Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

EU-Beitrittskandidat Türkei: Ökonomische Kriterien noch außer Reichweite

(Berlin) - Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei stehen gegenwärtig die politischen Kriterien. Der aktuelle Wochenbericht des DIW Berlin 21/2003 weist darauf hin, dass auch die ökonomischen Kriterien noch nicht erfüllt sind. Für die Behebung dieser substantiellen Mängel gibt es selbst auf mittlere Frist keine Gewähr.

Das Bruttoinlandsprodukt der Türkei wuchs von 1998 bis 2002 pro Jahr durchschnittlich um nur 1,2 Prozent. Dies reicht angesichts der anhaltenden Bevölkerungszunahme (zuletzt um jährlich 1,6 Prozent) nicht aus, um das Pro-Kopf-Einkommen merklich anzuheben. Aber auch eine jährliche Inflationsrate in der Größenordnung von zuletzt 30 bis 45 ist deutlich zu hoch, um von erfolgreicher Stabilisierung zu reden. Für 2003 prognostiziert die OECD der Türkei jetzt ein BIP-Wachstum von 2,5 Prozent bei einer Inflationsrate, die mit 30 Prozent klar oberhalb der – vom IWF vorgegebenen – Zielmarke der Regierung von 20 Prozent zum Ende des Jahres liegt.

Aus der EU-Beitrittsperspektive besonders relevant ist das deutlich divergierende Entwicklungsniveau verschiedener Landesteile der Türkei. Ökonomisch hochaktive Gebiete kontrastieren mit Zonen absoluter Unterentwicklung. Das regionale Gefälle vom entwickelten, weitgehend industrialisierten Westen zu großen Teilen des deutlich rückständigen, vorwiegend landwirtschaftlich ausgerichteten – und zudem innenpolitisch sensiblen – Ostens und Südostens ist sehr groß. Für dieses zentrale Problem gibt es noch keine wirksame und EU-konforme regionalpolitische Strategie.

Zu bemängeln ist die schleppende Umsetzung der Reformen in der Türkei. So steht der öffentliche Sektor mit seinem großen Finanzbedarf der Bildung von Sachvermögen durch Privatinvestitionen im Wege. Infolge der Deregulierung im Agrar-, Energie- und Telekombereich sind staatliche Eingriffe deutlich zurückgegangen. An ihre Stelle ist der Einfluss unabhängiger Aufsichtsbehörden getreten. Das Investitionsklima empfinden ausländische Unternehmen jedoch weiterhin als schlecht, so dass ihr Engagement in Form von Direktinvestitionen im Land deutlich zurückhaltend ist.

Beim Außenhandel ist die Verflechtung mit dem Ausland hoch. Mit Westeuropa findet seit vielen Jahren ein intensiver Warenaustausch statt. Mehr als die Hälfte der türkischen Exportgüter findet regelmäßig in EU-Ländern Absatz; in umgekehrter Richtung stammt seit Einführung der Zollunion (1996) nahezu die Hälfte der türkischen Einfuhr von dort.

Wiederholt finden sich in der laufenden Diskussion auf türkischer Seite Hinweise auf sicherheitspolitische Vorleistungen (bewährter NATO-Außenposten), auf die geostrategische Schlüsselstellung in einer instabilen Weltregion sowie auf die Sicherung von Transitrouten für die Öl- und Gasvorräte rund um das Kaspische Meer. Daran knüpfen sich auch Erwartungen im Hinblick auf einen Nachlass bei den Prüfkriterien. Damit wäre der Türkei jedoch kein Gefallen getan, denn ohne eine nachhaltige Lösung der angesprochenen Probleme wird es keine verlässliche Entwicklung geben.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5, 14195 Berlin Telefon: 030/897890, Telefax: 030/89789200

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