das Zinsniveau in den übrigen Ländern mit anheben, auch wenn dort das Ziel eines mittelfristig ausgeglichenen Haushalts konsequent befolgt wird.

Folglich ist die im EG-Vertrag und im Stabilitäts- und Wachstumspakt niedergelegte Verpflichtung der Regierungen zu einer soliden, die gemeinsamen Interessen wahrenden Finanzpolitik eine wesentliche Bedingung für die Akzeptanz des Euro als eine stabile und attraktive Währung durch die Bevölkerung und an den Finanzmärkten. Dieses Vertrauen ist durch die im ECOFIN-Rat getroffene Entscheidung, das Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich nicht voranzutreiben und keine zusätzlichen Sparanstrengungen zu verlangen, ohne Zweifel verletzt worden.

Hinzu kommt ein in seinen Konsequenzen noch nicht absehbarer politischer Schaden. Die Einbindung der nationalen Finanzpolitik in ein gemeinsames Regelwerk im einheitlichen Währungsraum ist eine von der Sache her notwendige Vorstufe, ja ein Baustein einer weiter gehenden politischen Union. Auf Dauer kann die Währungsunion nämlich nicht störungsfrei bestehen bleiben, wenn Fortschritte in Richtung auf eine politische Union in Europa ausbleiben. Die Entscheidung von Brüssel ist, wie auch bereits die Ergebnisse der letzten Gipfeltreffen, Ausdruck einer bedenklichen Renationalisierung der Haushalts- und Finanzpolitik.

Mit der Entscheidung des ECOFIN-Rates ist schon bei den ersten wirtschaftlichen Schwierigkeiten gegen Buchstaben und Geist des EU-Vertrages verstoßen worden. Dabei hatte die Kommission schon zuvor die Regeln des Stabilitätspaktes flexibel und großzügig ausgelegt. Außerdem hatte sie zugestanden, dass die Teilnehmerstaaten mit Haushaltsproblemen nicht, wie ursprünglich vereinbart, bereits im vergangenen Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen sollten, sondern erst 2004. Nunmehr ist das Erreichen dieser Zielvorgabe erneut um zwei Jahre in die Zukunft verschoben worden. Damit stellt sich die Frage, wieviel derartige Vorgaben in der politischen Praxis wert sind.

Dabei hätten weitere Sparanstrengungen, wie sie von der EU-Kommission verlangt worden waren, die Wachstumsperspektiven in den beiden Ländern nicht grundlegend verschlechtert. Höhere öffentliche Defizite haben zwar einen gewissen kurzfristigen Wachstumseffekt. Jedoch ist die Multiplikatorwirkung regelmäßig schwach. Das gilt insbesondere in Deutschland, wo die Strukturschwächen am Arbeitsmarkt, die hohe Steuern- und Abgabenlast sowie die nicht zukunftsfähigen sozialen Sicherungssysteme die Wachstumskräfte lähmen.

Das Wachstumsargument kann auch deshalb nicht überzeugen, weil zwar die Zunahme des öffentlichen Defizits in Deutschland, wie auch in Frankreich, im wesentlichen auf die Konjunkturschwäche zurückgeführt werden kann, das Niveau der Neuverschuldung im wesentlichen aber strukturbedingt ist (s. Tabelle). Schon das konjunkturbereinigte Defizit überschreitet nach Berechnungen des Sachverständigenrats seit Jahren die 3 Prozent-Grenze.


Wird der Euro somit quasi zwangsläufig eine weiche Währung?

Die Rats-Entscheidung gibt vor diesem Hintergrund für die Finanzmarkt-Akteure Anlass, zu prüfen, ob ihre bisherige Einschätzung des Euro sowie ihre Zins- und Wechselkurserwartungen noch zutreffen. Dabei stellt sich vorrangig die Frage nach der Stabilität des Euro.

Einen unmittelbaren kurzfristigen Zusammenhang zwischen öffentlichen Defiziten und Inflationsraten gibt es nicht. Da im vorliegenden Fall die öffentlichen Defizite zu einem beachtlichen Teil die Folge rückläufiger Einnahmen sind, reflektieren sie in erster Linie die anhaltende Wirtschaftsflaute. Die Preisüberwälzungsspielräume der Unternehmen bleiben weiterhin sehr gering. Kurzfristig bestehen von daher auch bei höheren Ausgabenüberschüssen des Staates keine Preisrisiken. Die Preissteigerungsrate im Euro-Raum und in Deutschland ist denn auch seit Monaten stabil.

Wenn allerdings mit der ECOFIN-Entscheidung der Wiedereinstieg in eine Phase lascher Haushaltspolitik erfolgt ist, wie sie typisch für die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war, wären auf mittlere Sicht negative Wirkungen auf die Preisniveaustabilität seitens der Finanzpolitik sehr wahrscheinlich, vor allem dann, wenn diese Politik auch in Phasen höheren Wachstums fortgesetzt würde.

Sollte sich eine solche Tendenz abzeichnen, dann dürfte die EZB ihre Leitzinsen anheben. Nicht ohne Grund hat sie ihre Stabilitätsorientierung mit der oben erwähnten Erklärung nochmals bekräftigt. Am Geldmarkt sind nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses die längerfristigen Terminsätze gestiegen. In den Geldmarktsätzen ist derzeit ein Zinsanstieg von rund 75 Basispunkten innerhalb der nächsten zwölf Monate eingepreist. Einige Tage zuvor waren es lediglich 50 Basispunkte. Das reflektiert die Annahme, dass die EZB, nachdem sie mit höheren Staatsdefiziten rechnen muss, früher als zuvor erwartet Zinsanhebungen vornehmen wird.

Allerdings spricht nichts dafür, dass die Notenbank eine politische Zinsentscheidung treffen wird. Das wäre auch kontraproduktiv. Sie wird, wie bisher, ihre Maßnahmen nach nüchterner Beurteilung der Preisrisiken vornehmen. Allerdings dürften die Wirtschafts- und Finanzminister ihre Wachsamkeit bezüglich etwaiger Preisrisiken noch weiter geschärft haben.

Auch am Kapitalmarkt haben die Zinsen auf den ECOFIN-Beschluss reagiert. Die Renditen zehnjähriger Staatsanleihen im Euro-Währungsgebiet stiegen in der nach dem Treffen um rund 15 Basispunkte. Hierzu mögen zwar auch die günstigeren Konjunkturdaten beigetragen haben. Im Vordergrund steht jedoch die Verunsicherung über die künftige Marktentwicklung; denn ein höherer Kreditbedarf der öffentlichen Hand wirkt sich neben etwaigen Inflationseffekten unmittelbar auf das Angebot von Schuldtiteln am Kapitalmarkt aus.

Entscheidend für die weitere Zinsentwicklung – bei der Notenbank wie an den Märkten – ist, ob die Finanzpolitik im Euro-Raum den Kurs einer soliden Finanzpolitik verlassen wird. Konkret steht dabei derzeit die Frage im Vordergrund, ob die Regierungen Frankreichs und Deutschlands die Vorgaben, die sie selbst mit beschlossen haben, dieses Mal tatsächlich auch einhalten. Das wird nicht einfach sein. Die jüngste Prognose der OECD, die für beide Länder im Jahre 2005 noch ein Defizit von rund 3 ½ Prozent erwartet, macht deutlich, dass noch ein erheblicher Konsolidierungsbedarf über die bereits beschlossenen Maßnahmen hinaus besteht.

Sollte das Ziel verfehlt werden, so wären deutlichere Wirkungen bei den langfristigen Zinsen als bislang zu erwarten. Die Finanzpolitik bestimmt neben der Geldpolitik die Einschätzung der fundamentalen Qualität einer Währung. Die EZB steht uneingeschränkt für eine stabilitätsorientierte Politik. Die ECOFIN-Entscheidung hat hingegen Zweifel an einer geordneten, ihren Part akzeptierenden Finanzpolitik geweckt. Dies kann geheilt werden, wenn für die Märkte erkennbar wird, dass die Regierungen auf den Pfad der haushaltspolitischen Tugend zurückkehren und weitere "Sündenfälle" ausbleiben.

Die gleichen Überlegungen gelten auch mit Blick auf den Euro-Wechselkurs. Die Haushaltspolitik ist ein maßgeblicher Bestimmungsgrund für die Qualität des Euro als Anlagewährung für international operierende Investoren. Denn höhere Defizite sind in der Regel verbunden mit höheren Zinsen, verstärkter Unsicherheit am Kapital- und am Devisenmarkt und, als Konsequenz, stärkeren Preisschwankungen.

Die konkreten Anlageentscheidungen und damit auch der aktuelle Wechselkurs werden zwar von einer Vielzahl weiterer Einflussfaktoren bestimmt, die zu zeitweise auch die grundlegenden Bestimmungsgrößen überdecken können. So dominieren am Devisenmarkt derzeit das Budget- und das Leistungsbilanzdefizit der USA die Marktentwicklung. Das wird wohl auch noch eine Zeit lang so bleiben, aber nicht auf Dauer. Wenn an Märkten dann andere Fundamentalfaktoren wieder stärker in den Vordergrund treten, wird die Finanzpolitik im Euro-Raum mit Sicherheit dazu gehören. Jedenfalls ist die gegenwärtige Stärke des Euro kein Argument für die Annahme, dass die Entscheidung der Finanzminister keinen Einfluss auf den Außenwert der Gemeinschaftswährung hat.

Die Entscheidung der Wirtschafts- und Finanzminister, das Defizitverfahren für Deutschland und Frankreich anzuhalten, hat somit erheblichen Schaden angerichtet und das Risiko deutlicher höherer Zinsausgaben für die öffentlichen Haushalte merklich gesteigert. Der Schaden kann aber noch in Grenzen gehalten werden, sofern nunmehr ein überzeugender Kurswechsel hin zu einer soliden Finanzpolitik vollzogen wird. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, so sind erhebliche negative Folgen für das Zinsniveau, die internationale Attraktivität des Euro sowie des europäischen Finanzplatzes zu erwarten.

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband deutscher Banken e.V. (BdB) Burgstr. 28, 10178 Berlin Telefon: 030/16630, Telefax: 030/16631399

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