Pressemitteilung | Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA)

VDA-Präsident: Streik in Ostdeutschland ist Schlag gegen Standort und Beschäftigung / Gottschalk: Export stützt Produktion, Umsatz und Beschäftigung

(Frankfurt am Main) - Der strategische Ausbau des Exports hat entscheidend dazu beigetragen, dass die deutsche Automobilindustrie in den ersten vier Monaten des Jahres die Beschäftigung um weitere 11.000 neue Arbeitsplätze auf insgesamt 770.000 ausbauen konnte. Seit 1994 wurden 128.000 neue Stellen in dieser Schlüsselindustrie geschaffen. Der Umsatz dieser Industrie stieg seit 1997 um jährlich 8 Prozent auf 204 Mrd. Euro im Jahr 2002. Auch in den ersten vier Monaten dieses Jahres legte der Umsatz noch einmal um 4,4 Prozent auf 70,2 Mrd. Euro zu. "Ohne die Stärke dieser Industrie, ohne den Schub in unserer Exportfähigkeit wären Produktikon, Umsatz und Beschäftigung nicht zu halten gewesen", betonte Prof. Dr. Bernd Gottschalk, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), am 23. Juni in Frankfurt anlässlich der VDA-Pressekonferenz "Auto 2003". Trotz erheblicher Währungs- und Preiseinflüsse stieg der Exportumsatz in den ersten vier Monaten des Jahres noch um 4,2 Prozent auf 42,4 Mrd. Euro. "Qualitatives Wachstum bleibt also eine Stärke dieser Industrie", betonte Prof. Gottschalk.

Hinsichtlich des weiteren Konjunkturverlaufs unterstrich Prof. Gottschalk, dass der Mai zwar ein Zulassungsplus von 8 Prozent gebracht habe; ein Stimmungsumschwung oder gar eine Trendwende im Markt sei allerdings bisher noch nicht auszumachen. Prof. Gottschalk: "Der Markt folgt der Stimmungslage - und diese ist noch gedämpft und von Zurückhaltung geprägt."

Er äußerte die Hoffnung, dass sich die Verunsicherung der Käufer in naher Zukunft lege: "Schließlich sind attraktive Modelle im Markt, die Zinsen gesunken, angekündigte Steuererhöhungen abgesagt worden und Geld vorhanden, wie die höhere Sparquote zeigt." Prof. Gottschalk betonte: "Wir haben alle Chancen, unsere Prognosen für 2003 - 3,25 Mio. Pkw-Neuzulassungen, ein Export von 3,55 Mio. Fahrzeugen und eine Inlandsproduktion von 5 Mio. Pkw - zu erreichen."

Angesichts der anhaltenden Kaufzurückhaltung richtete der VDA-Präsident an Politik und Gewerkschaften den Appell, den Rahmenbedingungen des heimischen Marktes wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken: "Die Rahmenbedingungen, insbesondere die Lohnnebenkosten, haben sich am Standort Deutschland so entwickelt, dass sie sich früher oder später als Exportbremse erweisen könnten", warnte Prof. Gottschalk. In den letzten zehn Jahren habe der Anteil des Exports an der Inlandsproduktion von 50 auf 70 Prozent zugenommen. Angesichts eines seit vier Jahren rückläufigen Inlandsmarktes sei der Export zum eigentlichen Stabilitätsgaranten geworden. Doch auch hier könne der Wasserhahn "Export" nicht beliebig aufgedreht werden. "Wir bewegen uns bei schwächer werdenden Auslandsmärkten in dünner Luft. Künftig müssen wir wieder stärker in Deutschland wachsen", betonte Prof. Gottschalk. "Wir sind stark, wir haben gute Produkte, wir sind innovativ. Wir sind aber nicht gegen jede neue Belastung immun. Schließlich hat uns auch der Dollar noch zusätzliche Hausaufgaben diktiert. Der Anspannungsgrad wächst", unterstrich Prof. Gottschalk.

Wichtige Auslandsmärkte hätten an Dynamik eingebüßt. So werde der europäische Pkw-Markt, in den zwei Drittel der deutschen Automobilexporte gehen, mit einem Minus von 4 Prozent das Ziel von 14 Mio. Einheiten in diesem Jahr knapp verfehlen. Auf dem US-Markt werden 2003 voraussichtlich 16 Mio. Fahrzeuge neu zugelassen, im Vorjahr waren es 16,8 Mio. Derzeit wachsen lediglich die Märkte in Osteuropa und Asien, China boomt. Die deutschen Marken haben sich trotz aller Widrigkeiten auf den Weltmärkten gut behauptet. Die Auslandsfertigung von Pkw stieg bis April 2003 um 4,1 Prozent auf 1,4 Mio. Fahrzeuge.

Der Diesel - eine Domäne der deutschen Hersteller - setze in Europa seinen Siegeszug fort, betonte Prof. Gottschalk. In den ersten fünf Monaten stiegen die Diesel-Pkw-Neuzulassungen in Deutschland um 4,3 Prozent, der Dieselanteil im Inland beträgt 38,6 Prozent. In Westeuropa erhöhte sich der Diesel-Anteil sogar auf 42,1 Prozent. Die deutschen Hersteller seien zudem im Premium-Segment, dass doppelt so schnell wachse als der Volumenmarkt, besser als alle Wettbewerber vertreten. Nun richteten sich alle Blicke auf die IAA, auf der im September allein von deutschen Konzernmarken 73 Neuerscheinungen zu sehen sein werden.

Der VDA-Präsident betonte, dass von der Gesamtwirtschaft derzeit zu wenig Impulse für die Automobilindustrie kämen: Prof. Gottschalk bezeichnete die Agenda 2010 als einen "notwendigen und richtigen Schritt zur Korrektur", der allerdings nicht ausreiche. Dass inzwischen auch über ein Vorziehen der Steuerreform statt über ständige Steuererhöhungen nachgedacht werde, sei ein Fortschritt. Dennoch sei es nicht verwunderlich, dass das von Verunsicherung geprägte Klima noch anhalte: "Der Bürger erwartet ein schlüssiges Gesamtkonzept, einschließlich dessen Finanzierung. Noch immer gibt es zu viele, die von Reformen sprechen, aber Umverteilung meinen", betonte Prof. Gottschalk.

Eine vorgezogene Steuerreform würde nur dann ihre positiven Effekte entfalten, wenn sie mit einer seriösen Gegenfinanzierung in Form von konsequenter Ausgabenforschung und pauschaler Subventionskürzung verbunden sei: "Nur dann werden Investoren und Konsumenten wieder eine klare Perspektive erkennen. Sonst ist die Gefahr groß, dass Konsumenten in Deckung und Investoren ins Ausland gehen."

Den Streik in der ostdeutschen Metallindustrie um die 35-Stunden-Woche bezeichnete der VDA-Präsident als "Standortgefährdungspolitik pur": "Ich sehe darin einen Angriff auf die einzig verbliebene stabile Schlüsselbranche in Deutschland, die ab heute auch in Westdeutschland teilweise lahmgelegt wird. Hier wird der zentrale Wettbewerbsvorteilsvorteil Ostdeutschlands leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Erfreulich ist, dass es in dieser Frage inzwischen sogar eine ‚Große Koalition gegen den Streik' gibt."

Standorte wie Dresden, Leipzig oder Kölleda zeigten, dass man noch mitten im Aufbau sei. Prof. Gottschalk: "Ich habe die Sorge, dass dieser Prozess ins Stocken gerät. Da die deutsche Automobilindustrie global ausgerichtet ist, schadet der Streik auch international dem Image der neuen Bundesländer. Die Wirkungen gehen damit weit über rechenbare Faktoren hinaus."

Mit sieben Automobil-Produktionsstandorten und weit über 700 Zuliefer-Werken ist diese Branche in Ostdeutschland präsent. Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Beschäftigten um 15.000 auf mehr als 37.000 gestiegen. Insgesamt wurden seither rund sieben Milliarden Euro investiert. Im vergangenen Jahr hat die ostdeutsche Automobilindustrie 423.000 Fahrzeuge produziert und einen Umsatz in Höhe von 10,5 Milliarden Euro erzielt.

Gerade in jüngster Zeit seien wichtige Entscheidungen für neue Produktionsstandorte in Ostdeutschland gefallen, die die Fahrzeugkapazitäten auf rund 750.000 Einheiten erhöhen sollen. Mehr als 1,2 Millionen Motoren sollen nach den derzeitigen Plänen in wenigen Jahren in Ostdeutschland produziert werden. Prof. Gottschalk: "Man fragt sich, ob die Verantwortlichen wissen, dass sie mit dem Streik eine Anti-Investitionskampagne mit Langzeitwirkung gegen den Osten Deutschlands lostreten."

Die Standortentscheidungen für Ostdeutschland seien gerade auch wegen der bisherigen Wettbewerbsvorteile gegenüber Westdeutschland - geringere durchschnittliche Arbeitskosten je Stunde, längere Wochenarbeitszeiten, höhere Flexibilität - getroffen worden. Die Unternehmen hätten diese Entscheidungen in der festen Überzeugung gefällt, dass diese Standortvorteile nicht kurzfristig eingeebnet würden. Wenn diese Geschäftsgrundlage wegfalle, werde sich das negativ auf Investitionen in Ostdeutschland auswirken. Prof. Gottschalk: "Das gibt Oberwasser, eher für Osteuropa als für Ostdeutschland. Dabei wissen wir, dass die Mehrzahl der Mitarbeiter selbst gegen diesen Konflikt ist. Entsprechend gering ist die tatsächliche Legitimität dieses Streiks. Die Beschäftigten in Ostdeutschland zeichnen sich bisher gerade durch ein hohes Maß an Flexibilität und eine grundsätzliche Einstellung aus, dann arbeiten zu wollen, wenn Arbeit da ist. Hier droht ein erfolgreiches Kapitel junger deutscher Automobilentwicklung getroffen zu werden, wenn die Verantwortlichen nicht rasch zur Vernunft kommen."

Quelle und Kontaktadresse:
Verband der Automobilindustrie e.V. (VDA) Westendstr. 61, 60325 Frankfurt Telefon: 069/975070, Telefax: 069/97507261

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