Pressemitteilung | Deutscher Städte- und Gemeindebund e.V. (DStGB)

Europäische Regierungskonferenz vor dem Abschluss? / Kommunen hoffen auf Aufwertung ihrer Rechte in der EU

(Berlin) - Für den 12./13. Dezember 2003 ist der Europäische Rat terminiert, an den keine geringere Erwartung geknüpft ist, als die laufenden Verhandlungen über eine Verfassung für Europa abzuschließen. Die Kommunen hoffen bei einem Abschluss auf eine essentielle Aufwertung ihrer Rechte und Position in der EU.

Die aus der kommunalen Sicht besonders zu begrüßenden Vorschläge des EU-Konvents in einer Verfassung für Europa stehen in der Regierungskonferenz grundsätzlich nicht mehr im Streit. Allerdings ist am Vorabend dieses historischen Ratsgipfels in Brüssel ungewiss, ob es den Staats- und Regierungschefs tatsächlich gelingen wird, zu einer Einigung zu kommen. Die Gefahr eines Scheiterns der Verhandlungen ist als durchaus real einzuschätzen, evtl. muss auch noch im kommenden Jahr weiter verhandelt werden.

Streitpunkte Ministerrat und Europäische Kommission

Zentrale Streitpunkte in der politischen Debatte sind die zukünftige Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission und insbesondere die Stimmengewichtung der Mitgliedstaaten im Ministerrat. Bezüglich der EU-Kommission hatte der Konvent vorgeschlagen, das bisherige System von 20 Kommissaren bei 15 EU-Mitgliedstaaten zu reformieren. Nach diesen Vorschlägen sollte die EU-Kommission zukünftig aus 15 stimmberechtigten Mitgliedern bestehen – aus 13 Kommissaren, einem Europäischen Außenminister sowie dem Präsidenten der Kommission.

Da die Europäische Union mit der anstehenden Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa zum 1. Mai 2004 bereits auf 25 Mitgliedstaaten vergrößert wird, ergäbe sich hieraus, dass mehrere Mitgliedstaaten keinen stimmberechtigten Kommissar mehr stellen würden. Soweit verlässliche Informationen aus der Regierungskonferenz verfügbar sind, zeichnet sich an diesem Streitpunkt allerdings ein Kompromiss dergestalt ab, dass auch in Zukunft jeder EU-Mitgliedstaat mindestens einen Kommissar in der EU-Kommission stellen soll.

Stimmengewichtung im Rat

Ausgesprochen problematisch ist die Frage der Stimmengewichtung im Ministerrat. Vor allen Dingen die Forderungen des Beitrittsstaates Polen und des Mitgliedstaates Spanien erschweren die Verhandlungen an diesem Punkt erheblich. Neben der Frage der Fortführung der so genannten „doppelten Mehrheit“ bei Ministerratsentscheidungen (Mehrheit der abgegebenen Stimmen und Mitgliedstaaten im Ministerrat einerseits und Erreichen eines Quorums von 60 % der EU-Bevölkerung andererseits) ist umstritten, mit wie vielen Stimmrechten die Mitgliedstaaten bei Abstimmungen im Rat ausgestattet sein sollen. Nach der Beschlusslage des Nizza-Vertrages hat Deutschland mit über 82 Mio. Einwohnern im Ministerrat 29 Stimmen, Spanien hat mit etwa 39,4 Mio. Einwohnern aber immerhin 27 Stimmen. Die Beibehaltung dieser Regelung fordert auch Polen, das bei einer Einwohnerzahl von 38,6 Mio. Einwohnern ebenfalls 27 Stimmen im EU-Ministerrat haben will. Aus diesem Streit einen Ausweg zu finden, wird eine ausgesprochen schwierige Aufgabe sein, denn vor allen Dingen Polen hat sich durch innenpolitische Erklärungen gegenüber der eigenen Bevölkerung wie auch durch außenpolitische Erklärungen auf dem Brüsseler Parkett so stark festgelegt, dass ein Ausweg aus der Situation kaum ersichtlich ist.

Kommunale Rechte nicht im Streit

Demgegenüber stehen nicht im Streit die Vorschläge des EU-Konvents, in einer Europäischen Verfassung die Rechte der Kommunen und Regionen auszuweiten und zu stärken. Hierzu gehört insbesondere die ausdrückliche Anerkennung des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes als Bestandteil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten, die Konkretisierung und Erstreckung des Subsidiaritätsprinzips auf die Kommunen und Regionen, die Ausstattung des Ausschusses der Regionen mit einem eigenen Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof, die Verpflichtung der EU-Organe zur Durchführung von umfassenden Konsultationsverfahren und die Einführung von Gesetzesfolgenabschätzungsverfahren. Schon alleine aufgrund dieser wichtigen Aufwertung der Kommunen und Regionen in einem zukünftigen Europa ist die konkrete Hoffnung berechtigt, dass die laufende Regierungskonferenz nicht über den oben angesprochenen politischen Schwierigkeiten scheitern darf.

Europäische Kompetenz für die Daseinsvorsorge

Dem Vernehmen nach ist in der Regierungskonferenz ebenfalls nicht mehr umstritten dem Vorschlag des EU-Konvents zu folgen, den jetzigen Art. 16 EG-Vertrag in einem neuen Art. III-6 zu ergänzen um eine ausdrückliche Rechtsetzungskompetenz der EU für die Regelung der Grundsätze und Bedingungen der Erbringung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Die italienische Ratspräsidentschaft hatte in der Diskussion darüber, ob diese neue europäische Gesetzgebungskompetenz nicht die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten in der Daseinsvorsorge verletze, einen Kompromiss vorgeschlagen, nach dem diese neue EU-Rechtsetzungskompetenz nicht unter einer Verletzung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich der Daseinsvorsorge ausgeübt werden dürfe. Dieser Kompromissvorschlag des Ratsvorsitzes ist dem Vernehmen nach in der Regierungskonferenz konsensfähig, so dass mit einer neuen EU-Gesetzgebungszuständigkeit für die Daseinsvorsorge zu rechnen wäre.

Verstärkte Förderung des ländlichen Raumes

Weiterhin hat der italienische Ratsvorsitz vorgeschlagen, den jetzigen Art. 158 Abs. 2 EG-Vertrag mit Blick auf eine verstärkte Förderung der ländlichen Räume in Europa zu ändern. Der jetzt gültige Art. 158 EG-Vertrag definiert die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, insbesondere auch in ländlichen Gebieten, als Zielsetzung der europäischen Strukturpolitik. Die italienische Ratspräsidentschaft hat in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, eine Textveränderung herbeizuführen, die die Politik und Gesetzgebung der EU in besonderer Weise darauf verpflichtet, in Europa die ländlichen Gebiete, Gebiete mit geographischen oder demographischen Nachteilen, Grenzgebiete, Inseln und Berggebiete zu fördern.

Großstädtische Verbände wenden sich gegen diesen Ansatz, der vom DStGB begrüßt wird. Auch der Ausschuss der Regionen hat den Vorschlag zur Stärkung der ländlichen Gebiete in der EU noch in einem Schreiben vom 04. Dezember 2003 an alle Außenminister in der Regierungskonferenz begrüßt und zusätzlich noch die Forderung eingebracht, auch die grenzüberschreitende und interregionale Kooperation der Regionen und Kommunen zu einer der Zielsetzungen europäischer Politik zu machen.

EU-Zuständigkeit im Bereich des Tourismus?

Von den noch in der Regierungskonferenz zu verhandelnden Punkten ist aus der kommunalen Sicht zudem hervorzuheben der ebenfalls vom italienischen Ratsvorsitz eingebrachte Vorschlag, eine neue EU-Zuständigkeit im Bereich des Tourismus einzuführen. Diesen Vorschlag hatte der EU-Konvent in seinem Verfassungsentwurf nicht unterbreitet, die italienische Ratspräsidentschaft allerdings möchte den Tourismus in die Bereiche der neuen sog. Koordinierungskompetenz der EU einfügen. Angestrebt wird damit nicht zuletzt eine Harmonisierung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Tourismussektor. Die deutsche Bundesregierung hat diesen Vorschlag bislang unter Hinweis auf den Subsidiaritätsgrundsatz abgelehnt.

Ausblick

Die Staats- und Regierungschefs in ganz Europa stellen sich auf ein schwieriges Verhandlungswochenende in Brüssel ein, das reich an Diskussionen und schon traditionell arm an Schlaf sein wird. Die im Vorfeld öffentlich gemachten Drohungen, die Verhandlungen scheitern zu lassen, sind gewiss zu einem Teil dem bei Regierungskonferenzen üblichem „Säbelrasseln“ geschuldet. Allerdings war die Gefahr des Scheiterns einer Regierungskonferenz in der Geschichte der EU wohl noch nie so real, wie vor der in Brüssel. Denkbar wäre immerhin auch, dass die Verhandlungen im neuen Jahr unter dann irischer Ratspräsidentschaft weitergeführt werden könnten.

Aber auch wenn es gelingt, in Brüssel den Gordischen Knoten zu lösen und die Regierungskonferenz ein Erfolg wird, dürfte mit dem Inkrafttreten eines Vertrages über eine Verfassung für Europa wohl nicht vor dem Jahr 2007 gerechnet werden. Denn das Procedere sieht vor, dass diese Europäische Verfassung in allen, dann 25, EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert wird. In einigen dieser Staaten ist dafür eine Volksabstimmung vorgesehen, und erst zuletzt bei der Ratifizierung des Vertrags von Nizza hatte die Notwendigkeit, dafür in Irland zwei Referenden durchzuführen, das Inkrafttreten dieses Vertrags erheblich verzögert.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB) Marienstr. 6, 12207 Berlin Telefon: 030/773070, Telefax: 030/77307200

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