Pressemitteilung | Verband Deutscher Privatschulen - Landesverband Baden-Württemberg e.V. (VDP)

Verfassungsrechtliche Grenzen der Unterfinanzierung von Schulen in freier Trägerschaft

(Stuttgart) - Verfassungsrechtliche Grenzen der Unterfinanzierung von Schulen in freier Trägerschaft.

Zusammenfassung der verfassungsrechtlichen Ergebnisse

1. In der Bundesrepublik Deutschland können Schulen in Freier Trägerschaft nicht ohne staatliche Förderung existieren. Das bewährte System der staatlichen Förderung gerät aber seit einigen Jahren zunehmend unter den Druck erheblicher Sparmaßnahmen. Begründung sind nicht nur die Knappheit öffentlicher Haushaltsmittel. Immer deutlicher treten auch ein falsch verstandener "Konkurrenzschutz" zugunsten öffentlicher Schulen und das Missverständnis hervor, Leistungssteigerung sei nur durch Gleichschaltung und Zentralisierung erreichbar. Selbst progressive Bildungspolitiker streben Schulvielfalt innerhalb des öffentlichen Bildungswesens ("Binnenpluralität") an und verkennen so die Chancen der "Außenpluralität", also Schulvielfalt durch möglichst viele und unterschiedliche Schulen in freier Trägerschaft. Freie Schulen geraten dadurch in existenzielle Bedrohung. Neugründungen können trotz des weit verbreiteten und ungebrochenen "Willens zur Freien Schule" nur noch durch starke Träger und wohlhabende "Gründungseltern" erfolgen.

2. Auch in der Rechtsprechung zur Förderung Freier Schulen zeichnet sich längst ein "Rückwärtstrend" ab. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe geraten entweder in Vergessenheit oder werden einseitig auf bestimmte Formeln beschränkt, die scheinbar eine Unterfinanzierung Freier Schulen legitimieren. Dadurch werden nicht nur erfolgreiche Prozesse zur Seltenheit, auch der verfassungsrechtliche Rahmen für den Gesetzgeber verschiebt sich.

3. Vor diesem Hintergrund soll die Untersuchung den verfassungsrechtlichen Rahmen der finanziellen Förderung Freier Schulen klarstellen und die diesen Rahmen prägenden Leiturteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vergegenwärtigen. Ferner soll sie die Begründungsmuster einer Leistungskürzung einer kritischen Würdigung unterziehen und fragen, inwieweit aus Art. 7 Abs. 4 GG nicht nur institutionelle sondern auch individuelle Gewährleistungen folgen und ob Leistungskürzungen einen Grundrechtseingriff darstellen können.

4. Im Grundsatz wird die staatliche Förderungspflicht für Freie Schulen von der gesamten Rechtsprechung bejaht. Die Rechtsprechung des BVerfG variiert dabei zwischen individuellen und institutionellen Begründungselementen. Erst in der "Wartefrist-Entscheidung" aus dem Jahre 1994 (BVerfGE 90, 107 ff.) hat das BVerfG klargestellt, dass jede institutionelle und objektive Verpflichtung letztlich der subjektiven und individuellen Wahrnehmung des Grundrechts dient und dass individuelle Rechte wie die Gründungsfreiheit und Wahlfreiheit im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung stehen. In der Rechtsprechung seither ist dieser Gesichtspunkt aber wieder in den Hintergrund getreten und macht einer fast ausschließlich auf die institutionelle Gewährleistung des "Existenzminimums" ausgerichteten Deutung Platz. Eine Kammerentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1997 belegt die Gefahr, dass auch das BVerfG derzeit eher hinter dem Stand von 1994 zurückfallen würde, wenn es ohne sehr sorgfältige Vorbereitung zu einem erneuten Verfassungsrechtsstreit über die Förderung Freier Schulen käme.

5. Ungeachtet aller institutionellen, objektiven und teilhaberechtlichen Deutungen handelt es sich bei der Gründungsfreiheit zunächst einmal um ein "klassisches Abwehrrecht" der Träger Freier Schulen gegen staatliche Eingriffe. Die Besonderheit dieses Abwehrrechts besteht lediglich darin, dass es wegen der faktischen Monopolisierung des Schulwesens durch den Staat, der Einbindung in das staatliche Berechtigungssystem und der Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 S. 3 GG ohne staatliche Förderung nicht wahrgenommen werden kann. So gesehen sind die Förderungsansprüche nicht originäre Leistungsansprüche an den Staat; es geht vielmehr um Ausgleichsansprüche für Eingriffe in das klassische Abwehrrecht. Gründungsfreiheit heißt insofern auch kompensierende Wettbewerbsgleichheit. Die Gründungsfreiheit gewährleistet, dass auch unter heutigen Bedingungen neue Schulen gegründet werden können. Dabei handelt es sich nicht lediglich um eine institutionelle, sondern um eine individuelle Garantie, auf deren Erfüllung der Einzelne einen Anspruch unmittelbar aus Art. 7 Abs. 4 GG hat. Beschränkungen dieses Ausgleichsanspruchs sind nach der Rechtsprechung des BVerfG nur für eine "Wartefrist" zulässig; sie dürfen auch nur soweit gehen, wie dies für den Beweis der Ernsthaftigkeit und des voraussichtlichen Erfolgs des Vorhabens erforderlich ist. Nach "Bestehen" der Wartefrist sind sie rückwirkend zu kompensieren. Versuche der Länder, diese "Karenzfrist" zu verlängern oder rückwirkende Erstattungen zu vermeiden, sind mit der Gründungsfreiheit des Art. 7 Abs. 4 GG nicht vereinbar.

6. Auch das Gebot der Schulvielfalt hat nicht lediglich objektive oder institutionelle Bedeutung. Im Kern folgt dieses Gebot aus dem subjektiven Recht der Wahlfreiheit bezüglich verschiedener Schulformen. Auch dieses Recht kann unter gegebenen Bedingungen nur wahrgenommen werden, wenn der Staat die gegenüber den öffentlichen Schulwesen bestehenden Wettbewerbsnachteile und Anpassungszwänge ausgleicht. Das elterliche Wahlrecht aus Art. 7 Abs. 4 GG i.V. mit Art. 6 Abs. 2 GG wird verletzt, wenn unter Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen faktisch keine neuen Freien Schulen gegründet werden können und bereits existierende gefährdet werden.

7. Nach der Rechtsprechung des BVerfG muss der Staat dagegen Vorsorge treffen, dass das Grundrecht der Gründungsfreiheit als subjektives Recht wegen der seinem Träger durch Art. 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 GG auferlegten Bindungen "praktisch kaum noch wahrgenommen" werden kann. Damit ist klargestellt, dass es sich bei den Genehmigungsvoraussetzungen um einen Eingriff in die Gründungsfreiheit handelt, der verfassungsrechtlich nur hinnehmbar ist, wenn der Staat sicherstellt, dass auch unter diesen Voraussetzungen Freie Schulen gegründet und erhalten werden können. Auch hierbei handelt es sich nicht allein um eine objektive oder institutionelle Verpflichtung, sondern um ein subjektives Recht. Die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen kennzeichnen zugleich das "Existenzminimum", das in jedem Fall gewährleistet sein muss. Wäre die Gründung Freier Schulen nur unter Verstoß gegen das Sonderungsverbot, d. h. mit kostendeckenden Schulgeldern, möglich, so wäre Privatschulfreiheit verletzt.

8. Aus Art. 7 Abs. 4 GG folgt - unabhängig von konkreten individualrechtlichen Ansprüchen - die Gewährleistung der Institution Freier Schulen. Auch diese dient aber letztlich immer den in der Institution tätigen Individuen und umfasst auch als institutionelle und individuelle Garantie die Gründungsfreiheit, die Schulvielfalt und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Genehmigungsvoraussetzung. Für diese hat der Staat unter Einsatz angemessener Finanzmittel einzutreten. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers besteht nicht unabhängig von der institutionellen Gewährleistung, ist vielmehr durch diese begrenzt.

9. Den Staat trifft nicht nur eine Pflicht zum Schutz der Institution Ersatzschulwesen, ihm obliegt auch eine objektive Schutzpflicht gegenüber den einzelnen Grundrechtsträgern, dass die sich aus Art. 7 Abs. 4 ergebenen Garantien auch unter heutigen Bedingungen erfüllt werden können. Bei der Erfüllung der Schutzpflicht hat der Gesetzgeber zwar einen Gestaltungsspielraum, dieser ist aber seinerseits durch das Grundrecht begrenzt. Die Schutzpflicht ist verletzt, wenn Freie Schulen nicht mehr gegründet werden oder ohne Verstoß gegen die Genehmigungsvoraussetzung des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG faktisch nicht mehr betrieben werden können.

10. Institutionelle Deutung des Grundrechts, individuelle Ausgleichsansprüche und objektive Schutzpflichten stehen nicht isoliert nebeneinander, bedingen vielmehr einander. Ist die Institutsgarantie in der Weise verletzt, dass neue Schulen nicht mehr gegründet werden können, so folgt daraus auch ein Eingriff in die subjektive Gründungsfreiheit.

11. Ergänzt und abgesichert werden die Ansprüche auch durch den Grundrechtschutz durch Verfahren. Dieser bewirkt z.B., dass Grundrechtsträger in das Verfahren der Mittelverteilung angemessen einbezogen werden und dass die Verteilungsmaßstäbe auch dort transparent gehalten werden, wo sie sich aus dem Bereich des öffentlichen Schulwesens, z.B. auf die Kosten für einen "staatlichen Schüler", beziehen.

12. Aus Art. 7 Abs. 4 i.V. mit Art. 3 GG folgen grundsätzliche Gleichbehandlungsansprüche sowohl mit staatlichen Schulen als auch der Freien Schulen untereinander. Gleiches darf nicht ungleich, Ungleiches darf nicht gleich behandelt werden. Das "Gießkannenprinzip" stößt bei seiner Anwendung auf Schulen besonderer pädagogischer Prägung auf verfassungsrechtliche Grenzen. Bei der Förderung können und müssen die Beiträge zur Schulvielfalt und begründete pädagogische und fachliche Aufwände unterschiedlicher Gruppen Freier Schulen berücksichtigt werden. Liegt eine besondere Gefährdung eines bestimmten Schultyps vor, so kann und muss die staatliche Förderung auch darauf Rücksicht nehmen.

13. Wenn auch nicht jede Rücknahme einer Leistung gleichbedeutend mit einem Grundrechtseingriff ist, so kommt die Leistungskürzung zumindest dann einem Eingriff gleich, wenn sie dazu führt, dass Freie Schulen nicht mehr gegründet werden können oder in ihrer Existenz gefährdet sind. Es ist davon auszugehen, dass schon die derzeitige Förderung am unteren Rand der Existenzgewähr Freier Schulen liegt, weitere Kürzungen des derzeitigen Bestands also die Gründungsfreiheit, Schulvielfalt und die Einhaltung des Sonderungsverbots zumindest erheblich gefährden. Sie stellen damit im grundrechtlichen Sinne nicht "nur" die Verweigerung einer Leistung, sondern einen Eingriff in den Schutzbereich grundrechtlicher Freiheiten dar. Desgleichen liegt in vielen Fällen ein Eingriff in den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz vor.

14. Wartefristen sind nur zur Erprobung der Ernsthaftigkeit und der Erfolgsaussichten einer Schulgründung zulässig. Sie dienen grundsätzlich nicht der Ermöglichung von Sparmaßnahmen. Ist der Erfolgsnachweis erbracht, so besteht eine Verpflichtung des Gesetzgebers, der Schule einen nachträglichen Anteil an den Kosten der "Gründungsjahre" zu erstatten. Dasselbe gilt für die Investitionskosten. Wartefristen ohne nachträgliche Erstattung verletzen also nicht nur die Gründungsfreiheit, sondern auch das Sonderungsverbot.

15. Es stellt eine Existenzbedrohung der Freien Schulen insgesamt und einen Eingriff in die individuelle Privatschulfreiheit dar, wenn staatliche Kürzungsmaßnahmen dazu führen, dass Schulen nur noch unter Inkaufnahme eines Verstoßes gegen das Sonderungsverbot, d.h. unter Inkaufnahme von nur durch wohlhabende Eltern aufzubringenden Schulgeldern, betrieben werden kann. Eine weitere Herabsetzung dieser Schwelle auf ein noch darunter liegendes "Minimum" oder auf "völlig ungeeignete oder unzulängliche staatliche Maßnahmen" ist dann nicht mehr verfassungskonform.

16. Die institutionelle und objektive Förderungspflicht des Staates zu Gunsten der Freien Schulen besteht zwar unabhängig von subjektiven Ansprüchen einzelner Schulträger. Der Vorwurf der Verletzung objektiver Pflichten kann aber nicht mit dem Argument ausgeräumt werden, dass der Einzelne keinen subjektiven Anspruch auf Förderung in bestimmter Höhe habe. Die objektive Schutzpflicht besteht vielmehr gegenüber jedem einzelnen Grundrechtsträger, also auch Eltern, die ihr Kind wegen fehlender Förderung nicht auf eine Schule in Freier Trägerschaft schicken bzw. es dort lassen können. Das hat die wichtige Konsequenz der Klage- bzw. Beschwerdebefugnis in allen gerichtlichen und verfassungsgerichtlichen Verfahren.

17. Aus der "Grundrechtswesentlichkeit" der Förderung Freier Schulen folgt, dass der Gesetzgeber selbst die grundlegenden Voraussetzungen, Maßstäbe und Verfahrensaspekte der Förderung festlegen muss. Grundrechtswesentliche Entscheidungen dürfen nicht der Exekutive überlassen werden.

18. Der "Vorbehalt des Möglichen" und die Rücksichtnahme auf die Finanzlage der Länder können in keinem Fall dazu führen, dass die verfassungsrechtlichen Schutzansprüche unterlaufen werden. Sind der individuelle wie der institutionelle Schutzanspruch dadurch verletzt, dass unter den Genehmigungsvoraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG eine Freie Schule nicht mehr gegründet und betrieben werden kann, dann können auch die Finanzlage der Länder und der "Vorbehalt des Möglichen" nicht als Begründung für diese Grundrechtsverletzung herangezogen werden. Auch der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist dann kein zusätzliches Argument, um Kürzungen zu rechtfertigen. Unterschreitet der Gesetzgeber den nach der institutionellen und der individuellen Garantie bestehenden Gestaltungsspielraum, dann stellt es vielmehr einen handgreiflichen Zirkelschluss dar, eben diese Unterschreitung damit zu begründen, der Gesetzgeber habe einen Gestaltungsspielraum.

19. Das Gebot der Schulvielfalt verbietet es, den "Konkurrenzschutz" zugunsten des öffentlichen Schulwesens zum Anhaltspunkt oder zur Rechtfertigung von Kürzungen werden zu lassen.

20. Die Schulvielfalt und damit das besondere Profil von Freien Schulen sind kein privat zu verfolgendes und zu finanzierendes "Sonderinteresse"; sie liegen vielmehr im öffentlichen Interesse. Deshalb ist es unzulässig, dass angestrebte "Eigenprofil" zum Anlass für Kürzungen staatlicher Förderungen zu machen.

21. Das Bild des "Privatschulunternehmers", dem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Risiken der Privatschulgründungen zugemutet werden können, ist verfehlt. Freie Schulen werden nicht von gewinnorientierten Unternehmern, sondern von idealistisch geprägten "Gründungseltern" gegründet. Das Unternehmerrisiko taugt daher nicht als verfassungsrechtliches Argument.

22. Ein Bild der "Privatschule herkömmlicher Prägung" existiert nicht und stellt schon daher kein verfassungsrechtliches Argument dar. Unter heutigen Bedingungen ist den Schulen weder der dauerhafte Rückgriff auf "hinter der Initiative stehende finanzstarke Träger" noch auf Kredite oder Spenden allein zumutbar. Die Verletzung der institutionellen Einstandspflicht und der individuellen Leistungsansprüche kann nicht damit begründet werden, für eine bestimmte Gruppe potentieller (und finanziell potenter) Träger liege eine solche Verletzung nicht vor.

Quelle und Kontaktadresse:
Verband Deutscher Privatschulen Landesverband Baden-Württemberg (VDP) Heusteigstr. 21, 70182 Stuttgart Telefon: 0711/2361617, Telefax: 0711/2361670

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