Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Öffentliche Haushalte 2002/2003: Steuerausfälle konterkarieren Sparkurs / Höhere Defizite drohen

(Berlin) - Die Finanzpolitik befindet sich in einer ausgesprochen schwierigen Situation. Die Bundesregierung hat sich gegenüber der EU-Kommission und dem ECOFIN-Rat verpflichtet, die öffentlichen Haushalte bis 2004 nahezu auszugleichen. Die Klemme, in der sich die Finanzpolitik derzeit befindet, ist freilich nicht allein auf die europäischen Regelungen und die Steuerreform zurückzuführen. Noch immer leiden die öffentlichen Haushalte unter dem finanzpolitischen Kardinalfehler, der bei der Finanzierung der Vereinigungslasten gemacht worden ist: Statt rasch und in ausreichendem Umfang die Steuern anzuheben, wurde auf staatliche Verschuldung gesetzt, mit der Folge, dass die Zinsausgaben drastisch in die Höhe geschnellt sind.

In seinem aktuellen Wochenbericht 35/2002 stellt das DIW Berlin fest, dass dieses Ziel nur schwer zu erreichen ist, obwohl Bund, Länder und Gemeinden eine restriktive Ausgabenpolitik betreiben. Neuerlich zeichnen sich hohe Steuerausfälle ab, und auch die arbeitsmarktbezogenen Ausgaben steigen kräftig. Das DIW Berlin schätzt das Defizit bei Bund, Ländern und Gemeinden für dieses Jahr auf 57 Mrd. Euro; dies sind 10 Mrd. Euro mehr als 2001. Im nächsten Jahr kann mit einem deutlichen Rückgang - auf 45 Mrd. Euro - gerechnet werden. Dabei handelt es sich um Daten der Finanzstatistik. In Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR), die für die Maastricht-Kriterien maßgeblich ist, werden die Fehlbeträge voraussichtlich noch höher sein. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Staatsdefizit in diesem Jahr die Grenze von 3 % erreicht oder sogar geringfügig überschreitet. Hierbei sind die Folgen der Flutkatastrophe für die öffentlichen Haushalte noch nicht berücksichtigt. Gemäß den Verträgen von Maastricht bleibt dieser Teil des Defizits sanktionsfrei.

Die Steuereinnahmen werden in diesem Jahr mit 444 Mrd. Euro erneut hinter dem Vorjahr zurückbleiben (-0,5 %). Für das kommende Jahr wird ein Zuwachs um reichlich 4 % prognostiziert. Dies bedeutet gegenüber den Berechnungen des „Arbeitskreises Steuerschätzungen“ vom Mai dieses Jahres Mindereinnahmen von 10,5 Mrd. Euro in diesem Jahr und fast 11 Mrd. Euro im kommenden Jahr. Wird - wie geplant - die zweite Stufe der Steuerreform verschoben, dann beträgt die Zunahme knapp 6 %.

Nach der hier vorgelegten Schätzung werden die Ausgaben aller Gebietskörperschaften in diesem Jahr um 1,5 %, im nächsten Jahr um knapp 1 % steigen. Es wird vor allem von den Ergebnissen der Tarifgespräche abhängen, ob die sehr eng gesteckten Ausgabenziele erreicht werden. Die öffentlichen Investitionen dürften wiederum drastisch gekürzt werden. Hingegen werden die Transferzahlungen überdurchschnittlich steigen. Aus heutiger Sicht dürfte der Bund sein Ziel, das Finanzierungsdefizit in diesem Jahr auf 24 Mrd. Euro zu begrenzen, deutlich verfehlen. Nach der Schätzung des DIW Berlin wird der Fehlbetrag 29 Mrd. Euro betragen. Erst im nächsten Jahr dürfte er das bereits für dieses Jahr anvisierte Defizitziel erreichen. Länder und Gemeinden werden trotz einer sehr restriktiven Ausgabenpolitik mit fast 21 Mrd. Euro bzw. reichlich 5 Mrd. Euro noch höhere Defizite als im vergangenen Jahr hinnehmen müssen. Erst 2003 ist eine gewisse Entlastung in Sicht.

Zur Finanzierung der Schäden der Flutkatastrophe plant die Bundesregierung, die zweite Stufe der Steuerreform auf das Jahr 2004 zu verschieben und die Körperschaftsteuer befristet um 1,5 Prozentpunkte anzuheben. Hierdurch könnten Mittel in Höhe von bis zu 7,5 Mrd. Euro freigesetzt und einem Sonderfonds zugeführt werden. Politisch ist dies eine elegante Lösung; noch sind die Steuerbürger nicht in den Genuss der Entlastung gekommen, und es müssen ihnen via Steuererhöhung keine Belastungen aufgebürdet werden. Aus konjunkturellen Gründen sind per saldo eher positive Wirkungen zu erwarten, denn Steuersenkungen stimulieren die Nachfrage nur in dem Maße, wie die Mittel von den privaten Haushalten nicht gespart werden. Im Falle öffentlicher Ausgaben werden aber alle Mittel direkt nachfragewirksam, und zwar in erster Linie in den geschädigten Regionen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5 14195 Berlin Telefon: 030/897890 Telefax: 030/89789200

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