Pressemitteilung | Deutsches Komitee für UNICEF e.V.

Jedes Jahr werden drei Millionen Mädchen beschnitten / Neue UNICEF-Studie: Grausames Ritual weiter verbreitet als befürchtet

(Köln) - Die Genitalverstümmelung von Mädchen ist weiter verbreitet als bislang angenommen: Jahr für Jahr werden weltweit drei Millionen Mädchen beschnitten. Dies ist das Ergebnis einer neuen Studie, die UNICEF anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November veröffentlicht. Weltweit leben schätzungsweise 130 Millionen Frauen und Mädchen, deren Genitalien verstümmelt wurden. Die UNICEF-Studie wertet neue Daten aus Haushaltsbefragungen in 18 Ländern Afrikas und des Mittleren Osten aus. In Ägypten, Guinea und Sudan werden demnach mindestens 90 Prozent aller Mädchen beschnitten.

„Jeden Tag werden mehr als 8.000 Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt“, sagte UNICEF-Kinderschutzexpertin Kirsten Leyendecker. „Wir müssen die Frauen stärken, damit sie ihre Dorfgemeinschaften überzeugen, diese Jahrtausende alte Tradition hinter sich zu lassen.“ Erfolge von Initiativen wie in Äthiopien zeigen, dass der archaische Brauch innerhalb einer Generation abgeschafft werden kann.

Bislang ging man davon aus, dass zwei Millionen Mädchen pro Jahr beschnitten werden. Grund für die nun höhere Zahl ist nicht eine Zunahme von Beschneidungen, sondern die genauere Datenerhebung. In einigen Ländern weist die UNICEF-Analyse sogar auf einen Rückgang der Tradition hin. Andererseits ist Mädchenbeschneidung mittlerweile ein weltweites Problem. Durch zunehmende Einwanderung gibt es auch in Industrienationen immer mehr Frauen und Mädchen, die von Beschneidung betroffen oder bedroht sind.

Die Tradition brechen - erste Erfolge

Traditionell ist der Brauch auf 28 Länder in Afrika und im Mittleren Osten beschränkt. In den meisten Staaten ist Beschneidung mittlerweile gesetzlich verboten. Zumindest in den Städten wird das Ritual deshalb auch nicht mehr als Fest zelebriert. In neun Ländern, in denen genauere Daten aus Erhebungen in verschiedenen Zeitabständen und Altersgruppen vorliegen, gibt es Anzeichen für eine Abnahme von Beschneidungen (Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Eritrea, Jemen, Kenia, Nigeria, Tansania und Zentralafrikanische Republik). In den anderen untersuchten Staaten hat sich die Verbreitung der Praxis nicht verändert.

Archaischer Brauch - modern ausgeführt

Die UNICEF-Studie weist nach, dass die Praxis der Mädchenbeschneidung vor allem mit der ethnischen Zugehörigkeit zusammenhängt. So schwankt die Rate der beschnittenen Mädchen zum Beispiel innerhalb der Zentralafrikanischen Republik je nach Region und Stammeszugehörigkeit zwischen fünf und nahezu 100 Prozent. Auch das Alter der Mädchen variiert je nach örtlicher Tradition. Die Eingriffe erfolgen meist zwischen vier und 15 Jahren. In manchen Regionen werden jedoch sogar Säuglinge beschnitten. Die UNICEF-Studie zeigt, dass in einigen Ländern, darunter Ägypten und Kenia, Mädchen heutzutage in jüngerem Alter beschnitten werden als noch vor einigen Jahren. Offenbar gehen Eltern davon aus, dass sie die verbotene Praxis so leichter geheim halten können und nicht mit Widerstand der betroffenen Mädchen rechnen müssen. Die Studie belegt zudem einen Trend zur „Modernisierung“ des Brauchs: In Ägypten, Guinea und Mali treten zunehmend Ärzte in Krankenhäusern an die Stelle traditioneller Beschneiderinnen.

Mädchenbeschneidung in Europa

In den EU-Staaten leben mehrere Hunderttausend Frauen aus Ländern, in denen die Mädchenbeschneidung verbreitet ist. Viele dieser Familien bringen ihre Wertvorstellungen und Traditionen mit und halten in der fremden Gesellschaft oft besonders daran fest. In Deutschland stammen knapp 59.000 Afrikanerinnen aus Ländern, in denen weibliche Genitalbeschneidung praktiziert wird. Schätzungsweise jede Zweite von ihnen ist von Genitalbeschneidung betroffen oder bedroht. Frankreich und England haben explizite Gesetze gegen Mädchenbeschneidung erlassen. Auch in Deutschland ist sie verboten und wird als Körperverletzung geahndet.

Eingriff mit lebenslangen Folgen

Mädchenbeschneidung hat tiefe kulturelle Wurzeln, auch wenn keine Religion sie vorschreibt. Der Eingriff reicht von der Abtrennung der Vorhaut der Klitoris bis zu deren Entfernung gemeinsam mit den Schamlippen. Die schlimmsten Folgen hat die so genannte Infibulation oder Pharaonische Beschneidung. Dabei werden die großen Schamlippen beschnitten und die Vagina anschließend zugenäht. In der Regel wird die Prozedur unter primitiven Bedingungen vorgenommen. Der Eingriff verursacht starke Schmerzen, Schockzustände und starke Blutungen. Immer wieder sterben Mädchen an den Folgen. Häufig kommt es zu Infektionen und chronischen Entzündungen. Viele beschnittene Frauen leiden ihr Leben lang an Depressionen und Angstzuständen.

Verbote allein reichen nicht aus

Viele betroffene Frauen bringen ihre gesundheitlichen Probleme nicht mit der Beschneidung in Verbindung. So sind viele Mütter weiter der Überzeugung, dass sie ihren Töchtern etwas Gutes tun, wenn sie sie beschneiden lassen. Der Eingriff garantiert aus ihrer Sicht die Erhaltung der Keuschheit und Jungfräulichkeit der Mädchen und dient der „Sauberkeit“. Unbeschnittene Mädchen haben meist keine Chance zu heiraten und werden aus der Dorfgemeinschaft ausgestoßen. Deshalb lassen manche Mütter ihre Töchter auch dann noch beschneiden, wenn sie über die gesundheitlichen Folgen aufgeklärt wurden.

Mit Verboten allein kann die Tradition nicht abgeschafft werden. Es kommt darauf an, eine Wende im Denken möglichst vieler und einflussreicher Mitglieder einer Dorfgemeinschaft zu bewirken. UNICEF führt Aufklärungs- und Informationskampagnen durch. Dazu werden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens mobilisiert. Besonders wichtig ist die finanzielle und politische Unterstützung von Frauengruppen, die für die Abschaffung der Beschneidung kämpfen. Allein im Senegal gelang es in den vergangenen Jahren der von UNICEF unterstützten Nichtregierungsorganisation TOSTAN über 1.500 Dörfer dazu zu bewegen, ihre Mädchen nicht länger zu beschneiden.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsches Komitee für UNICEF e.V. Höninger Weg 104, 50969 Köln Telefon: 0221/936500, Telefax: 0221/93650279

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