Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Frühjahrsgutachten 2002: 0,9 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland

Beurteilung der Wirtschaftslage durch folgende Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft deutscher wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute e.V., Essen:

DIW Berlin, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Hamburgisches Welt-Wirtschafts-Archiv, HWWA
ifo Institut für Wirtschaftsforschung, München
Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel
Institut für Wirtschaftsforschung Halle
Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, Essen

(Berlin) - Die Weltwirtschaft steht vor einem Aufschwung. In den USA hat sich die Konjunktur sogar früher als von den Instituten im Herbst erwartet belebt. In Westeuropa war der Anstieg der Produktion zu Jahresbeginn zwar noch verhalten, das Verbrauchervertrauen wie auch das Geschäftsklima haben sich aber deutlich verbessert. Während die Konjunktur auch in den asiatischen Schwellenländern die Talsohle bereits durchschritten hat, setzte sich in Japan die Rezession zunächst noch fort.

Eingeleitet wurde die Konjunkturwende in den Industrieländern von der Wirtschaftspolitik. Dies gilt besonders für die USA, wo die Notenbank die Wirtschaft seither ungewöhnlich kräftig stimuliert. Auch die Finanzpolitik gibt beträchtliche Impulse. In Westeuropa gehen von der Geldpolitik ebenfalls spürbare Anregungen aus, wenn auch nicht in dem Maße wie in den USA. In den USA und in Westeuropa werden sich die expansiven Wirkungen der Wirtschaftspolitik in diesem Jahr zunehmend entfalten; die gesamtwirtschaftliche Produktion wird im Verlauf des Jahres kräftig expandieren. Im kommenden Jahr dürfte die konjunkturelle Dynamik in beiden Regionen infolge schwächer werdender wirtschaftspolitischer Impulse etwas nachlassen.

Das reale Bruttoinlandsprodukt der Industrieländer insgesamt wird im Jahr 2003 um 2,8 Prozent höher sein als in diesem Jahr, in dem ein Zuwachs von lediglich 1,2 Prozent erreicht wird. Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Frühjahr 2002 am Beginn eines Aufschwungs. Das Geschäftsklima im verarbeitenden Gewerbe hat sich in den vergangenen Monaten spürbar aufgehellt. Insbesondere hat sich das außenwirtschaftliche Umfeld verbessert. Angeregt wird die Konjunktur auch durch die Geldpolitik.

Im Zuge des Aufschwungs im Euroraum dürfte die EZB die geldpolitischen Zügel wieder leicht anziehen und auf einen etwa neutralen Kurs einschwenken. Bezüglich der Lohnpolitik rechnen die Institute nicht mit einem Kurswechsel; für die Jahre 2002 und 2003 dürften die Tariflohnsteigerungen in Deutschland mit reichlich 2 ½ Prozent im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt etwas höher ausfallen als in den beiden vergangenen Jahren. In der Finanzpolitik sind für das kommende Jahr merkliche Einschnitte bei den Staatsausgaben zu erwarten. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte wird verstärkt; nach der Prognose wird 2003 ein Sparpaket mit einem Volumen von rund 8 Mrd. Euro aufgelegt.

Im Gefolge der kräftiger expandierenden Weltwirtschaft werden die Exporte wieder steigen. Zudem strahlt die deutliche Verbesserung der Erwartungen in den USA und in Europa auch auf Deutschland aus und wirkt positiv auf die Investitionen der Unternehmen. Der private Konsum wird ebenfalls wieder zunehmen. Im weiteren Verlauf des Jahres kommen die Impulse seitens der Geldpolitik mehr und mehr zum Tragen. All das spricht dafür, dass sich der Aufschwung in der zweiten Hälfte dieses Jahres verstärken wird.

Im kommenden Jahr wird sich das konjunkturelle Expansionstempo verlangsamen. So werden die Impulse aus dem Ausland schwächer, und die Anregungen von der Geldpolitik klingen ab. Zudem wirkt das Sparpaket dämpfend. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird im Jahr 2003 in Deutschland um 2,4 Prozent steigen, nach 0,9 Prozent in diesem Jahr. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich gleichwohl verbessern; die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt 2003 auf 3,8 Millionen zurückgehen. Der Preisanstieg bleibt moderat.

Bei alledem gibt es Prognoserisiken in die eine wie auch in die andere Richtung. Einen Unsicherheitsfaktor bildet die Konjunktur in den USA; dort könnte die Expansion schwächer ausfallen als prognostiziert. Auch könnte ein unerwartet hoher Ölpreis die Konjunktur belasten. Es ist jedoch auch nicht auszuschließen, dass das Aufschwungstempo unterschätzt wird. Angesichts der stark verbesserten Geschäftserwartungen der Unternehmen könnte die konjunkturelle Dynamik in den kommenden Monaten durchaus kräftiger ausfallen als von den Instituten prognostiziert.

Trotz der angesprochenen Risiken erscheint der Aufschwung in Deutschland nicht besonders gefährdet. Für eine nachhaltige Aufwärtsentwicklung kommt es nun darauf an, dass die einzelnen Bereiche der Wirtschaftspolitik ihre mittelfristige Orientierung beibehalten. Die Geldpolitik muss primär darauf bedacht sein, die Preisstabilität zu sichern. Es ist wichtig, dass die EZB beim Erreichen des Stabilitätsziels von der Lohnpolitik unterstützt wird.

Es wäre viel gewonnen, wenn glaubhaft gemacht werden könnte, dass die Zunahme der Löhne im Euroraum in den kommenden Jahren stabilitätskonform bleibt. Ist der Anstieg niedriger als die Rate, die sich aus dem mittelfristigen Produktivitätszuwachs zuzüglich Zielinflationsrate ergibt, steigt das Produktionspotential in der Volkswirtschaft vorübergehend schneller. Entsprechend könnte die EZB den Referenzwert für die Geldmengenexpansion anheben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Abstimmung zwischen der Geldpolitik und der Lohnentwicklung im Sinne einer exante Koordination wünschenswert oder notwendig ist. Die Geldpolitik darf keine Vorleistung erbringen und ihre Politik ändern in der (ungewissen) Hoffnung, die Löhne würden nur sehr moderat steigen.

Vor einer besonderen Herausforderung steht die Finanzpolitik in Deutschland. Die Bundesregierung hat sich im Februar dieses Jahres abermals verpflichtet, im Jahr 2004 ein annähernd ausgeglichenes Staatsbudget zu erreichen. Dazu muss sie ein Konsolidierungsprogramm verabschieden, das Produktion und Beschäftigung in den beiden kommenden Jahren möglicherweise dämpft. Gleichwohl sollten von den Zusagen keine Abstriche gemacht werden; ansonsten würde die Finanzpolitik weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Die Haushaltskonsolidierung sollte auf der Ausgabenseite ansetzen; hier sind einschneidende Maßnahmen erforderlich. Zusätzliche Steuererhöhungen sollten ausgeschlossen werden, denn dies würde das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen. Die Erwartung einer sinkenden Steuer- und Abgabenbelastung kann am besten dadurch gefördert werden, dass ein entsprechender Verlauf der Staatsausgaben verbindlich vorgegeben und dann auch eingehalten wird. Nur wenn der Staat spart, können auch die Steuern gesenkt werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5 14195 Berlin Telefon: 030/897890 Telefax: 030/89789200

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