Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

PISA-E: Innerdeutsche Leistungsgefälle signifikant / Jede Menge bildungspolitische Hausaufgaben

(Köln) - Mit der nationalen Bildungsvergleichsstudie PISA-E (Programme for International Student Assessment – das E steht für Erweiterungsstudie) können erstmals die Schulleistungen 15-Jähriger in den einzelnen Bundesländern verglichen werden. Die Unterschiede sind eklatant: So können sich die Pennäler in Bayern mit denen in Schweden messen, das im internationalen Vergleich einen guten neunten Platz errang. Die Schüler in Bremen halten dagegen allenfalls mit den Gleichaltrigen aus Mexiko mit, das weit abgeschlagen auf Rang 29 landete.

Wie in der internationalen Bildungsvergleichsstudie PISA, bei der Deutschland einen unrühmlichen 21. Platz unter insgesamt 32 untersuchten Ländern belegte, prüften die PISA-Forscher auch bei den nationalen Ergänzungstests 15-jährige Schüler auf ihre Lesekompetenz sowie mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung. Bundesweit absolvierten über 48.000 Jugendliche die Testaufgaben der OECD. Einzig in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg wurden nur die Gymnasien untersucht, weil nicht genügend Schüler an der Studie teilnahmen. Die anderen Länder machten die Tests vollständig – mit mehr oder weniger Erfolg: In der Gesamtwertung führt Bayern, gefolgt von Baden-Württemberg und Sachsen. Am schlechtesten schnitten Sachsen-Anhalt, Brandenburg sowie Bremen ab. Die Werte im Einzelnen:

- Lesekompetenz. In dieser Kategorie ließen die Youngster aus Deutschlands Süden die Mitstreiter aus den anderen Bundesländern deutlich hinter sich. Die bayerischen Schüler können als einzige auch der internationalen Konkurrenz Paroli bieten – mit 510 Punkten lagen sie etwas über dem OECD-Schnitt. Die Plätze zwei und drei belegten Baden-Württemberg und Sachsen, die immerhin noch an den internationalen Durchschnitt herankamen. Die Leistungen der Schüler aus den restlichen elf Bundesländern rangierten teilweise deutlich unterhalb des OECD-Mittels. Der Leistungsabstand zwischen dem PISA-E-Schlusslicht Bremen und dem Spitzenreiter Bayern macht in puncto Lesen fast zwei Schuljahre aus. Das dürftige Abschneiden der hiesigen Schüler beim Leseverständnis geht auf einen überproportional hohen Anteil sehr schwacher Schüler zurück –diese jungen Leute verfügen in der Regel nur über ein oberflächliches Verständnis einfach geschriebener Texte. In Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Bremen zählt sogar jeder vierte 15-Jährige zu dieser Risikogruppe.

- Mathematische Grundbildung. In dieser Kategorie konnten die Schüler in Sachsen, Thüringen und Rheinland-Pfalz mit dem internationalen Durchschnitt mithalten. Die Ergebnisse in Bayern und Baden-Württemberg lagen zwar deutlich darüber, reichten aber nicht an die internationale Spitzengruppe heran. Für sich genommen würden die Bayern Platz elf belegen, Baden-Württemberg Platz 15, Bremen hingegen nur Platz 27.

- Naturwissenschaftliche Grundbildung. Auch in dieser Wertung schnitten die bayerischen, baden-württembergischen und sächsischen Pennäler besser ab als die in anderen Bundesländern, wenngleich es hier international nur für das Mittelfeld langte. Bayern landete im OECD-Vergleich auf Rang zwölf, Bremen auf Platz 25.
Im Rahmen von PISA-E wurden die Gymnasien gesondert getestet. Dabei fuhren die Schüler in Bayern, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg die besten Ergebnisse ein. Berlin und Hamburg – nur in diesem Ranking vertreten – erzielten zumindest durchschnittliche Resultate. Manches Land konnte im Wettbewerb der höheren Schulen sogar einen erstaunlichen Sprung machen: Die niedersächsischen Gymnasien standen im Vergleich zu den anderen allgemein bildenden Schulen dort um sieben Plätze besser da. Die hessischen Gymnasien hingegen rutschten auf den elften Rang ab.

Das unterschiedliche Abschneiden der einzelnen Bundesländer stellt viele Experten vor Rätsel, denn messbare Indikatoren wie die Ausgaben für das Bildungswesen oder die Unterrichtsversorgung geben keine eindeutigen Hinweise auf das Warum:

1. Bildungsinvestitionen. Natürlich ist Spitzenleistung nicht zum Nulltarif zu haben – Gutes muss aber auch nicht gleich teuer sein. Das Abschneiden in der PISA-Studie lässt sich jedenfalls nicht auf die Ausgaben der Länder für das Schulwesen zurückführen, gibt es da doch große Unterschiede: PISA-Schlusslicht Bremen gab im Jahr 1999 mit 5.700 Euro pro Schüler am meisten für die allgemein bildenden Schulen aus – das erstplatzierte Bayern kam mit 4.800 Euro hin. Mit 3.900 Euro am wenigsten gaben Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern je Schüler aus – landeten im Ranking aber auf den Plätzen drei und zehn.

- Unterrichtsumfang. Thüringen, Bayern und Sachsen schreiben eine vom Umfang her überdurchschnittliche Unterrichtsversorgung vor. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland – auf Platz zwei, fünf und sechs des Rankings – setzen eher auf mittlere Stundentafeln, mit ebenfalls sehr guten bis guten Leistungen. Über neun Schuljahre hinweg werden die Schüler in diesen Ländern etwa ein halbes Schuljahr weniger unterrichtet als in Bayern. Allerdings ist eine lange Unterrichtszeit nicht automatisch ein Erfolgsgarant. So drücken die Jugendlichen in Mecklenburg-Vorpommern die Schulbank deutlich länger als im Bundesschnitt, dennoch reichte es für das Küstenland nur zu einem zehnten Rang. So viel Widersprüchliches verlangt nach Erklärung. Die PISA-Studie macht das innerdeutsche Leistungsgefälle denn auch an anderen Faktoren fest:

- Viele Migranten. PISA zeigt: Deutsche Sprache, schwere Sprache. Dass viele Jugendlichen beim Lesen nur Bahnhof verstehen, liegt auch an der Herkunft: In allen Bundesländern finden sich unter den schwächsten Schülern mindestens doppelt so viele Jugendliche mit wenigstens einem ausländischen Elternteil wie mit in Deutschland geborenen Eltern. Der Anteil der 15-jährigen Jugendlichen mit fremdem Pass schwankt zwischen 14 Prozent in Schleswig-Holstein, über 30 Prozent in Hessen und Nordrhein-Westfalen, und fast 40 Prozent in Bremen. Betrachtet man nur die Schüler mit ausländischer Herkunft, schneiden Bayern und Baden-Württemberg erneut am besten ab.

- Wenig Breitenförderung. Die PISA-Forscher erklären die auffallend großen Leistungsunterschiede in den Bundesländern auch damit, dass hierzulande wenig in puncto Breitenförderung geschieht und leistungsschwachen Schülern zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Kinder, die noch nicht reif fürs Schulleben erscheinen, müssen eher ein Jahr warten, anstatt dass sie auf die Schule vorbereitet werden; Schüler, die die notwendigen Leistungen nicht erbracht haben, drehen eine Extra-Runde oder wechseln die Schulform, anstatt dass ihnen unter die Arme gegriffen wird: Ein Drittel aller 15-jährigen Schüler in Westdeutschland ist mindestens einmal sitzen geblieben oder wurde verspätet eingeschult. Im Verlauf der zehnjährigen Schulzeit erhöht sich diese Quote sogar auf über 40 Prozent. Zudem werden ausländische Kinder häufiger als andere verspätet eingeschult und wiederholen wesentlich öfter die Klasse. Die deutsche Bildungspolitik steht so vor einem Berg Hausaufgaben. Wie sich dieser bewältigen lässt, deutet die PISA-Studie an:

- Zentrale Abschlussprüfung. Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen verfügen allesamt über Schulsysteme, die die Vergabe eines formalen Schulabschlusses an die erfolgreiche Teilnahme einer – zumeist zentralen – Abschlussprüfung knüpfen. Zu empfehlen ist daher, auf Länderebene ein hinreichendes Standardniveau über Abschlussprüfungen zu sichern und die schwächeren Schüler mehr zu fördern.

- Evaluation. Das schlechte Abschneiden vieler Länder bei PISA-E sollte auch eingefleischten Skeptikern die Augen öffnen. Durch Leistungsvergleiche lässt sich der Wettbewerb zwischen den Schulen erhöhen, Stärken und Schwächen einer Schule können ermittelt und so die Unterrichtsqualität verbessert werden.

- Mehr Eigenverantwortung. Schulen mit größeren, klar definierten Gestaltungsfreiräumen entwickeln sich laut PISA eher zu besseren Schulen als solche in bürokratisch geführten Systemen. Schulleitungen sind als Manager und Unternehmer mehr gefordert und die Lehrer als kreative, vielseitige Akteure –Unterricht nach Vorschrift wird dann Vergangenheit sein.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88 50968 Köln Telefon: 0221/49811 Telefax: 0221/4981592

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