Pressemitteilung | Bitkom e.V.

Kein Ende des Mangels an IT- und E-Business-Spezialisten absehbar

(Berlin) - In Europa fehlen zurzeit 1,9 Millionen Spezialisten für Informationstechnik, Telekommunikation und E-Business. Dieser Mangel wird bis 2003 voraussichtlich auf 3,8 Millionen anwachsen. Die europäische Wirtschaft läuft Gefahr, im Jahr 2003 ein zusätzliches Wirtschaftswachstum in Höhe von 2,5 bis 3% zu verschenken, weil die im Umgang mit neuen Medien geschulten Spezialisten fehlen, um die Wachstumspotentiale auszuschöpfen. Von dem Mangel sind gleichermaßen Anbieter wie Anwender von Informations- und Kommunikationstechnik und E-Business-Lösungen betroffen. Dies gilt auch für Deutschland. Der Fachkräftemangel wird sich hier voraussichtlich von zur Zeit 444.000 auf 723.000 Stellen im Jahr 2003 verschärfen. Dies ist das zentrale Ergebnis einer Studie, die der Vizepräsident des BITKOM Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., Jörg Menno Harms, in Berlin vorstellte. Die Studie wurde im Rahmen des von BITKOM betreuten European Information Technology Observatory (EITO) durchgeführt. „Die Ergebnisse der Untersuchung sind beunruhigend,“ sorgt sich Harms. Von Entwarnung oder einer Entspannung des Arbeitsmarktes könne keine Rede sein.

Harms: „Seit 1995 mahnen wir eine tiefgreifende Reform des deutschen Bildungssystems an. Es hat sich auch tatsächlich einiges bewegt. Aber wir sind zu langsam. Diese Zögerlichkeit muss angesichts der verpassten Chancen ein Ende haben.“ Mit jedem Jahr des Wartens würden mehrere Zehntausend zusätzliche Arbeitsplätze verloren gehen. Nicht zuletzt würde unausgeschöpftes Innovationspotential bei den neuen Technologien verschenkt.


Hersteller- und Anwenderseite gleichermaßen betroffen
Dem sehr guten Wachstum der Informations- und Kommunikationswirtschaft und der weiter steigenden Nachfrage nach E-Business-Lösungen steht ein sich verschärfender, europaweiter Fachkräftemangel gegenüber. Der Großteil der ITK- und E-Business-Spezialisten arbeitet nicht mehr innerhalb, sondern außerhalb der eigentlichen ITK-Branche. Insbesondere Banken, Versicherungen, öffentliche Verwaltung, produzierendes Gewerbe, Transportunternehmen und Wissenschaftsbetrieb brauchen IT-Knowhow. Harms: „Auf einen Arbeitsplatz in der ITK-Kernbranche kommen künftig zwei entsprechende Arbeitsplätze auf der Anwenderseite.“ Unter den Top-Ten der deutschen Software- und Systemhäuser befinden sich nur zwei IT-Unternehmen. „Den Rest stellen im Grunde die DV-Abteilungen großer Anwender,“ so Harms.


Qualifikationsprofile breit gefächert
Die von BITKOM vorgestellte Studie basiert auf einer vergleichsweise breiten Definition fachlicher Qualifikationen. Den ITK-Spezialisten werden all jene Beschäftigten zugerechnet, die im Kern ihrer beruflichen Tätigkeit mit Entwicklung, Planung, Durchführung, Betrieb oder Pflege von ITK-Systemen befasst sind. Hierzu gehören die klassischen ITK-Berufsbilder wie Nachrichtentechniker, Programmierer, Systemadministratoren, IT-Berater und Fachkräfte in der Hardware-Produktion. Zu den E-Business-Berufen zählt die Studie alle Beschäftigten, die das Internet als zentrales Element ihrer Arbeit einsetzen. Hierzu gehören Tätigkeiten in den Bereichen Web-Marketing, E-Government (öffentliche Bürgerdienste) und Electronic Commerce. Als Call-Center-Experten werden alle Beschäftigten in Call-Center-Umgebungen verstanden, deren wichtigstes, unverzichtbares Arbeitsinstrument das Telefon ist. Die technische Kernkompetenz in den Bereichen ITK, E-Business und Call-Center wird in den meisten Fällen ergänzt durch notwendige Randqualifikationen in Fremdsprachen, Marketing, Vertrieb, Recht oder Administration sowie durch die sogenannten Soft Skills wie Kommunikations- und Teamfähigkeit.


Fachkräftemangel wächst in allen Bereichen
Im Jahr 2000 wurden in Westeuropa 14,5 Millionen Experten mit den genannten Qualifikationen nachgefragt. Hiervon gehören 10,4 Millionen oder 72% zu den „klassischen“ ITK-Arbeitsplätzen. Ein besonders großer Bedarf besteht an erfahrenen Netzwerkspezialisten, Programmierern, Entwicklern sowie Beratern, die über gleichermaßen gute technische wie betriebswirtschaftliche Kenntnisse zur Analyse kundenorientierter Geschäftsprozesse verfügen. Auf das Segment E-Business entfallen europaweit 2,8 Millionen und auf den stark wachsenden Bereich Call-Center und Online Support 1,3 Millionen Arbeitsplätze. Von der Gesamtnachfrage nach ITK-, E-Business- und Call-Center-Spezialisten konnte 13% nicht befriedigt werden. Der Nachfrageüberhang umfasst in der Summe 1,87 Millionen Fachkräfte.

Bis zum Jahr 2003 wird der Bedarf an entsprechenden Experten europaweit auf 22 Millionen anwachsen. BITKOM-Vize Harms fürchtet, dass dann 18% der Stellen nicht besetzt werden können. „Jede sechste Stelle bleibt frei,“ warnt Harms. Besonders betroffen ist der Bereich E-Business. Die Studie geht davon aus, dass die Nachfrage nach E-Business-Spezialisten allein im Jahr 2001 um 40% steigen wird. Zwischen 2000 und 2003 sollen in diesem Sektor 3,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Die europäischen Bildungssysteme können allerdings nur 2,1 Millionen zusätzliche Experten zur Verfügung stellen. Jede dritte E-Business-Stelle kann deshalb im Jahr 2003 nicht oder nicht ausreichend qualifiziert besetzt werden.

Ein ebenso stürmisches Wachstum wird für den Arbeitsmarkt für Call-Center-Profis erwartet. In 2003 wird es etwa 30.000 Call-Center in Europa geben. Der Bedarf an entsprechend qualifizierten Fachkräften wird sich zwischen 2000 und 2003 von 1,3 auf 2,58 Millionen verdoppeln. Aufgrund der geringeren Qualifikationsanforderungen können die Bildungssysteme mit diesem Wachstum weitgehend Schritt halten. Nur etwa 7% der Nachfrage kann nicht befriedigt werden. 180.000 Stellen wird man nicht adäquat besetzen können. Zurzeit liegt die Qualifikationslücke noch bei 9%.


Bedarf in Deutschland am größten
Innerhalb Westeuropas verzeichnet Deutschland vor Großbritannien den stärksten Fachkräftebedarf. Zurzeit besteht in Deutschland eine Nachfrage nach 2,95 Millionen ITK-, E-Business- und Call-Center-Spezialisten. 444.000 oder 15% dieser Stellen können nicht adäquat besetzt werden. Bis zum Jahr 2003 wird die Nachfrage nach Experten auf 4,22 Millionen anwachsen. Diesem Zuwachs von 1,27 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen stehen lediglich 991.000 zusätzlich verfügbare Experten gegenüber. Die Qualifikationslücke vergrößert sich in Deutschland um 279.000 Experten oder 63%. Im Jahr 2003 werden hier zu Lande voraussichtlich 723.000 Stellen nicht adäquat besetzt werden können.


Für eine neue Bildungspolitik
Vor diesem Hintergrund mahnt Harms ein energisches Gegensteuern an. Mit der Green Card kamen innerhalb von nur sechs Monaten ebenso viele ITK-Spezialisten nach Deutschland wie alle deutschen Hoch- und Fachhochschulen im Jahr 2001 insgesamt an Informatikern diplomieren werden. Harms: „Diese Ergänzung des deutschen Arbeitsmarktes war überfällig und hat maßgeblich dazu beigetragen, die guten Berufschancen, die die neuen Technologien und ihre Anwendungen bieten, einer breiten Öffentlichkeit vor Augen zu führen.“ Letztlich handelt es sich aber hierbei um eine Maßnahme, mit der lediglich ein Teil des kurzfristigen Bedarfs gedeckt werden kann. Die langfristige Beseitigung des Mangels an qualifizierten Fachleuten muss nach Ansicht des BITKOM nun zur vordringlichsten Aufgabe der deutschen Politik werden. Harms: „Die Lösung des Fachkräfteproblems sichert nicht nur Arbeitsplätze. Sie hilft uns auch, unsere Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und Japan zu steigern.“ Kluge Köpfe sind Deutschlands wertvollste Ressource. Diese Ressource muss nun eingesetzt werden, um Wertschöpfung und hochqualifizierte Arbeitsplätze aus dem internationalen Raum anzuziehen. Die Verfügbarkeit von qualifizierten und engagierten Fachkräften ist ein entscheidendes Kriterium bei internationalen Standortentscheidungen. Hier gilt es kräftig aufzuholen. Ausbildung muss ein strategisches Element unserer Wirtschaftspolitik werden.

Gegenüber der Politik mahnt der BITKOM deshalb energische Reformen des Bildungssystems an. „Wenn wir auf die letzten fünf Jahre Bildungspolitik zurückblicken, so hat sich substantiell wenig geändert,“ äußert sich Harms.

Nach wie vor würden sich reformwillige Hochschulen in der Ministerialbürokratie verfangen. Die Studienzeiten lägen immer noch deutlich über dem internationalen Niveau ebenso wie die Studienabbrecherquoten. Modulare Studiengänge in Baukastenform seien Mangelware. Wir müssen der Globalisierung der Arbeitsmärkte und dem Wettbewerb der Bildungssysteme effektiver begegnen. Harms: „Wenn unser Bildungssystem nicht schneller auf die Herausforderungen des Internets reagiert, verpasst unser Standort für Jahre nachhaltige Wertschöpfungs- und Arbeitschancen.“

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM) Albrechtstraße 10 10117 Berlin Telefon: 030/27576-0 Telefax: 030/27576-400

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