Pressemitteilung | Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV)

Sozialrechtsschutz verbessern

(Berlin) - In dieser Woche wollen die Abgeordneten des Deutschen Bundestages abschließend über die wichtige Änderung des Sozialgerichtsgesetzes beraten. Dazu gehört auch der sogenannte "einstweilige Rechtsschutz" – das Instrumentarium, mit dessen Hilfe die Sozialgerichte in Eilfällen den Bürgern zu ihren Rechten verhelfen. Beispielsweise bei Schwerkranken, die mit der Krebs-oder Aidstherapie nicht jahrelang auf ein Urteil warten können, oder Behinderte, die die notwendige Umschulung sofort antreten müssen und nicht erst Jahre später. In der vorgesehenen Regelung verweist der Gesetzgeber auf die Regelungen des Zivilprozesses. Durch diesen Verweis werden die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger ins Gegenteil verkehrt: Betroffene, die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Behandlung durchgeführt haben, müssten dann Jahre später damit rechnen, dass die Leistungsträger Schadensersatz verlangen und somit die Kosten für die längst vollzogene Behandlung zurückfordern. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert deshalb nachdrücklich, den Verweis auf die für den Zivilprozess geltenden Vorschriften ersatzlos zu streichen und einen originären einstweiligen Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren zu schaffen.

"Würde den Betroffenen Jahre später ein Erstattungsbescheid ins Haus flattern, würde der zuvor gewährte effektive Rechtsschutz zur Farce werden. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass die Gerichte diesen Effekt der Reform zum Anlass nehmen, den Anspruchsteller sofort auf die Sozialhilfe zu verweisen," so Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Vorsitzender des Sozialrechtsausschusses des DAV. Dies würde die mit der Neuregelung versprochene "Verbesserung des Einstweiligen Rechtsschutzes" in sein Gegenteil verkehren.

Die Sozialgerichte prüfen - anders als dies bei der Einstweiligen Verfügung im Zivilprozess vorgesehen ist von Amts wegen und sehr gründlich, ob der Antragsteller wirklich einen Anspruch auf die geltend gemachte Leistung hat. Das Ergebnis eines solchen Verfahrens darf nicht dadurch ad absurdum geführt werden, dass Jahre später den Betroffenen ein Erstattungsbescheid ins Haus flattert, der den zuvor gewährten effektiven Rechtsschutz wieder nimmt. Kommen nämlich Jahre später dem Sozialgericht doch Zweifel daran, ob der Bürger tatsächlich ein Recht auf die erhaltene Sozialleistung hatte, kann der Leistungsträger Schadensersatz verlangen, die längst vollzogene Anordnung also wieder korrigieren, obwohl der Versicherte die Leistung längst verbraucht hat, sprich die Behandlung oder die Rehabilitation durchgeführt wurde.

Hintergrund:

Schon 1976 hatte das Bundesverfassungsgericht den Sozialgerichten ins Stammbuch geschrieben, dass diese gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gem. Artikel 19 Abs. 4 GG verstoßen, in Eilfällen die erforderliche Einstweilige Anordnung allein deshalb zu verweigern, weil der Gesetzgeber es bislang versäumt hat, ein solches Rechtsmittel im Sozialgerichtsgesetz zu verankern. Jetzt, also 25 Jahre später, will der Bundestag die Lücke schließen. Allerdings durch eine den Anspruch des Bürgers in sein Gegenteil verkehrenden "Reform": Durch den Verweis auf Regelungen aus dem Zivilprozess kann der Sozialversicherungsträger zum Beispiel die Vollstreckung einer Einstweiligen Anordnung durch die Hinterlegung eines Geldbetrages abwenden. In Fällen mit besonderer Brisanz (zum Beispiel schwerer Krankheit, teurer Behandlung, lange Umschulung) wird der Leistungsträger von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, schon um das ihm auferlegte Gebot der Sparsamkeit zu erfüllen. Für die Betroffenen kann es noch schlimmer kommen: Kommen Jahre später dem Sozialgericht doch Zweifel daran, ob der Bürger tatsächlich ein Recht auf die erhaltene Sozialleistung hatte, kann der Leistungsträger Schadensersatz verlangen, die längst vollzogene Anordnung also wieder korrigieren, obwohl der Versicherte die Leistung längst verbraucht hat, sprich die Behandlung oder die Rehabilitation durchgeführt wurde.

Im Nachhinein kommen für die entstandenen Kosten noch nicht einmal die Sozialämter auf. Dadurch könnten sich die Gerichte genötigt sehen, die Anspruchsteller sofort auf die Sozialhilfe zu verweisen. In der Vergangenheit hat der Bundestag mehrfach in speziellen Regelungen, zum Beispiel im Recht der Arbeitsförderung, deutlich gemacht, dass es nicht angehen kann, den Bürger auf die Sozialhilfe "abzuschieben".

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher AnwaltVerein e.V. (DAV) Littenstraße 11 10179 Berlin Telefon: 030/7261520 Telefax: 030/726152190

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