Pressemitteilung | Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed)

Medizintechnischen Fortschritt in Kardiologie und Herzchirurgie "begleiten, nicht behindern" / BVMed-Innovationskonferenz zur Herz-Kreislauf-Medizin

(Berlin) - Die Fortschritte der Herz-Kreislauf-Medizin bieten verbesserte Behandlungsmöglichkeiten und damit längeres Leben sowie bessere Lebensqualität für die Patienten. Darauf wiesen die Präsidenten der Fachgesellschaften der Kardiologen, Prof. Dr. Christian Hamm, und der Herzchirurgen, Prof. Dr. Jochen Cremer, auf der diesjährigen BVMed-Innovationskonferenz "Fortschritt erLeben" am 24. September 2014 in Berlin hin. BVMed-Vorstandsmitglied Dr. Manfred Elff von Biotronik verwies auf die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit zwischen Klinikärzten und Industrie beim medizintechnischen Fortschritt in der Herzchirurgie und Kardiologie.

"Die Herz-Kreislauf-Medizin hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir heute länger leben", so Hamm. Dazu zählen medizintechnische Innovationen wie Herzschrittmacher, Stents oder minimalinvasiver Klappenersatz. Deutschland sei in den letzten Jahrzehnten sehr innovationsfreundlich gewesen. Derzeit würden aber verstärkt Hürden aufgebaut, die Innovationen erschweren, so die medizinischen Experten. Beispiel Telekardiologie: Die Studienlage ist überzeugend, die Technik sehr ausgereift. Und dennoch fehlt es noch immer an einer Abrechnungsziffer, kritisierte Telekardiologie-Experte Dr. Volker Leonhardt. Beispiel renale Denervierung bei Bluthochdruck: Hier verweigern die Krankenkassen die Erstattung auf der Grundlage einer einzigen Studie. Hamm und Cremer plädierten für einen "Schulterschluss der Ärzte und der Industrie auch mit den Krankenkassen", um Innovationen zu begleiten, nicht zu behindern.
Wichtig für den Nutzennachweis seien auch Registerprojekte, beispielsweise das umfassende deutsche Aortenklappenregister GARY, das eine hohe Aussagekraft über den Nutzen der Verfahren unter Alltagsbedingungen habe.

Dr. Manfred Elff, Mitglied des BVMed-Vorstands und Geschäftsführer bei Biotronik, bezeichnete die enge Kooperation der klinisch tätigen Ärzte und der Industrie als Voraussetzung für den medizintechnischen Fortschritt. Die Erfolge in der Herz-Kreislauf-Medizin seien in der Vergangenheit groß gewesen, es gebe nun aber in Deutschland zunehmend Stolpersteine bei der Umsetzung der Entwicklungen in die Versorgung. "Die Barrieren dürfen nicht dazu führen, echte Innovationen zu verzögern, nur um Geld zu sparen", so Elff. Er betonte die Bedeutung einer zuverlässigen Qualitätssicherung und einer indikationsgemäßen Anwendung der Innovationen nach Maßgabe der bestehenden Leitlinien.

Prof. Dr. Jochen Cremer, Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie des Universitätsklinikums Kiel und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, betonte, dass es in der Herzchirurgie klare Parameter für die Erfolgsmessung gebe. Dazu gehören Überleben, periprozedurale Komplikationen, Langzeitergebnisse und Lebensqualität der Patienten. Innovative Behandlungskonzepte müssten sich immer am etablierten Standardtherapieverfahren messen lassen. Es gebe aber Fälle wie "ultima ratio-Innovationskonzepte", die anders beurteilt werden müssten. Beispiel Kunstherz-Technologien für Patienten mit fortgeschrittener Herzschwäche: Da es zu wenige Spenderherzen gebe, seien diese auf Linksherz-Unterstützungssysteme angewiesen, um zu überleben. Hier gebe es einen großen medizintechnischen Fortschritt. Die Systeme würden immer kleiner und leistungsstärker. Wichtig seien produktbegleitende Analysen und Studien. Cremers zweites Beispiel: die Katheter-gestützte Aortenklappenimplantation (TAVI) bei schwerer Aortenstenose. Die Patienten würden immer älter, haben immer mehr Begleiterkrankungen, und trotzdem gebe es eine Abnahme der Sterblichkeitsraten nach dem Eingriff. Die Produkte und die chirurgischen Konzepte hätten sich dynamisch und erfolgreich weiterentwickelt. Wichtig sei es, die Innovationen auch wissenschaftlich zu begleiten. Dies sei bei TAVI durch das deutsche Aortenklappenregister (GARY) sichergestellt.

Prof. Dr. Christian Hamm, Direktor Kardiologie der Universitätsklinik Gießen und der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim sowie Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, beschrieb die großen Fortschritte beispielsweise bei den Kathetertechnologien. Dadurch liegen die Überlebenschancen beim akuten Herzinfarkt heute bei 90 bis 95 Prozent. 1950 lagen sie noch bei nur 50 Prozent.
"Das ist eine der größten Erfolgsgeschichten in der Medizin", so Hamm.
Deutschland sei bei der kathetergestützten Behandlung des Herzinfarktes gut aufgestellt, beispielsweise weit besser als Großbritannien mit seiner Staatsmedizin. Auch implantierbare Defibrillatoren zum Schutz vor dem plötzlichen Herztod seien zum Standard geworden. "Patienten haben dadurch eine deutlich bessere Lebenserwartung als ohne Implantat." Wenn Menschen nicht mehr am Herzinfarkt versterben, werden sie so alt, dass sie Herzklappenerkrankungen bekommen. Früher wurden ältere Patienten in den wenigsten Fällen behandelt.
Heute bietet der medizintechnische Fortschritt sehr gute Behandlungsmöglichkeiten, beispielsweise durch den Mitra-Clip bei Mitralklappeninsuffizienz oder den kathetergestützten Klappenersatz (TAVI) bei Aortenklappenstenose. Hamm: "Damit sind wir extrem erfolgreich, das alles kostet aber Geld."

Die Kostenträgerseite wurde repräsentiert von Jürgen Malzahn, Abteilungsleiter Stationäre Versorgung und Rehabilitation beim AOK Bundesverband. Die Fortschritte in der Herz-Kreislauf-Medizin seien unbestritten. "Wir müssen aber bei Innovationen genauer hinschauen, da nicht jede Innovation automatisch auch Fortschritt bedeutet und die Erwartungen erfüllt", so Malzahn. Qualitativ hochwertige Produkte müssten so schnell wie möglich beim Patienten ankommen. Auf der anderen Seite müssten minderwertige Produkte aber besser und frühzeitiger identifiziert werden. Bei der TAVI-Therapie forderte der Kassenvertreter einen "sinnvollen Einsatz gemäß spezifizierter Indikation". Außerdem müssten Konsequenzen aus Studienergebnissen gezogen werden. Zu den notwendigen Qualitätssicherungsmaßnahmen bei Hochrisiko-Medizinprodukten zählt Malzahn vergleichende Studien gegenüber dem Behandlungsstandard.

Einen Praxisbericht zur Behandlung von Herzklappenerkankungen gab Prof. Dr.
Hüseyin Ince, Klinikdirektor Innere Medizin, Kardiologie und konservative Intensivmedizin an den Berliner Vivantes-Kliniken Am Urban und im Friedrichshain. Der Goldstandard der hochgradigen Aortenklappenstenose sei nach wie vor die Chirurgie. Aber es gebe 30 bis 40 Prozent der Patienten mit diesem Krankheitsbild und Begleiterkrankungen, die nicht invasiv operiert werden könnten. "Diesen Patienten kann mit dem kathetergestützten Aortenklappenersatz geholfen werden", so Ince. Er verwies auf eine Reihe von Studien höchster Evidenz, bei denen bei einem Durchschnittsalter der Patienten von 83 Jahren die absolute Risikoreduktion bei 20 Prozent liege. "Das ist ein sensationelles Ergebnis. Industrie und Ärzte haben bei dieser Spitzen-Innovation tolle Arbeit geleistet", so der Kardiologe. Die Therapie schenke Patienten, die früher nicht behandelt werden konnten, Lebensjahre. Die Gesamtkosten für TAVI seien dabei nach US-Berechnungen niedriger als der chirurgische Eingriff. Als zweites Beispiel nannte Ince die Mitralklappenchirurgie. Patienten mit einer hochgradigen Mitralklappeninsuffizienz "stehen vor einem Erstickungstod". 49 Prozent der Patienten können aber wegen Begleiterkrankungen operativ nicht behandelt werden. Hier gebe es die Option des Mitral-Clips, der über die Leiste eingeführt wird. Gute Qualität sei hier in besonderem Maße abhängig von einem spezialisierten, erfahrenen Operateur. Wichtig sei zudem die gemeinsame Indikationsstellung durch den Kardiologen und den Herzchirurg. Die Studienlage sei sehr gut und die Innovation habe bereits Eingang in die Leitlinie gefunden.
Ince: "Das ist nicht nur eine Innovation, das ist eine Revolution."

Dr. Wolfgang Bocksch, Leiter der Herzkatheterlabore am Universitätsklinikum Tübingen, beschrieb die Fortschritte bei der Behandlung koronarer Herzerkrankungen (KHK). Es handelt sich dabei um eine durch Ablagerungen hervorgerufene Verengung der Herzkranzgefäße. Die perkutane Koronarintervention (PCI) mit Einsetzen eines Stents sei heute Standardtherapie des akuten Myokardinfarktes mit signifikanter Senkung der Sterblichkeit. Unter Verwendung der neuen Generation von Drug-Eluting-Stents (DES) seien alle anatomischen Varianten der KHK derzeit sicher und effektiv behandelbar. Die Restenoserate liege bei nur noch 0,16 Prozent. Lediglich Patienten mit komplexer Mehrgefäßerkrankung seien Kandidaten für die operative Koronar-Revaskularisation. "Innovationen wie bioresorbierbare Polymere, bioresorbierbare Stents, Drug-eluting Balloon und Verbreitung des schonenden transradialen Zugangs werden zur weiteren Perfektionierung und Verbreitung der PCI führen", so Bockschs Ausblick. Insbesondere der zunehmend ältere, polymorbide Patient werde von der Weiterentwicklung der PCI profitieren.

Prof. Dr. Stefan Sack, Chefarzt der Klinik für Kardiologie am Münchner Klinikum Schwabing, beleuchtete neue Entwicklungen in der interventionellen Kardiologie. Führende Krankheitsbilder in der Kardiologie seien Herzklappenerkrankungen, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern und KHK. Die Trends neuer Medizintechnologien seien "minimal invasiv, weniger schmerzhaft, kleine Zugänge, schnelle Erholung". Der Nutzennachweis über klinische Studien sei allerdings sehr langsam. Die Verfahren bei der Ethikkommission seien langwierig.
Es sollten deshalb Wege gefunden werden, um die CE-Kennzeichnung und den klinischen Nutzennachweis zeitgleich vorantreiben zu können. Sack plädierte für eine bessere Koordination der Förderaktivitäten, für einen intensiven Dialog zwischen Wissenschaft und Industrie, die Einbindung der Fachgesellschaften und eine bessere Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Die Zukunft seines Berufes sieht Sack in gemeinsamen Herz-Teams aus Kardiologen und Herzchirurgen mit einem neuen "Facharzt für kardiovaskuläre Medizin", der in einem Hybrid-OP arbeitet.

Dr. Volker Gerhard Leonhardt, Ärztlicher Leiter des Herzschrittmacher- und ICD-Zentrums und der Zentrale für Telemedizin in Berlin, stellte die Telekardiologie mit implantierten Devices vor. Sein Zentrum betreibt telemedizinische Nachsorge von rund 950 Patienten mit Herzschrittmachern, CRT-Geräten, implantierten Defibrillatoren oder Ereignisrekordern. Vorteil ist die zeitnahe Verifizierung von Fehlfunktionen, Herzrhythmusstörungen und sonstigen kardialen Befunden. Alle Behandlungsrelevanten Informationen sind verfügbar "wo und wann immer sie gebraucht werden", so Leonhardt. Dadurch könne beispielsweise der Schlaganfall als Folge des Vorhofflimmerns verhindert werden. Die Vorgaben der Politik zur Förderung der Telemedizin seien eindeutig.
Die verfügbaren Telemedizin-Systeme arbeiteten optimal. Die Studienlage sei überzeugend, sodass die Telekardiologie auch in die europäische Leitlinie mit dem höchsten Evidenzlevel aufgenommen wurde. Die Patientenbeispiele seien anschaulich und die Patienten begeistert. "Dennoch ist die Kostensituation nach wie vor ungeklärt", so der Telekardiologie-Experte kritisch. Es gebe noch immer keine telemedizinische Abrechnungsposition im EBM, obwohl die gesetzliche Verpflichtung seit über zwei Jahren besteht. Und das, obwohl Studien die Einsparpotenziale durch Telemedizin verdeutlichten. Leonhardts zugespitztes
Fazit: "Bei der Technik haben wir Designerschuhe, bei der Kostenübernahme nur das Level von Flip-Flops."

Quelle und Kontaktadresse:
Bundesverband Medizintechnologie e.V. (BVMed) Pressestelle Reinhardtstr. 29b, 10117 Berlin Telefon: (030) 246255-0, Fax: (030) 246255-99

(sy)

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