Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Konjunktur kommt in Fahrt

(Berlin) - Deutschland steht am Beginn einer konjunkturellen Aufwärtsentwicklung. Die gesamtwirtschaftliche Produktion hat die Stagnation hinter sich gelassen und seit Jahresbeginn spürbar an Schwung gewonnen. Getragen von der weltwirtschaftlichen Erholung, ist die Exportdynamik zum Motor der Belebung geworden. Im Durchschnitt des Jahres 2004 wird ein gesamtwirtschaftliches Wachstum von 1,8 Prozent prognostiziert. Die konjunkturelle Rate liegt wegen der höheren Zahl von Arbeitstagen mit 1,3 Prozent merklich niedriger. Für den Jahresdurchschnitt 2005 ist mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um 2,1 Prozent zu rechnen. Zu diesem Ergebnis kommt das DIW Berlin in seinen Sommergrundlinien für die Jahre 2004 und 2005, veröffentlicht im Wochenbericht des DIW Berlin 28/29.

Zum Jahresbeginn 2005 dürfte die gesamtwirtschaftliche Dynamik in Deutschland ihren Höhepunkt erreichen. Dann wird sich auch ein Wechsel bei den Auftriebskräften vollziehen. Das konjunkturelle Wachstum wird beschäftigungswirksam, und der außenwirtschaftliche Impuls schlägt somit auf die privaten Konsumausgaben durch. Dadurch erholt sich die binnenwirtschaftliche Nachfrage. Dennoch kommt es zu keiner konsumgetriebenen Beschleunigung der Auftriebskräfte, da die Lohneinkommen nur moderat steigen und die Transfereinkommen sinken. Alles in allem dürfte der weltwirtschaftliche Impuls dafür sorgen, dass mit Verzögerung auch in Deutschland ein Aufschwung in Gang kommt, der zu steigender Beschäftigung führt.

Im Jahresdurchschnitt 2004 ist eine Abnahme um 95.000 Personen (-0,2 Prozent) zu erwarten. Im Zuge der Erholung erhöht sich im nächsten Jahr die Zahl um 200.000 (0,5 Prozent). Im Durchschnitt dieses Jahres wird die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 4,35 Millionen Personen betragen (-30.000 Personen zum Vorjahr). Im nächsten Jahr wird ein Rückgang um 75.000 Personen erwartet. Die Arbeitslosigkeit bleibt also nahezu unverändert hoch.

Der weltwirtschaftliche Aufschwung hat sich seit Jahresbeginn weiter gefestigt. Die gesamtwirtschaftliche Produktion ist in allen Regionen deutlich aufwärtsgerichtet - außer im Euroraum. Dort ist die Expansion noch verhalten. Insgesamt wird sich im Euroraum die gesamtwirtschaftliche Produktion in diesem Jahr voraussichtlich um 1,9 Prozent und im kommenden Jahr um 2,5 Prozent erhöhen. Die Teuerung entspricht in diesem Jahr mit 2,0 Prozent etwa dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB. Sie wird sich aber im kommenden Jahr wegen rückläufiger Energiepreise wieder auf 1,7 Prozent verringern. Die Arbeitslosenquote bleibt in beiden Jahren mit 8,7 Prozent (nach 8,9 Prozent in 2004) auch im kommenden Jahr noch hoch.

Gestützt wird die kräftige Expansion durch die vor allem in den USA und Japan, aber auch in Europa expansive Geldpolitik. Die weltwirtschaftlichen Aussichten sind im Prognosezeitraum günstig. Sowohl in den USA als auch in Asien dürfte der Aufschwung sich mit hohem, im kommenden Jahr etwas vermindertem Tempo fortsetzen. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt in den USA im Jahre 2004 um 4,7 Prozent steigen, nach 3,1 Prozent im Jahre 2003. Im Jahre 2005 dürfte sich das Wachstum mit einer Rate von 3,6 Prozent etwas verlangsamen. Die Inflationsrate wird in diesem Jahr 2,8 Prozent und im nächsten 2,6 Prozent betragen, nach 2,3 Prozent im Jahre 2003. In Japan wird die Wirtschaft in diesem Jahr um 4,6 Prozent und im Jahre 2005 um 2,7 Prozent wachsen.

Für die Wirtschaftspolitik in Deutschland, die noch vor einem halben Jahr in einer zäh stagnierenden Wirtschaft agieren musste, sind die Voraussetzungen dank des weltwirtschaftlichen Aufschwungs nunmehr günstiger geworden. Die Konjunktur hat die Wende zum Besseren geschafft, die hartnäckige Stagnation ist überwunden. Die gesamtwirtschaftliche Produktion nimmt wieder zu, wenn auch noch verhalten und im Wesentlichen von kräftigen Nachfrageimpulsen aus der Weltwirtschaft beflügelt. Indes ist die Binnennachfrage nach wie vor schwach, sie dürfte sich erst im späteren Prognosezeitraum beleben. Die Wirtschaftspolitik steht damit vor der Aufgabe, alles zu tun, um die aufkeimende Konjunkturbelebung zu sichern und mögliche Gefahren abzuwehren.

Eine große Gefahr besteht in einer überzogenen geldpolitischen Reaktion. Wenn die Lohnpolitik angemessen reagiert und keine Inflationsspirale in Gang kommt, braucht die Zentralbank trotz eines beschleunigten Preisanstiegs nicht einzugreifen und die Zinsen zu erhöhen. Denn in diesem Fall sind die höheren Inflationsraten nur ein temporäres Phänomen. Zudem wird die Konjunktur durch den Ölpreisschock eher belastet und es ergibt sich von der Nachfrageseite tendenziell ein Druck hin zu niedrigeren Preisen. Rasche Zinserhöhungen wären gegenwärtig Gift für die Konjunktur und könnten die sich gerade erst abzeichnende Belebung im Euroraum frühzeitig zum Stillstand bringen.

Auch in diesem Jahr wird die Finanzpolitik die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegte Obergrenze deutlich verfehlen. Das Defizit wird merklich sinken, dennoch voraussichtlich 3,2 Prozent des nominalen BIP betragen. Will die Finanzpolitik in Zukunft handlungsfähig bleiben, müssen die öffentlichen Haushalte auf mittlere Frist konsolidiert werden. Eine glaubhafte und realistische Politik kann allerdings nicht darin bestehen, sich Jahr für Jahr numerisch fixierte Defizitziele zu setzen, die nicht erreicht werden. Deshalb hat sich das DIW Berlin bereits mehrfach dafür ausgesprochen, für das Ziel der Haushaltskonsolidierung die Ausgabenseite stärker zu instrumentalisieren, indem eine verbindliche Ausgabenlinie vorgegeben wird. Dabei sollten die - stark konjunkturabhängigen - Zuschüsse des Bundes an die Arbeitslosenversicherung ausgeklammert bleiben. Ebenso wenig sollten die Ausgaben der gesetzlichen Sozialversicherungen Berücksichtigung finden. An dieser Ausgabenlinie müssten sich alle Überlegungen bei der Haushaltsaufstellung orientieren. Dies hätte zur Folge, dass die Ausgabenziele bei Konjunkturschwankungen nicht angepasst werden und die automatischen Stabilisatoren voll wirken könnten, also prozyklisches Verhalten vermieden werden könnte. Bei gegebenen Einnahmen, nicht aber in dynamischer Betrachtungsweise sind Ausgabenziel und Defizitziel identisch.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Renate Bogdanovic, Pressestelle Königin-Luise-Str. 5, 14195 Berlin Telefon: 030/89789-0, Telefax: 030/89789-200

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