Pressemitteilung |

Patientenvertretungen unterliegen im Machtpoker der Gesundheitsreform / DGVP sieht Patientenvertretungen finanzstarken Lobbys von Ärzten, Kassen und Industrie unterlegen

(Heppenheim) - Versicherte und Patienten sind die Verlierer des Machtpokers um die Gesundheitsreform. Ein Hauptgrund sind fehlende Finanzen oder Abhängigkeiten, die es nicht erlauben, sich gegen die traditionellen Lobbys im Gesundheitswesen durchzusetzen. Dazu kommen die bestimmende Ausrichtung der Patientengruppen auf ein Krankheitsbild statt auf Gesundheitspolitik insgesamt sowie fehlende Bereitschaft der Politik, Patienten als Partner anzuerkennen. Dieses Fazit zieht der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP), Ekkehard Bahlo.

Interessenvertretung finanzstarker Verbände

Finanzstarken Gruppen wie den Kassenärztlichen Vereinigungen, anderen Ärzteverbänden, den Krankenkassen oder der Industrie sind die Vertreter von Versicherten und Patienten teilweise hoffnungslos unterlegen. Das Ergebnis der Vereinbarungen zur Gesundheitspolitik: Patienten müssen wiederum für weniger Leistungen mehr zahlen, zeige dies deutlich.

„Für die Industrie ist die Lobbyarbeit ein Teil ihres Geschäfts, der Hinweis auf Arbeitsplätze erleichtert ihnen gerade jetzt diese Arbeit“, analysierte Bahlo. „Ärzteverbände sind nicht nur kampferprobte, sondern auch finanzstarke Vertreter ihrer Interessen gegenüber der Politik. Sie können sich eine gut organisierte und aufwändige Öffentlichkeitsarbeit leisten. Ebenso die Krankenkassen, die sich eine massive Vertretung ihrer Interessen zudem noch von den Beiträgen der Versicherten und der Arbeitgeber bezahlen lassen.“

Auf diese Finanzpolster können Patientenvertretungen nicht zurückgreifen:
„In den zahlreichen Selbsthilfegruppen sind zumeist chronisch Kranke vertreten, die finanziell selbst kaum Reserven haben. Sie sind bei ihrer täglichen Arbeit - der Unterstützung Kranker bei der Bewältigung ihrer Krankheiten - oft genug auf die zusätzliche finanzielle Hilfe von Unternehmen der Arzneimittel- bzw. Hilfsmittel-Industrie angewiesen, die Produkte für ihren speziellen Krankheitsbereich produzieren. Da fehlen finanzielle und personelle Ressourcen, sich auch noch gezielt um die Gesundheitspolitik insgesamt zu kümmern.“

Förderung gegen Wohlverhalten

Eine finanzielle Förderung der Selbsthilfe durch die Krankenkassen, die das Gesundheitsrecht vorschreibt, ist an die „Bereitschaft zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ geknüpft. Darüber entscheidet die jeweilige Kasse in eigener Verantwortung. Eine solche Förderung bezieht sich zudem auf die krankheitsbezogene Beratung und Betreuung einschließlich der Interessenvertretung der von chronischer Krankheit und Behinderung Betroffenen. Dagegen sind gesundheitspolitische Aufgaben nicht Gegenstand der Förderung. „Das heißt: bei Protest gegen die Kassenpolitik ist die Förderung weg“, kritisierte Bahlo, der den Kassen zudem vorwirft, die Selbsthilfe ohnehin geringer zu fördern als das Gesetz es vorsieht.

Auch Verbraucherberatungen und Verbraucherzentralen bieten nach seiner Einschätzung kein überzeugendes Gegengewicht, denn auch sie hängen am Tropf staatlicher Finanzierung. Patienten könnten, wenn es gut geht, Beratung über bestehende Regelungen im Gesundheitssystem von ihnen erwarten, nicht jedoch eine politische Vertretung ihrer Interessen. Dafür fehle zudem die politische Legitimation, so die DGVP.

Politische Mitwirkung unerwünscht
Entgegen allen Bekundungen, der Patient stehe im Mittelpunkt, sei kein Interesse der Politik daran festzustellen, die Versicherten und Patienten als Partner in der Gesundheitspolitik anzuerkennen. „Gesundheitspolitik ist noch immer paternalistisch geprägt: die Politik, die Ärzte, die Kassen und auch die Arbeitgeber und die Gewerkschaften – sie alle wissen am besten, was dem Patienten gut tut“ stellte Bahlo fest.

Mit dem Hinweis auf die Vielfalt der Patientenvertretungen, auf fehlende Bündelung der Patienteninteressen werde Patientensicht abgetan. Wer Kritik am Gesundheitssystem übe, müsse zudem immer damit rechnen, dass man ihn pauschal als „fremdgesteuert“ ansehe, sei es durch die Ärzte, die oft in krankheitsspezifischen Selbsthilfegruppen vertreten sind, sei es durch die Industrie. „Die Politik tut sich schwer, Versicherte und Patienten als neue Partner anzuerkennen – zu berechenbar, zu klar und zu bequem sind die bisherigen Konstellationen, in denen Gesundheitspolitik gemacht wird.“

Fazit: Patienten müssen Gesundheitspolitik zu ihrer Sache machen

Hier fordert die Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP) eine deutliche Änderung: Die Bekenntnisse zur Rolle der Patienten als Mittelpunkt müssten endlich auch umgesetzt werden, Mitwirkungsrechte der Versicherten und der Patienten in der Gesundheitspolitik müssten gestärkt werden. „Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse hatten wir bisher genug“, so Bahlo.

Mehr Einsatz müssen jedoch nach Einschätzung der DGVP auch Patienten und Versicherte selbst bringen. Nach Jahrzehnten der Betreuung und gutgefüllter Kassen setze sich erst langsam die Erkenntnis durch, dass Gesundheitspolitik ein ebenso wichtiges Thema ist wie zum Beispiel die Bildung oder die Rentenpolitik. „Ich gehe jedoch davon aus, dass immer mehr Menschen erkennen, dass sie sich um das Gesundheitssystem kümmern müssen, damit es ihnen wirklich nützt, wenn sie es brauchen“, erwartet der DGVP-Präsident.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. ( DGVP ) Lehrstr. 6, 64646 Heppenheim Telefon: 06252/910744, Telefax: 06252/910745

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