Pressemitteilung | Hans-Böckler-Stiftung

Studie: Wie wird Deutschland zukunftsfĂ€hig? / Schub fĂŒr kommunale Investitionen stĂ€rkt nachhaltige Wirtschaftsentwicklung

(DĂŒsseldorf) - Im europĂ€ischen Vergleich steht Deutschland derzeit wirtschaftlich relativ gut da. Doch jenseits der Momentaufnahme zeigen sich große Defizite bei der Nachhaltigkeit. Das gilt auch fĂŒr die öffentlichen Investitionen, die seit einem Jahrzehnt niedriger sind als die jĂ€hrlichen Abschreibungen. Vor allem die InvestitionsschwĂ€che der StĂ€dte und Gemeinden sollte rasch behoben werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein neues Gutachten*, in dem Fabian Lindner vom Institut fĂŒr Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung, Erik KlĂ€r vom Bundesarbeitsministerium und Kenan Šehović vom thĂŒringischen Wirtschaftsministerium der Frage nachgehen, wie sich der Wohlstand der deutschen Gesellschaft steigern und nachhaltiger gestalten lĂ€sst. Das Gutachten ist Teil eines Projektes zur Erarbeitung eines neuen "Wohlstands- und Nachhaltigkeitsgesetzes" auf Basis eines "Neuen Magischen Vierecks", das vom Denkwerk Demokratie e.V., der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem IMK gemeinsam initiiert wurde und durchgefĂŒhrt wird.

Ein verengtes VerstĂ€ndnis von Generationengerechtigkeit habe dazu gefĂŒhrt, dass "in den letzten Jahrzehnten... die fiskalische TragfĂ€higkeit einseitig mit Blick auf Schuldenstand und Defizite der öffentlichen Haushalte bewertet worden sei", konstatieren die drei Wissenschaftler. Folge: Der öffentliche Kapitalstock verfalle zunehmend, mit gravierenden Folgen fĂŒr die wirtschaftliche, soziale und ökologische ZukunftsfĂ€higkeit. Die Forscher empfehlen unter anderem, die Investitionskraft der StĂ€dte und Gemeinden zu stĂ€rken.

Die deutschen Kommunen stellen die wesentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge bereit: Sie verantworten weite Teile der Straßen und der Verkehrsinfrastruktur - also auch den öffentlichen Personennahverkehr. Sie sind fĂŒr die Kinderbetreuung und SchulgebĂ€ude zustĂ€ndig, die Wasserver- und -entsorgung sowie Teile der Energie- und Abfallwirtschaft. Auch die soziale UnterstĂŒtzung fĂŒr EmpfĂ€nger von ALG II und Behinderte ist zum großen Teil auf kommunaler Ebene angesiedelt.

"Somit sind die Gemeinden zentral, wenn es um die konkrete Umsetzung der Forderungen nach besserer Bildung, Ausbau der Kinderbetreuung und einer Energiewende geht, die in der Gesellschaft derzeit einen besonders hohen Stellenwert genießen", schreiben KlĂ€r, Lindner und Šehović.

Ihre Analyse zeigt: Seit 1991 hat sich der Anteil der kommunalen Investitionen an der Wirtschaftsleistung halbiert; allein zwischen 2003 und 2012 ist dadurch eine InvestitionslĂŒcke von 52 Milliarden Euro entstanden. Auch 2013 dĂŒrfte der RĂŒckstand weiter wachsen, weil die Kommunen deutlich weniger als die 25 Milliarden Euro investieren werden, die die Forscher als jĂ€hrlichen Bedarf errechnet haben. "Wesentlich fĂŒr den hohen InvestitionsrĂŒckstau ist die strukturelle Unterfinanzierung vieler Kommunen", schreiben die Wissenschaftler. Insgesamt konnten diese zwar im vergangenen Jahr das erste Mal seit 2008 wieder einen HaushaltsĂŒberschuss erzielen. Dies verdecke jedoch Unterschiede zwischen den Kommunen: 30 Prozent von ihnen haben weiterhin erhebliche Haushaltsdefizite.

Besonders in strukturschwachen Regionen bleiben die Sozialausgaben der StÀdte und Gemeinden stabil oder nehmen zu, ihre Einnahmen hingegen fallen. Sie sind zunehmend von Zuweisungen der LÀnder und des Bundes abhÀngig. Vor allem die LÀnder stehen jedoch durch die 2009 verabschiedete Schuldenbremse unter erheblichem Konsolidierungsdruck.

Insgesamt sollten sich nach den Berechnungen der Forscher die kommunalen Investitionen in der nÀchsten Legislaturperiode mehr als verdoppeln: von derzeit 0,75 Prozent der jÀhrlichen Wirtschaftsleistung auf 1,6 Prozent. Was recht unspektakulÀr klingt, ist nach ihrer Analyse ein zentraler erster Schritt - und ein Kraftakt.

StĂ€dte und Gemeinden haben schließlich kaum Möglichkeiten, ihre Einnahmen selbst zu bestimmen. "Zentral sind deswegen auch fĂŒr die Ausstattung der Kommunen die gesamtstaatlichen Steuereinnahmen und Ausgaben, die mittelbar ĂŒber die verfĂŒgbaren Finanzmittel der LĂ€nder und des Bundes auch die Höhe der Zuweisungen fĂŒr die Kommunen bestimmen", so die Autoren. Besonders die Beseitigung des bisherigen Investitionsstaus ließe sich Ă€hnlich dem "Zukunftsinvestitionsgesetz" aus dem zweiten Konjunkturpaket ĂŒber direkte Finanzhilfen des Bundes finanzieren.

DarĂŒber hinaus empfehlen KlĂ€r, Lindner und Šehović, StĂ€dte und Gemeinden stĂ€rker von Sozialausgaben zu entlasten: "Dabei sind zwar schon erste Schritte bei der Grundsicherung im Alter und der Erwerbsminderung getan, aber auch die Kosten der Unterkunft beim ALG II, die Eingliederungshilfen fĂŒr Behinderte, der Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen oder der Inklusion mĂŒssten verstĂ€rkt vom Bund ĂŒbernommen werden."

Die momentane staatliche Finanzausstattung werde allerdings nicht ausreichen, um die öffentlichen Investitionen im notwendigen Ausmaß zu erhöhen, ohne dabei andere Ausgaben stark zu kĂŒrzen. Die vom Bundesfinanzministerium und manchen Wirtschaftsforschern fĂŒr die kommenden Jahre prognostizierten zusĂ€tzlichen Steuereinnahmen halten die Experten fĂŒr zu gering und zu unsicher: Die konjunkturellen Risiken seien so groß, dass sie "heutige Projektionen zum strukturellen Defizit und damit zum staatlichen Finanzierungsspielraum schnell zur Makulatur werden lassen könnten". Aufgrund der Anforderungen der Schuldenbremse seien daher höhere Steuereinnahmen nahezu unumgĂ€nglich. Die Wissenschaftler empfehlen höhere Steuern auf Erbschaften, Schenkungen und Vermögen. Diese seien in Deutschland im internationalen Vergleich besonders gering und wĂŒrden bereits bei einer moderaten Erhöhung betrĂ€chtliche Mehreinnahmen bringen.

*Quelle: Erik KlĂ€r, Fabian Lindner, Kenan Šehović: Das Neue Magische Viereck nachhaltiger Wirtschaftspolitik, Maßnahmen zur Steigerung des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands in der neuen Legislaturperiode, Friedrich-Ebert-Stiftung, Oktober 2013. Download: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/10300.pdf

Mehr Informationen zum Forschungsprojekt bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (www.fes.de/wiso) und beim Denkwerk Demokratie e.V. (www.denkwerk-demokratie.de).

Quelle und Kontaktadresse:
Hans-Böckler-Stiftung Rainer Jung, Leiter, Pressestelle Hans-Böckler-Str. 39, 40476 DĂŒsseldorf Telefon: (0211) 77780, Fax: (0211) 7778120

(cl)

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