Pressemitteilung | Kuratorium Deutsche Altershilfe Wilhelmine-Lübke-Stiftung e.V.

Immer mehr Menschen mit Demenz im Krankenhaus: KDA fordert bessere Einstellung auf Patienten mit Demenz

(Nürnberg) - "Die meisten Krankenhäuser in Deutschland sind nicht ausreichend auf die steigende Zahl der Menschen mit Demenz und somit auf die Bedürfnisse dieser besonders verletzlichen Patientengruppe eingestellt", sagte Klaus Großjohann, Geschäftsführer des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Fachmesse "Altenpflege+ProPflege 2007" in Nürnberg. Wenn Demenzkranke in eine Klinik eingeliefert werden, liegt in der Regel eine akute somatische Erkrankung vor. Die Demenz als zweite Erkrankung, sofern sie überhaupt schon diagnostiziert wurde, tritt dabei häufig in den Hintergrund. "Die Nebendiagnose Demenz geht oft unter, weil sich die Krankenhausbehandlungen auf die Hauptdiagnosen konzentrieren", erklärt Großjohann weiter. Das hat für die altersverwirrten Patienten nicht selten fatale Folgen.

"Drohende oder plötzliche Krankenhausaufenthalte stellen alle Menschen vor große psychische Belastungen. Für Menschen mit Demenz können sie aber zum „Horrortrip“ werden", erläutert die KDA-Pflegeexpertin und Psychologin Christine Sowinski. "Ihre Orientierungsschwierigkeiten können sich so sehr verstärken, dass sich die Symptome einer bisher vielleicht unerkannten Demenz womöglich erstmals zeigen oder gar verschlimmern."

Das führt zu einer immensen Belastung nicht nur der Betroffenen selbst, sondern auch des Krankenhauspersonals, das darauf viel zu oft mit der Vergabe von Sedativa reagiert. "Ein Paradoxum", findet Dr. Ulrich Kastner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie an der Steigerwaldklinik Burgebrach und bis vor kurzem Leiter der Memory Clinic an den Rheinischen Kliniken in Bonn. "Da werden Psychopharmaka verabreicht, um die stationäre Behandlung erst möglich zu machen. Es wird also medikamentös auf ein Symptom reagiert, das durch den Krankenhausaufenthalt erst erzeugt wurde." Die Psychopharmaka könnten bei den Patienten zu Abhängigkeiten oder zu einer Erhöhung der Sturzgefahr mit der Folge von Knochenbrüchen führen, so Kastner weiter. Dazu kommt ein weiteres typisches Krankenhausproblem: "Patienten mit Demenz entwickeln unter anderem aufgrund der fremden und angstauslösenden Umgebung und mangels fester Bezugspersonen im Krankenhaus Ess- und Trinkstörungen, die wiederum zu Delirien führen können und das Krankheitsbild der Demenz zusätzlich überlagern", erklärt der Mediziner. Das Krankenhauspersonal müsse hier besser geschult werden, um zwischen den leicht verwechselbaren Symptomen von Demenz und Delir unterscheiden zu können, so Kastner weiter.

"Herausforderndes Verhalten" lässt sich vermindern oder verhindern

Eine größere Bereitschaft für eine "demenzsensible Pflege" im Krankenhaus fordert auch Christine Sowinski: "Die Klinikmitarbeiterinnen und -mitarbeiter brauchen neuere Erkenntnisse, wie sie mit Demenzkranken umgehen können. Die funktionalen Arbeitsabläufe im Krankenhaus passen nicht zu Menschen mit Demenz. Die reizarme Umgebung dort sowie das ihnen unbekannte Krankenhauspersonal verstärkt oft deren herausforderndes Verhalten, was im klinischen Arbeitsalltag als extrem störend empfunden wird." Mit herausforderndem Verhalten meint die Psychologin beispielsweise extremen Bewegungsdrang, lautstarke Äußerungen, verstärkte Kontinenzprobleme oder sogar sexuell übergriffiges Verhalten.

Wie das Krankenhauspersonal damit umgehen sollte, zeigt ein gerade erschienenes und erstmalig auf der "Altenpflege+ProPflege" vorgestelltes Lern- und Arbeitsbuch mit besten Praxisbeispielen aus Schottland, das vom KDA übersetzt wurde und herausgegeben wird. Die Autorin des Buches "Menschen mit Demenz im Krankenhaus", Carole Archibald von der Universität Stirling, beschäftigt sich seit vielen Jahren und in zahlreichen Forschungsarbeiten mit dem Thema und verdeutlicht, wie beispielsweise durch die Einbeziehung von Angehörigen, Biografiearbeit und bestimmten Kommunikationsformen im Krankenhaus auf die "Herausforderung Demenz" reagiert werden sollte.

Was derart konstruktive Ansätze bewirken können, zeigen die wenigen Projekte, die sich mit der Erforschung bzw. Veränderung der Situation von Menschen mit Demenz in Kliniken beschäftigen. Eines davon ist das GISAD-Projekt am Bethanien-Krankenhaus in Heidelberg. Dort wurde eine "Geriatrisch-Internistische Station für Akuterkrankte Demenzpa-tienten" eingerichtet, auf der auch die Arbeitsansätze Carole Archibalds erprobt und angepasst wurden. "Bei uns sorgt ein speziell geschultes Team nicht nur für adäquate Behandlung der demenzkranken Patienten, sondern auch für besondere Aktivierungs- und Beschäftigungsangebote", erklärt die Pflegewissenschaftlerin und GISAD-Mitarbeiterin Dr. Elke Müller. "Unser Konzept bestätigt uns darin, dass sich auf diese Weise von ‚herausforderndem Verhalten“ geprägte Situationen vermindern oder gar verhindern lassen. Darüber hinaus legen wir vor allem viel Wert auf die Klärung der Weiterversorgung nach dem Klinikaufenthalt, wobei die Zusammenarbeit mit Angehörigen, Betreuungspersonen, Hausärzten, dem Heimpersonal sowie Mitarbeitenden von Pflegediensten im Vordergrund stehen", so Müller weiter.

Vermeidung von "Drehtüreffekten" durch verbesserte Überleitungspflege

Gerade um die Zusammenarbeit der Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege geht es auch dem KDA. "Eine bessere Kooperation zwischen den beruflich Pflegenden in beiden Systemen bewirkt nicht nur Positives für die Betroffenen und ihre Angehörigen, sondern hilft auch dabei, dass es nicht zu den von allen Beteiligten ungewollten „Drehtüreffekten“ kommt, bei denen die an Demenz erkranken Menschen unnötigerweise zwischen den Einrichtungen hin und her verlegt werden", verdeutlicht Christine Sowinski. Sie betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Überleitungspflege und des Expertenstandards "Entlassungsmanagement in der Pflege". Durch eine fachgerechte Überleitungspflege könnten Versorgungsbrüche im gesamten Krankheits- und Pflegeverlauf vermieden werden. Zur Ergänzung der in der Praxis oft nur unzureichend eingesetzten Pflegeüberleitungsbögen hat die KDA-Pflegefachfrau "Tipps für die Krisensituation Krankenhausaufenthalt" entwickelt, die dabei helfen sollen, kritische Situationen zu vermeiden, die bei einer Überleitung von der eigenen Häuslichkeit oder einem Altenheim ins Krankenhaus und zurück entstehen können. In der aktuellen Ausgabe 1/2007 von PRO ALTER, dem Fachmagazin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe, werden diese Tipps vorgestellt.

Quelle und Kontaktadresse:
Kuratorium Deutsche Altershilfe - Wilhelmine-Lübke-Stiftung e.V. Pressestelle An der Pauluskirche 3, 50677 Köln Telefon: (0221) 9318470, Telefax: (0221) 9318476

(el)

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