Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

EU-Osterweiterung: Klare Herausforderungen, unberechtigte Ängste

(Berlin) - Von der EU-Osterweiterung sind insgesamt positive Effekte für die dann existierende EU-25 zu erwarten, so der aktuelle Wochenbericht des DIW Berlin 17/2004. Dabei dürften die Wachstumseffekte für die Beitrittsländer über denen der EU-15 liegen. Die Beitrittsländer müssen jedoch im Zuge des Konvergenzprozesses auch einen erheblichen Strukturwandel bewältigen. Demgegenüber fallen auf Seiten der „alten“ EU-Mitglieder sowohl die Wachstumseffekte als auch der Anpassungsbedarf sehr viel geringer aus. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Beitrittsländer mit einem Anteil von 5 Prozent am Sozialprodukt der erweiterten EU im ökonomischen Sinne kleine Länder sind, die die Preise auf den Güter- und Faktormärkten in der erweiterten EU nur unwesentlich beeinflussen werden. Befürchtungen, die EU-Osterweiterung könnte zu einer Massenzuwanderung nach Deutschland führen, sind nach den vorliegenden Schätzungen, die von einem langfristigen Migrationspotential von 2 bis 2,8 Millionen Personen ausgehen, ebenfalls unberechtigt. Insgesamt wird die erweiterte Gemeinschaft - hier besonders Deutschland als wichtigstes Einwanderungsland - von der Migration profitieren.

Die Zuwanderung wird insgesamt zu gering sein, um Löhne und Beschäftigung in einer offenen Volkswirtschaft wie Deutschland spürbar zu beeinflussen. Ähnliches gilt auch für den Güterhandel. Die Unternehmen werden zwar Lohnkostenvorteile in Mittel- und Osteuropa nutzen, insgesamt aber sprechen die leichten Handelsbilanzüberschüsse und die weitgehend ausgeglichene Warenstruktur des Handels nicht dafür, dass es zu einem massiven Druck auf Löhne und Beschäftigung in Deutschland kommen wird. Auch lässt das geringe Volumen der Direktinvestitionen in den vergangenen Jahren nicht erwarten, dass die Unternehmen in großem Umfang Kapital in die Beitrittsländer verlagern. Sofern sich negative Effekte für Löhne und Beschäftigung ergeben, werden davon am stärksten die Gruppen mit einer geringen und mittleren Qualifikation betroffen sein. Dem kann durch höhere Investitionen in das Bildungs- und Wissenschaftssystem und eine Verbesserung des dort herrschenden Wettbewerbs entgegengewirkt werden.

Von 1995 bis 2003 legte das reale Bruttoinlandsprodukt der Beitrittsländer in der Summe um durchschnittlich 3,7 Prozent pro Jahr zu; in der EU-15 lag die entsprechende Größe bei 2,1 Prozent, in Deutschland allein sogar nur bei 1,3 Prozent. Trotz der starken gesamtwirtschaftlichen Dynamik sind die Defizite der öffentlichen Haushalte in den Beitrittsländern hoch; Schätzungen zufolge lagen sie im Jahre 2003 im Durchschnitt bei 5 Prozent des BIP. Dies spricht dafür, dass die Defizite vor allem struktureller Natur sind, so dass hier ein erheblicher Anpassungsbedarf besteht. Die Konsolidierung könnte auch Steuererhöhungen erfordern, denn derzeit liegen die Steuerquoten, insbesondere die Einkommen- und Körperschaftsteuersätze, in den Beitrittsländern deutlich unter den Vergleichswerten der EU-15. Ein Problem für den finanzpolitischen Konsolidierungskurs ist allerdings, dass die Arbeitslosigkeit in einigen der Beitrittsländer sehr hoch ist - höher noch als in der EU-15 - und der Arbeitsmarkt bisher wenig vom hohen Wachstum profitiert hat.

Trotz der hohen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten ist der Einkommensabstand zur EU-15 immer noch erheblich. In Kaufkraftparitäten erreichte das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung in den Beitrittsländern im Jahre 2001 etwa 47 Prozent des entsprechenden EU-Werts; in laufenden Wechselkursen lag es deutlich darunter. Dabei ist der Unterschied zwischen den beitretenden Ländern beachtlich: Während Lettland nur ein Pro-Kopf-Einkommen von etwa 35 Prozent des EU-Durchschnitts hat, kommt Slowenien auf einen Wert von 74 Prozent und hat damit bereits jetzt ein mit Portugal und Griechenland vergleichbares Einkommensniveau. Angesichts dieser Diskrepanzen werden die einzelnen Beitrittsländer unterschiedlich lange brauchen, um die Einkommenslücke zur EU zu schließen.

Der Aufholbedarf beim Infrastrukturausbau zur Erreichung des durchschnittlichen EU-Standards ist nach wie vor gewaltig: Sollen die acht mittel- und osteuropäischen EU-Beitrittsländer das durchschnittliche EU-Ausstattungsniveau erreichen, beliefe sich der Investitionsbedarf in den Bereichen Telekommunikation, Verkehr, Energie, Wasser und Umwelt heute auf etwa 400 Mrd. Euro. Seit 1991 sind hier etwa 100 Mrd. Euro investiert worden. Der noch bestehende Finanzierungsbedarf wird sich allein durch öffentliche Investitionen nicht decken lassen; der Privatsektor in den Beitrittsländern ist daher in besonderem Maß bei der Infrastrukturfinanzierung gefragt.

Die Beitrittsländer sind für den deutschen Außenhandel so wichtig geworden wie die USA. Dieser Trend wird sich auf absehbare Zeit fortsetzen. Durch den Beitritt werden aber die Transaktionskosten des Handels weiter sinken. Regressionsanalysen des DIW Berlin haben ergeben, dass der Handel zwischen den bisherigen EU-Mitgliedsländern unter sonst gleichen Umständen einen um 30 bis 40 Prozent höheren Umfang hat als der Handel mit Drittländern. Aus der vollständigen Integration der Beitrittsländer in den EU-Binnenmarkt werden sich also zusätzliche Impulse für die deutschen Exporte und Importe ergeben.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5, 14195 Berlin Telefon: 030/89789-0, Telefax: 030/89789-200

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