Pressemitteilung | Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)

Stagnation in Deutschland setzt sich fort / DIW Berlin stellt Winter-Grundlinien 2003/2004 vor

(Berlin) - Die stockende Entwicklung der Konjunktur in Deutschland hält an. Das DIW Berlin geht in seiner aktuellen Konjunkturprognose "Winter-Grundlinien der wirtschaftlichen Entwicklung 2003/2004" davon aus, dass in diesem Jahr das Bruttoinlandsprodukt um 0,6 Prozent zunehmen wird. Für das kommende Jahr ist unter den gegebenen Bedingungen ein Wachstum von nicht mehr als 1 Prozent zu erwarten. Maßgeblich für die schwache Konjunktur ist zum einen, dass die Erholung der Weltwirtschaft schleppend verläuft. Zum anderen kommt die Binnennachfrage, seit Jahren die Achillesferse der deutschen Konjunktur, nicht vom Fleck. Für Ostdeutschland rechnet das DIW Berlin mit einem Wachstum von 1,5 Prozent für 2003. Positive Impulse werden dort vor allem von der Beseitigung der Flutschäden ausgehen. Siehe Wochenbericht 1/2003- 2/2003.

Die weltwirtschaftliche Lage ist nach wie vor von hohen Unsicherheiten geprägt. Zwar gab in den USA die Wirtschaftspolitik erneut kräftige Anregungen. Doch an den Börsen kam es trotzdem zu teilweise dramatischen Einbrüchen. Die Finanzmärkte leiden immer noch unter einer starken Vertrauenskrise. Hinzu kommen politische Unsicherheiten, vor allem die Spekulationen über einen Krieg der USA mit dem Irak, die sich in Ölpreiserhöhungen niederschlagen. Auch die Furcht vor weiteren Terroranschlägen wirkt sich lähmend aus. All dies hat Investoren und Konsumenten sehr verunsichert und ihre Ausgabeneigung gedrückt. Das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum dürfte im kommenden Jahr um 2,0 Prozent zulegen und erst im zweiten Halbjahr 2004 wieder eine Jahreswachstumsrate von über 2 Prozent erreichen. In Japan ist die Rezession zwar überwunden, aber die Deflation hält an, und die Krise in Südamerika erweist sich als hartnäckig. Demgegenüber gibt es in den USA und in Südostasien konjunkturelle Erholungstendenzen, die auch der übrigen Welt Hoffnung auf eine - wenn auch nur allmähliche - Besserung der Wirtschaftslage geben könnten. Die Wirtschaftsleistung wird in den USA in diesem Jahr um 2,5 Prozent zunehmen; im Jahre 2004 dürfte der Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes rund 3 Prozent betragen.

In Deutschland wird die Schwäche der Binnenkonjunktur noch weit in dieses Jahr hinein reichen. Eine der wesentlichen Ursachen sind die erheblichen Belastungen der privaten Haushalte infolge der jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung. Steuererhöhungen und die spürbare Anhebung der Beitragssätze zur Sozialversicherung werden dazu führen, dass die verfügbaren Einkommen trotz der etwas kräftigeren Lohnerhöhungen kaum steigen. Folglich ist für dieses und, weil die Belastungen sogar noch weiter wirken werden, auch für das kommende Jahr nicht mit einer nennenswerten Expansion des privaten Verbrauchs zu rechnen (2003: 0,5 Prozent, 2004: 1 Prozent). Von daher erhält auch die Investitionsnachfrage nur geringe binnenwirtschaftliche Impulse. Insgesamt werden die Investitionen in Ausrüstungen und in sonstige Anlagen im Jahresdurchschnitt 2003 um etwa 3,2 Prozent steigen; im Jahre 2004 ist mit einer etwas stärkeren Zunahme zu rechnen (+3,7 Prozent). Bei den Bauinvestitionen rechnet das DIW Berlin mit einem starken Rückgang um etwa 4,6 Prozent im laufenden Jahr und um 4,9 Prozent im nächsten Jahr. Auch die geldpolitische Lockerung dürfte nur für eine leichte Beschleunigung im Verlauf dieses Jahres sorgen.

Damit hat sich eine Konstellation herausgebildet, in der Deflation entstehen kann. Gegenwärtig ist diese inhärente Tendenz nicht in der gemessenen Inflationsrate zu sehen, da sie vor allem durch die Anhebung indirekter Steuern überlagert wird. Die Geldpolitik müsste eine drohende Deflation frühzeitig durch einen entsprechend lockeren Kurs bekämpfen. Die unvermeidliche Zurückhaltung der Europäischen Zentralbank ist aus der Sicht Deutschlands deshalb ein Grund zur Besorgnis. Da sich die Finanzpolitik den Beschränkungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes verpflichtet sieht, ist Deutschland unter diesen Umständen auch bar jedes finanzpolitischen Spielraums. Damit kommt der Lohnpolitik in Deutschland eine entscheidende Rolle zu. Zwar kann von ihr keine Belebung der konjunkturellen Dynamik ausgehen. Wohl aber kann sie als Stabilitätsanker gegen Deflationstendenzen dienen. Steigt das gesamtwirtschaftliche Lohnniveau (entsprechend der trendmäßigen Produktivitätsentwicklung und einem Inflationszuschlag, der mit Preisstabilität vereinbar ist), wird der private Verbrauch stabilisiert, und es entsteht ein Kostendruck, der von den Unternehmen über kurz oder lang auch auf die Preise überwälzt wird und damit einer Deflation entgegenwirkt.

Die Maßnahmen des Job-AQTIV-Gesetzes haben bis jetzt kaum Wirkung gezeigt, da sie von einem kräftigen Wirtschaftswachstum abhängen. Die Hartz-Vorschläge, denen dieselbe Logik zugrunde liegt - nämlich primär eine Verbesserung der Vermittlung und des Arbeitsangebots -, werden sich deshalb 2003 kaum bemerkbar machen. Auch wenn als Folge der jüngsten Beschlüsse die Zahl der im Niedriglohnsektor Beschäftigten schon aus statistischen Gründen steigen dürfte, bleibt der Gesamteffekt der Hartz-Vorschläge auf die registrierte Arbeitslosigkeit gering. Zusätzliche Beschäftigung dürfte vor allem aus der Stillen Reserve entstehen. Die Arbeitslosigkeit wird daher weiter, wenn auch langsamer als im vergangenen Jahr, steigen; im Jahresdurchschnitt 2003 ist mit einer Arbeitslosigkeit von gut 4,2 Mill. Personen zu rechnen.

Das Defizit des Staates dürfte wieder unter die magische Grenze von 3 Prozent fallen, allerdings mit schätzungsweise 2,7 Prozent nur gering. Für das Jahr 2004 ist mit einer Quote von 1,6 Prozent zu rechnen. Gemessen am Stabilitätsprogramm der Bundesregierung bedeutet dies dennoch eine Verfehlung des selbstgesetzten Ziels. Die erhebliche Reduzierung der Defizitquote beruht vor allem auf den stark steigenden Überschüssen im Bereich der Sozialversicherung - nicht zuletzt eine Folge der unterstellten Beitragssatzanhebungen in der Renten- und der Krankenversicherung. Für das Jahr 2003 wird mit einem Anstieg der Staatsausgaben um 1,5 Prozent gerechnet. Im Jahre 2004 dürfte sich der Zuwachs weiter deutlich abschwächen. Dann sollten die Überschüsse in der Sozialversicherung zu einer Senkung der Beiträge genutzt werden. Im laufenden Jahr werden die Ausgaben zur Beseitigung der Schäden an der Infrastruktur die staatlichen Investitionen positiv beeinflussen. Dennoch ist wegen des starken Zwangs zur Konsolidierung zu befürchten, dass die Ausgaben für die öffentlichen Investitionen wiederum - wenn auch weniger als zuvor - abnehmen werden (-3,6 Prozent). Die Steuereinnahmen werden im Jahre 2003 um 3,6 Prozent steigen.

Das DIW Berlin plädiert für eine grundlegende Änderung der Konsolidierungsstrategie. Auf kurze Sicht sollten keine Defizitziele mehr angestrebt werden. Stattdessen sollte ein Ausgabenpfad fixiert werden, dem das Ziel eines mittelfristig ausgeglichenen Haushalts zugrunde liegt. Jenseits der Konsolidierung sollte jedoch ein Umbau des Steuersystems in Angriff genommen werden. Die Steuersätze im unteren Einkommensbereich könnten gesenkt und der Mehrwertsteuersatz aufkommensneutral erhöht werden.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Königin-Luise-Str. 5 14195 Berlin Telefon: 030/897890 Telefax: 030/89789200

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