Pressemitteilung | (vzbv) Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.

Wahlprüfsteine zur Verbraucherpolitik: vzbv will starke Wirtschaft mit gestärkten Verbrauchern / Edda Müller: "Belebung der Binnenkonjunktur hat Vorrang"

(Berlin) - Eine nachfrageorientierte Politik soll nach der Bundestagswahl die Binnenkonjunktur beleben und der Wirtschaft neuen Schub geben. Dies forderte der Verbraucherzentrale Bundesverband bei der Vorstellung seiner Wahlprüfsteine. Zentrale Punkte zur Belebung der Binnennachfrage sind eine Reform des Versicherungsrechts, mehr Sicherheit für private Bauherren, ein Ausbau des digitalen Verbraucherschutzes und Verbraucherbildung an den Schulen. "Verbraucherpolitik ist keine Politik für Schönwetter-Perioden, sondern Teil der Reformagenda für unser Land," sagte vzbv-Vorstand Edda Müller.

"Deutschland muss sich wirtschaftlich wieder mehr auf seine Stärken besinnen - und das sind Produkte, die die Verbraucher durch Qualität und Service überzeugen," so vzbv-Chefin Edda Müller. "Die Verbraucherpolitik hat es in der Hand, made in Germany wieder zum Inbegriff für Qualität und wirtschaftlichen Erfolg zu machen," sagte Müller bei der Vorstellung der Wahlprüfsteine des vzbv.

Zugleich sprach sich die vzbv-Chefin gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer aus. "Eine höhere Mehrwertsteuer ist das genaue Gegenteil von dem, was die Konjunktur jetzt braucht."

Eine Politik, die sich an den Interessen der Konsumenten orientiert, stärke auch die Wirtschaftskraft Deutschlands. "Unsere Reformvorschläge zeigen, dass ein verbesserter Verbraucherschutz auch die Wirtschaft voranbringt," so Edda Müller. Die deutschen Unternehmen seien nur erfolgreich, wenn sie auf Qualität und Kundenorientierung setzten. "Es ist ein wirtschaftspolitischer Fehler, Verbraucherpolitik mit Bürokratie gleichzusetzen."

Ministerium soll bleiben - und mehr Kompetenzen bekommen
Der vzbv setzt sich für eine Beibehaltung und Stärkung des Bundesverbraucherministeriums ein. "Ohne eine Ministerin oder einen Minister, der die Interessen der Verbraucher engagiert vertritt, wird es beispielsweise keine Reform des Versicherungsrechts geben, die ihren Namen verdient."

Besondere Probleme sieht der vzbv bei der Koordination des Verbraucherschutzes zwischen Bund und Ländern. Vor allem bei der Produktsicherheit erwartet der vzbv eine bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Notwendig seien außerdem bundesweit verbindliche Zielvorgaben, um die nach wie vor hohe Quote von Gesetzesverstößen bei der Lebensmittelsicherheit zu senken.

Zur langfristigen Sicherung der Information und Beratung der Verbraucher fordert der vzbv die Gründung einer Stiftung Verbraucherinformation. Sie soll die Information und Beratung von Verbrauchern auf eine langfristig sichere Grundlage stellen.

Bei der Reform der gesetzlichen Krankenversicherung tritt der vzbv für eine Bürgerversicherung ein. vzbv-Vorstand Edda Müller warnte vor den unabsehbaren Folgekosten eines Prämienmodells. Die Bürgerversicherung sei gerechter und nicht auf milliardenschwere Zuschüsse aus Steuermitteln angewiesen. Negativbeispiel für eine Kopfpauschale sei die Schweiz - dort ist wenige Jahre nach der Einführung wegen starker Steigerungen der Prämien bereits jeder dritte Bürger auf staatliche Transfers angewiesen.

Zehn Kernpunkte, die die Verbraucherrechte stärken und die helfen, die Binnenkonjunktur voranzubringen:

1. Stiftung soll Verbraucherinformation langfristig sichern
Verbraucherinnen und Verbraucher stehen vor immer komplexeren Konsumentscheidungen. Die Sozialreformen bedeuten mehr Eigenverantwortung für jeden Einzelnen - etwa bei der Krankenversicherung oder bei der Altersvorsorge.
Die unabhängige Beratung der Verbraucherzentralen trägt in Millionen Fällen dazu bei, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Sie bewahrt die Konsumenten vor teuren Fehlentscheidungen - damit die Verbraucher ihr Geld an der richtigen Stelle ausgeben können.

2. Reform des Versicherungsrechts: Damit Verbraucher für die Versicherungen zahlen, die sie wirklich brauchen
Die meisten Deutschen sind falsch versichert: Sie haben Versicherungen, die sie nicht brauchen oder die bei existenzbedrohenden Schäden nicht zahlen. Der Volkswirtschaft entstehen hierdurch Milliardenschäden. Ursache sind falsche Anreize für Versicherungsvermittler und eine Benachteiligung der Verbraucher im geltenden Versicherungsrecht.
Eine Reform des Versicherungsrechts und bei der Versicherungsvermittlung setzt die richtigen ökonomischen Anreize - damit Verbraucher den Versicherungsschutz haben, den sie auch wirklich brauchen.

3. Betriebliche Altersvorsorge: Eigenverantwortung attraktiver gestalten
Durch private Vorsorge übernehmen Verbraucherinnen und Verbraucher Eigenverantwortung fürs Alter. Damit entlasten sie die sozialen Sicherungssysteme - und haben auch im Alter noch Geld für den Konsum.
Die betriebliche Altersvorsorge muss reformiert werden. Sie bestraft Flexibilität am Arbeitsmarkt. Die Attraktivität der betrieblichen Altersvorsorge muss erhöht werden, damit Verbraucher beim Wechsel des Arbeitsplatzes nicht draufzahlen.

4. Überschuldete Haushalte: Kaufkraft wiederherstellen
Mehr als drei Millionen Haushalte sind überschuldet, so viele wie noch nie. Doch überschuldete Haushalte können nicht konsumieren - für die Belebung der Kaufkraft fallen sie aus.
Überbordende Bürokratie beim Insolvenzrecht, ein fehlender Zugang zu Girokonten und zu geringe Kapazitäten bei der Schuldnerberatung verschlimmern die Lage überschuldeter Haushalte zusätzlich. Reformen an diesen Punkten tragen dazu bei, Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden und die dringend notwendige Kaufkraft wiederherzustellen.

5. Energieeffizienz: Damit sich sparen richtig lohnt
Deutschland ist weltweit führend bei intelligenten Technologien. Ob bei Autos, Kühlschränken oder der Heizung - Energieeffizienz schont die Umwelt, entlastet Verbraucher und gibt Impulse für Investitionen.
Energieeffizienz setzt auf die Stärken unserer Wirtschaft: Eine konsequente Kennzeichnung des Energieverbrauchs von Autos, elektrischen Geräten und Wohngebäuden setzt Anreize für eine gezielte Nachfrage - und belohnt innovative Unternehmen.

6. Abfallgebühren: Effiziente Systeme entlasten die Privathaushalte
Deutschland hat ein Spitzensystem der Müllverwertung. Doch die Kostenbelastung der Verbraucher durch die Abfallentsorgung steigt immer weiter. Gleichzeitig bestehen von Kommune zu Kommune erhebliche Kostenunterschiede.
Die Unterschiede deuten auf erhebliche Effizienzreserven hin - die Gebühren müssen also runter und dürfen nicht noch weiter steigen. Auch für den Müll gilt: Jeder Euro, den die Verbraucher für ineffiziente Systeme zahlen, fehlt der Binnennachfrage.

7. Bauvertragsrecht: Neue Impulse für die Bauwirtschaft
Private Bauherren werden als Investoren umworben. Wie jeder Investor wollen sie darauf vertrauen können, dass ihre Investitionen sicher sind. Doch undurchsichtige Bauangebote, Zahlungspläne, mit denen Geld ohne Gegenleistung verlangt wird, Baumängel, rechtliche Unsicherheiten und das Risiko, Opfer eines Baukonkurses zu werden, verunsichern private Bauherren.
Private Bauherren brauchen einen besseren rechtlichen Schutz. Ein privates Bauvertragsrecht schafft Investitionssicherheit und stellt das verlorengegangene Vertrauen privater Bauherren in die Leistungsfähigkeit von Bauwirtschaft und Handwerk wieder her.

8. Digitaler Verbraucherschutz: Vertrauen für den Wachstumsmarkt Internet
Internet und E-Commerce zählen zu den Wachstumsbranchen. Doch der digitale Verbraucherschutz funktioniert nicht: Werbemüll per E-Mail, Betrügereien beim Online-Banking und ungehemmte Datensammelei im Internet untergraben das Vertrauen der Nutzer.
Der digitale Verbraucherschutz muss vorangebracht werden: Entschiedene Maßnahmen gegen Spamming, Phishing und Datenklau müssen das Internet wieder zu einem Marktplatz machen, auf dem sich Verbraucher sicher bewegen können - und Geld ausgeben.

9. Produktsicherheit: Unsichere Produkte gefährden den Qualitätswettbewerb
Die Produktvielfalt in globalisierten Märkten birgt neben neuen Wahlmöglichkeiten auch erhebliche Sicherheitsprobleme für Verbraucher. Eine effektive Marktüberwachung ist aber auch im Interesse deutscher Hersteller, die durch niedrigere Produktionsstandards in Schwellenländern Absatzprobleme bekommen.
Unfairer Wettbewerb mit Produkten, die nicht den europäischen Sicherheitsanforderungen entsprechen und daher billiger angeboten werden, untergräbt die Absatzmöglichkeiten für Qualitätsprodukte. Nur konsequente Kontrollen und eine effektive Zusammenarbeit von Bund und Ländern sichern faire Marktbedingungen.

10. Verbraucherbildung in Kindergärten und Schulen: Nur kluge Kunden kaufen innovative Produkte
Das PISA-Debakel gilt nicht nur für die Fächer Deutsch und Mathematik, sondern auch für die Verbraucherbildung. Wer einen Rentenfonds nicht von einer Rentenversicherung unterscheiden kann, kann auch nicht Eigenverantwortung für die Altersvorsorge übernehmen.
Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, brauchen die qualitäts- und innovationsorientierten deutschen Unternehmen informierte Konsumenten, die in der Lage sind, Qualität, seriöses Geschäftsgebaren und eine nachhaltige Produktion zu honorieren. Eine bessere Verbraucherbildung an Kindergärten und Schulen schafft dafür die Voraussetzung.

Lahmende Binnenkonjunktur: Wo den Bürgern die Kaufkraft fehlt - und wo Verbraucherpolitik ansetzen muss
Versicherungen: Die meisten Deutschen sind falsch versichert. Jede zweite Kapitallebensversicherung wird vorzeitig abgebrochen - mit hohen Kosten für die Verbraucher und fatalen Folgen für die Absicherung im Alter.
Abfallgebühren: Ineffiziente und monopolartige Strukturen bei der Müllentsorgung treiben die Preise in die Höhe. Während ein Vier-Personen-Haushalt in Rahden im Kreis Minden-Lübbecke 61,80 Euro im Jahr für die wöchentliche Entleerung einer 120-Liter-Tonne Restmüll bezahlen muss, sind es in Krefeld für die gleiche Leistung 395 Euro. Ein Unterschied von 539 Prozent.
Energieeffizienz: Die hohen Energiepreise belasten die Verbraucher beim Autofahren ebenso wie im Haushalt und beim Heizen. Trotz milliardenschwerer Sanierungsprogramme kommt die Sanierung des Gebäudebestands nur schleppend voran: Nach derzeitigem Tempo wäre der deutsche Gebäudebestand erst im Jahr 2115 vollständig saniert. Doch nicht nur das Tempo fehlt, auch die Ergebnisse der Sanierungen sind bescheiden: Nur jedes dritte Gebäude wird energetisch und wirtschaftlich optimal erneuert.
Altersvorsorge: Die Regeln für die betriebliche Altersvorsorge bestrafen Flexibilität am Arbeitsmarkt. Bei einem vorzeitigen Wechsel des Arbeitsplatzes verlieren Arbeitnehmer bis zu 85 Prozent der eingezahlten Beiträge. Der Verlust ist doppelt: Bei der Vorsorge fürs Alter und bei den für den Konsum verfügbaren Mitteln.
Schuldenfalle Handy: Jugendliche unter 18 geben monatlich etwa 72 Millionen Euro für Mobilfunk aus. Für viele Jugendliche sind die Kosten zu hoch: 850.000 Jugendliche zwischen 15 und 18 sind deutlich verschuldet.

Quelle und Kontaktadresse:
vzbv Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Markgrafenstr. 66, 10969 Berlin Telefon: 030/258000, Telefax: 030/25800218

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