Pressemitteilung | Deutscher Journalisten-Verband e.V. (DJV) - Bundesgeschäftsstelle

Neuntes Herbstforum der Initiative Qualität: Mit Qualität gegen Lügen und Hass im Netz

(Berlin) - Debatten im Internet und vor allem in sozialen Online-Netzwerken werden zunehmend von gezielten Falschmeldungen, Propaganda, Hass und Hetze geprägt. Das verändert die Kommunikation in unserer Gesellschaft und bedroht die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Beim Neunten Herbstforum der Initiative Qualität im Journalismus (IQ) haben am 16. Oktober in Berlin etwa achtzig Branchen-Experten darüber diskutiert, was Medien-Akteure ändern müssen, um Fake News und Vertrauensverlust, Desinformation und Denunziation zu verhindern. Im Mittelpunkt der vom Journalisten Werner Lauff moderierten Tagung standen das Spannungsverhältnis zwischen Fake und Fakten sowie redaktionelle Strategien im Umgang mit Hassbotschaften.

Der Programmdirektor des Deutschlandradios, Andreas-Peter Weber, sagte zum Auftakt der Tagung, Lügen und Hass hätten ebenso wie Propaganda und gezielte Falschmeldungen schon immer zur Menschheitsgeschichte gehört. Was sich verändert habe, seien Form und Art ihrer Verbreitung.

Sogenannte "Quellen" im Netz befeuerten Verschwörungstheorien, und soziale Online-Netzwerke führten bei diesem Prozess zu deren "Weiterleitung in rasendem Tempo, rund um den Globus". Journalisten müssten deshalb umso entschiedener "hinterfragen und nachbohren". Guter Journalismus, so unterstrich Weber, könne nur erfolgreich sein, wenn er dauerhaft besser sei als das, was seine "lautstarken Kritiker" zu bieten hätten.

Tanjev Schultz, Journalistik-Professor der Johannes Gutenberg- Universität Mainz, erklärte in einem Impulsreferat, das Misstrauen gegenüber den Medien habe zugenommen. Dies äußere sich bei den Rezipienten etwa in Form von Skepsis, Gleichgültigkeit oder gar Zynismus. Zugleich aber werde bei der Auseinandersetzung mit Effekten des sinkenden Medienvertrauens oft zu pauschal und undifferenziert geurteilt. Schultz ist Mitautor einer Studie, die den Vertrauensverlust der Medien relativiert und differenziert. Die Untersuchung zeigt, wie sehr bei einem Teil der Bevölkerung das Misstrauen gegenüber den Medien wächst und das Vertrauen sinkt. Zugleich aber sei auch der Anteil derjenigen, die den Medien "voll und ganz vertrauen", gestiegen. Nun komme es darauf an, das Publikum, das sich zwischen diesen beiden Polen befinde, von der Glaubwürdigkeit der Medien zu überzeugen.

Schultz präsentierte zentrale Ergebnisse der repräsentativen telefonischen Befragung, die im Oktober und November 2016 durchgeführt wurde: Insgesamt 27 Prozent der Erwachsenen stimmten damals der Aussage zu, Medien und Politik würden Hand in Hand arbeiten, um die Bevölkerungsmeinung zu manipulieren. 18 Prozent, so referierte Schultz, hätten vor einem Jahr geglaubt, dass Flugzeuge im Auftrag von Regierungen Chemikalien versprühen würden, um Wetter und Klima zu verändern. Und jeweils 17 Prozent hätten sich der Meinung angeschlossen, die Amerikaner seien in Wirklichkeit nie auf dem Mond gelandet und die Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 seien von den USA selbst inszeniert worden. Mit welchen Mitteln Medien beim sogenannten Fact Checking gegen gefälschte Nachrichten und solche Verschwörungstheorien kämpfen können, erklärten Expertinnen von ARD und Correct!v. Rike Woelk ist als stellvertretende Redaktionsleiterin von tagesschau.de auch zuständig für das Anti-Fake-News-Portal faktenfinder.tagesschau.de. Sie verwies darauf, meist gehe es nicht um komplett falsche Nachrichten, die über Social Media verbreitet würden, sondern um eine Verfälschung von Informationen oder Fakten, die aus dem Zusammenhang gerissen seien.

Jutta Kramm berichtete als Leiterin des Fact-Checking-Ressorts beim Recherchezentrum Correct!v von ersten Ergebnissen der Kooperation mit Facebook. Seit Mitte August funktioniere die Zusammenarbeit "ganz gut". Das Projekt befinde sich noch in einer Probephase. Correct!v erhalte von Facebook Hinweise auf Inhalte, die von Nutzern als problematisch eingestuft worden seien, und prüfe dann die Fakten. Die Ergebnisse solcher Fakten-Checks, so waren sich die beiden Expertinnen einig, müssten vor allem da präsentiert werden, wo Fakes und Desinformation ihre Ursache hätten: bei Facebook und Twitter.

"Wir müssen die Menschen dort erreichen, wo sie Medien nutzen", forderte der Medienfachjournalist Stefan Niggemeier (Bildblog.de, uebermedien.de). Er bezeichnete es als großen Vorteil von Fact-Checking- Plattformen, dass sie Themen aufgreifen, die direkt aus dem Publikum kommen. Der Journalist und Filmemacher Mario Sixtus zeigte sich eher skeptisch: Oft setzten sich Fakten trotz aller Belege nicht durch, weil Menschen Informationen nur selten wirklich rational verarbeiteten. Stephan Ruß-Mohl, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Lugano, appellierte an die klassischen Medien, sie müssten mehr über ihre Arbeitsweise aufklären. In Bezug auf Facebooks Umgang mit Fact-Checking-Ergebnissen meinte er: "Wir wissen nicht, wie Facebook mit gemeldeten Fake News umgeht." Darüber lagen auch der Correct!v-Expertin Kramm keine konkreten Erkenntnisse vor.

Ähnlich problematisch wie der richtige Umgang mit falschen Nachrichten und Lügenpresse-Vorwürfen ist für Redaktionen inzwischen das Thema Hate Speech. Ellen Wesemüller, die seit September das Projekt "No Hate Speech" bei den Neuen deutschen Medienmachern (NdM) leitet, definierte Hate Speech als sprachliche Handlung, die das Ziel verfolge, "Einzelpersonen oder Gruppen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten (benachteiligten) Teil der Öffentlichkeit abzuwerten oder zu bedrohen" - beispielsweise aus Rassismus, Sexismus oder Homophobie. Wesemüller wies darauf hin, dass immer mehr Journalistinnen und Journalisten von Hate Speech betroffen seien.

Eine Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld ergab im vergangenen Jahr, dass sich 42 Prozent der befragten Journalistinnen und Journalisten entsprechenden Angriffen ausgesetzt fühlten. Etwa ein Viertel der Befragten berichtete von "mehrmaligen bis regelmäßigen Angriffen". Zwei Drittel urteilten, die Zahl hasserfüllter Reaktionen habe in den vergangenen zwölf Monaten deutlich zugenommen. Das NdM-Netzwerk ist Teil der Kampagne No Hate Speech Movement, die vom Europarat initiiert wurde. Wesemüller betonte, innerhalb der Redaktionen seien verstärkt Integrität und Solidarität gefragt. Juristische Beratung und Argumentationsleitfäden könnten dabei helfen, sich gegen Hate Speech zu wehren. Wer die Kommentarfunktion bei Online-Artikeln für Hass oder Hetze missbrauche, müsse ausgesperrt werden. Weitere Mittel im Umgang mit unqualifizierten Hassbotschaften könnten Gegenrede, Transparenz oder humorvolle Ironie sein, sagte Wesemüller.

Über alltägliche Erfahrungen mit unsachlichen Leserkommentaren berichteten Heinrich Maria Löbbers und Andreas Völkel. Einerseits gelte es, mit Nutzern ins Gespräch zu kommen. Andererseits aber würden Journalisten häufig nicht nur beleidigt, sondern sogar bedroht. Löbbers ist Mitglied der Chefredaktion der "Sächsischen Zeitung" und erklärte, bei vielen Themen könne online keine Kommentarfunktion mehr angeboten werden, weil das Hass und Hetze schüre. Andreas Völkel, einer der Gründer des hyperlokalen Dortmunder Online-Portals nordstadtblogger.de, schilderte Versuche, bei fremdenfeindlichen und rechtsradikalen Kommentaren die Community so zu informieren, dass direkt aus den sozialen Online-Netzwerken Protest gegen Hass und Hetze mobilisiert werde.

Andreas Vogel (Wissenschaftliches Institut für Presseforschung und Publikumsanalysen) beschäftigte sich unter dem Titel "Wortgewalt(ig)" für die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Thema Journalismus und Online- Kommentare. Er bezeichnete Leserkommentare trotz der kritisierten Hass- Kampagnen grundsätzlich als "große Chance". Was die Beziehungen zwischen Redaktion und Rezipienten stärke, sei Gold wert. Allerdings fehle es an Erkenntnissen über die Lebenswelten großer Bevölkerungsteile. "Wir müssen uns als Gesellschaft über kommunikative Grundlagen verständigen", lautete die Analyse von Wiebke Loosen. Die Mitarbeiterin des Hans-Bredow-Instituts und Privatdozentin der Universität Hamburg vertrat die These, der Journalismus habe als Verkünder von Wahrheiten an Akzeptanz verloren. Künftig müsse es den Medien vor allem um das Vergleichen und Bewerten von Wahrheiten gehen, um die Vertrauenskrise zu überwinden.

IQ-Sprecherin Ulrike Kaiser resümierte zum Abschluss der Veranstaltung, differenzierte Medienberichterstattung habe es in Zeiten von Shitstorms und Pöbeleien auf der einen und redaktionellen Einsparungen auf der anderen Seite schwer. Nur mit Qualität, Transparenz und einer professionellen Solidargemeinschaft könne es auf Dauer gelingen, die gesellschaftliche Position und Funktion von Journalismus zu sichern.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Journalisten-Verband e.V. (DJV) Pressestelle Torstr. 49, 10119 Berlin Telefon: (030) 7262792-0, Fax: (030) 7262792-13

(wl)

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