Pressemitteilung | SPECTARIS. Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik e.V.

Nutzenbewertung in der Medizintechnik: Studiendesigns dringend gesucht! / SPECTARIS-Jahrestagung am 22. September 2015

(Berlin) - Rund 70 Mitglieder und Gäste sind der Einladung des Fachverbandes Medizintechnik im Industrieverband SPECTARIS zu dessen Jahrestagung ins Karl Storz Besucherzentrum in Berlin gefolgt.

Spannend und gewollt kontrovers wurde das brandaktuelle Thema "Nutzenbewertung in der Medizintechnologie: Innovationshemmend, aber notwendig?" diskutiert. Durch die Tagung führte Peter Reinhardt, Chefredakteur von DeviceMed, der gleich zu Beginn leicht provokativ die Frage in den Raum stellte, ob der Titel der Tagung nicht auch "Nutzenbewertung: Notwendig, aber innovationshemmend?" lauten könnte.

Dr. Simone Breitkopf, Alcon Pharma, sowie Hans-Peter Bursig, ZVEI Fachverband Medizintechnik, vertraten die Industriesicht und warnten bei der Einführung der frühen Nutzenbewertung von Medizinprodukten bzw. von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unter Verwendung von Medizinprodukten vor den Fehlern bei der Einführung der Nutzenbewertung im Pharmabereich. Medizinprodukte würden sich in ihrer Wirkweise und Anwendung wesentlich von Arzneimitteln unterscheiden, diese Unterschiede müssten sich auch in den Methoden zum Nutzennachweis widerspiegeln. Schon allein deshalb könne man Methoden zur Nutzenbewertung aus dem Pharmabereich nicht 1:1 auf Medizintechnik übertragen. Die kurzen Innovationszyklen in der Medizintechnik und der fehlende Patentschutz würden mehrjährige prospektive Studien wirtschaftlich unmöglich machen. Insbesondere kleinere Unternehmen könnten sich aufwändige Studien nicht leisten, sodass die Gefahr gesehen wird, dass sich die Marktstruktur nachhaltig verändern wird, wenn diese Unternehmen im Markt nicht mehr bestehen können.

Professor Rychlik, Leiter des Instituts für Empirische Gesundheitsökonomie in Burscheid, stellte heraus, dass die methodische Überarbeitung des Forschungsrepertoires der Medizintechnikindustrie auch zu einer verstärkten Akzeptanz und einem sinnvolleren Marketing beitragen könne. Er appellierte an die Hersteller von Medizinprodukten, eine "value story" für das eigene Produkt zu bauen. Gleichzeitig wies er auch darauf hin, dass der Dialog aller Betroffener miteinander wichtig sei, um die Fehler bei Einführung des AMNOG nicht zu wiederholen.

Der GKV-Spitzenverband, vertreten durch Dr. Matthias Dettloff, begrüßte dagegen die durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz eingeführte Nutzenbewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die auf der Anwendung von Hochrisiko-Medizinprodukten beruhen und erhofft sich dadurch, dass bestehende Evidenzlücken frühzeitig geschlossen werden können.

Ähnlich argumentierte auch Dr. Stefan Sauerland, IQWiG, und verteidigte dabei auch eine Nutzenbewertung neuer Medizintechnologien auf Basis randomisierter Studien (RCT) als methodisch machbar und sinnvoll. Eine frühe Nutzenbewertung sei vor allem dann erforderlich, wenn es sich um risikoreiche Behandlungsformen handeln würde, die komplett neu sind. Der neue §137h SGB V trage dazu bei, Patienten vor möglicherweise schädlichen Therapien zu schützen. So könnten auch die nach Auffassung des IQWiG zu niedrigen Zulassungsschwellen bei der CE-Kennzeichnung aufgefangen werden. Um den Unternehmen ein wenig die Sorge vor dem Thema Nutzenbewertung zu nehmen, wies Dr. Sauerland zudem darauf hin, dass nur ein Bruchteil der Medizinprodukte überhaupt dem neuen 137 h unterliegen werde. Der Gemeinsame Bundesausschuss würde mit 10 bis 15 Bewertungsverfahren pro Jahr rechnen.

Auch Professor Friedrich Köhler, Charité Zentrum für kardiovaskuläre Telemedizin, hat sich für mehr RCTs in der Medizintechnik ausgesprochen. In der Medizintechnik seien RCTs fundamental, auch wenn sie mitunter teuer und lange sind. Gleichzeitig wies er aber darauf hin, dass auch RCTs längst nicht bei allen Produkten erforderlich oder angemessen seien. Wichtig sei in diesem Zusammenhang aber, dass Studien grundsätzlich schneller durchgeführt werden müssten.

Die interessante Diskussion verdeutlichte, dass man sich zwar weitestgehend einig darüber ist, dass es Nutzenbewertung auch in der Medizintechnik - zumindest bei Hochrisiko-Medizinprodukten - künftig verstärkt geben wird und diese auch oftmals berechtigt sind. Kontrovers gesehen wird jedoch nach wie vor, welches Studiendesign angemessen ist. Während ein Teil der wissenschaftlichen Meinung RCTs als Goldstandard auch in der Medizintechnik ansieht, folgt ein anderer Teil dieser Meinung nicht und hält wie die Industrie randomisierte klinische Studien in einer Vielzahl der Fälle für ökonomisch oder medizinisch nicht sinnvoll oder ethisch vertretbar. Es müssten demnach erst noch Studiendesigns gefunden und entwickelt werden, die den Besonderheiten von Medizinprodukten ausreichend Rechnung tragen, so ein Teilnehmer der Tagung.

Einigkeit bestand jedoch auch darin, dass die Medizintechnik erst ganz am Anfang der Diskussion um mehr Nutzennachweise steht. Nicht zuletzt deshalb wird sich SPECTARIS und die Industrie in den nächsten Wochen und Monaten intensiv mit dieser Thematik beschäftigen, konstruktiv mitarbeiten und sich bei der Suche nach einem passenden Studiendesign beteiligen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien e.V. (SPECTARIS) Markus Wolters, Öffentlichkeitsarbeit Werderscher Markt 15, 10117 Berlin Telefon: (030) 414021-0, Fax: (030) 414021-33

(cl)

NEWS TEILEN: