Wer das Montesquieu’sche Gewaltenteilungsschema von Legislative, Exekutive und Judikative vor Augen hat, wird erstaunt vernehmen, dass in Deutschland Verbände selbst Parlamentsgesetze ändern oder außer Kraft setzen dürfen. Der Beitrag ab Seite 8 gibt einen Überblick über die in den letzten Jahren stark ausgeweiteten Informations-, Mitwirkungs-, Gestaltungs- und Klagebefugnisse von Verbänden. Er beginnt mit einer Darstellung der Informationsrechte von Verbänden und wird in den nächsten Ausgaben fortgesetzt.
Die Beteiligungsrechte der Verbänden lassen sich in Informationsrechte von Verbänden, Verfahrensbeteiligungsrechte von Verbänden, Gesetzesänderungsrechte von Verbänden sowie in Klagebefugnisse von Verbänden (einschließlich Gewinnabschöpfungsklagen) einteilen. Sie ergänzen als Aktionsrechte die verfas-sungsrechtlich gewährleisteten Bestandsrechte (institutionelle Rechte) der Verbände, wie beispielsweise die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.
Der erweiterte Handlungsrahmen der Verbände stellt kein deutsches Spezifikum dar, sondern erfolgte parallel zu ähnlichen Entwicklungen in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union. Zum überwiegenden Teil beruht er sogar auf europarechtlichen Vorgaben oder auf internationalen Abkommen, denen die Europäische Union und Deutschland beigetreten sind. Beispielsweise sei hierzu die Aarhus-Konvention der UNECE genannt, die auf dem Gebiete des Umweltschutzes in drei so genannten Säulen für Verbände Informationsrechte, Rechte an der Verfahrensbeteiligung und Klagebefugnisse fordert. Dieses Programm ist mittlerweile über einige EG-Richtlinien schon weitgehend in das deutsche Recht umgesetzt worden. Das Schaubild auf der rechten Seite zeigt die Verflechtung von internationalem und nationalem Recht am Beispiel des Umweltrechts.
Informationsrechte der Verbände
Informationsrechte der Verbände ergeben sich sowohl aus allgemeinen nationalen und EG-rechtlichen Vorschriften als auch aus einer Reihe von spezialgesetzlichen Rechtsgrundlagen. So bestimmt beispielsweise Artikel 255 des EG-Vertrages, dass jede „juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedsstaat das Recht auf Zugang zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission besitzt“. Dieser Artikel ist durch die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission näher konkretisiert worden, wobei zugleich einige Grenzen gezogen worden sind, die sich aus Belangen der öffentlichen Sicherheit, des gewerblichen Rechtsschutzes und ähnlicher Überlegungen ergeben.
In den EU-Ländern sind solche Informationsrechte beispielsweise durch die folgenden Gesetze geschaffen worden:
• Dänemark: Gesetz auf Zugriff der Akten der öffentlichen Verwaltung vom 19. Dezember 1985
• Estland: Das Gesetz über die Information der Öffentlichkeit vom 15. November 2000
• Frankreich: Gesetz über den freien Zugang von Informationen, die von öffentlichem Interesse sind vom 12. April 2000
• Irland: Informationsfreiheits-Gesetz im Jahre 1997
• Norwegen: Informationsfreiheits--Gesetz vom 19. Juni 1970
• Tschechische Republik: Informationsfreiheits-Gesetz vom 11. Mai 1999
Es ist eine Frage der Zeit, bis in allen 25 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vergleichbare Gesetze in Kraft getreten sind. Sie erlauben dann beispielsweise einem deutschen lebensmittelindustriellen Verband von irischen Behörden Informationen darüber zu verlangen, ob dort bei der Herstellung von Butter ‚alles in Butter’ war. Und natürlich gilt dies auch vice versa.
In Deutschland sind die Informationsrechte vor allem in folgenden Gesetzen enthalten: Informationsfreiheits-Gesetz des Bundes, Informationsfreiheits-Gesetze der Bundesländer, Umweltinformations-Gesetz, Verbraucherinformations-Gesetze der Länder, Verbraucherinformations-Gesetz des Bundes (im Gesetzgebungsprozess), Unterlassungsklagengesetz, sowie UWG.
Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und der Länder
Nach diesen Gesetzen hat jeder — also auch Verbände — gegenüber den Behörden des Bundes oder bei Landesgesetzen gegen Landesbehörden einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen. Das bisher vertrauliche behandelte Amtswissen wird also vergemeinschaftet, wovon man sich generell mehr Transparenz und sorgfältigere Entscheidungsbildungen, nicht zuletzt aber auch eine gewissen Korruptionsprophylaxe verspricht. Jedenfalls sind dies die Erfahrungen in den skandinavischen Ländern, in denen ähnliche Gesetze zum Teil seit Jahrzehnten bestehen.
Für sonstige Bundesorgane und Bundeseinrichtungen gelten diese Gesetze, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Einer Behörde im Sinne des Gesetzes stehen auch natürliche oder juristische Personen des Privatrechtes gleich, soweit sich eine Behörde dieser Personen zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Aufgaben bedient.
Die Behörde kann Auskunft erteilen, Akteneinsicht gewähren oder Informationen in sonstiger Weise zur Verfügung stellen. Verlangt der Antragsteller eine bestimmte Art des Informationszugangs, so darf dieser nur aus wichtigen Gründen auf eine andere Art gewährt werden. Als wichtiger Grund gilt insbesondere ein deutlich höherer Verwaltungsaufwand. Sofern mit der Auskunftserteilung Kosten entstehen, können diese im gewissen Umfang dem Antragsteller in Rechnung gestellt werden. Hierfür sind eigene Kostenordnungen verabschiedet worden.
Die meisten Bundesländer haben mitt-lerweile eigene Informationsfreiheits-Gesetze erlassen, die sich inhaltlich eng an das Bundes-Informationsfreiheitsgesetz anlehnen und Informationsansprüche gegenüber Landesbehörden begründen.
Umweltinformationsgesetz des Bundes
Nach dem Umweltinformations-Gesetz kann jedermann ohne Nachweis eines Interesses Auskünfte, schriftliche Stellungnahmen oder Akteneinsicht verlangen. Der Begriff der Umweltinformation ist weit gefasst; er schließt auch Kontaminationen in der Lebensmittelkette und gentechnisch modifizierte Organismen ein. Auskünfte müssen auch zu politischen Konzepten, Plänen und Programmen gegeben werden.
Der Anspruch richtet sich gegen Bundesbehörden und Private, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen. Ausgenommen von der Informationspflicht sind Gegenstände, die die Verteidigung, die öffentliche Sicherheit, den Schutz des geistigen Eigentums oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse beinhalten.
Hinsichtlich der Kosten ist festgelegt, dass mündliche oder kurze schriftliche Auskünfte kostenlos erteilt werden; das gleiche gilt für eine Akteneinsicht vor Ort. Umfassende schriftliche Auskünfte können mit einer Gebühr bis zu 250 Euro belegt werden; außergewöhnlich aufwendige Maßnahmen können bis zu 500 Euro kosten. Aufgrund der ersten Erfahrungen mit diesen Gesetzen wird teilweise bemängelt, dass die Behörden zu hohe Bearbeitungsgebühren erheben.
Bemerkenswert hinsichtlich der Informationsansprüche nach dem Umweltinformations-Gesetz ist, dass der Antragsteller grundsätzlich die Art der Unterrichtung selbst festlegen kann (mündliche Auskunft, schriftliche Stellungnahme, Akteneinsicht). Hiervon kann die Behörde nur unter sehr engen Voraussetzungen abweichen.
Verbraucherinformationsgesetze
Für den Bereich der Lebensmittelwirtschaft haben bisher schon einige Bundesländer Informationspflichten der zuständigen Behörden geschaffen, die von jedem — also auch von inländischen und ausländischen Wettbewerbern — in Anspruch genommen werden können. Ein Verbraucherinformationsgesetz des Bundes wird in Kürze im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Entgegen früheren Diskussionen sieht es nicht einen Informationsanspruch gegen Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft selbst vor, die ihrerseits aber gegenüber Behörden informationspflichtig sind, wenn sich herausstellt, das bereits in den Verkehr gelangte Lebensmittel nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Über diese Informationspflicht der Unternehmen kann dann jeder der will, also auch Verbände, mittelbar über die Behörden an Unternehmensinterna gelangen. Grenze sind auch hier wieder Belange der öffentlichen Sicherheit sowie der Schutz des geistigen Eigentums oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse.
Informationsrechte nach dem Unterlassungsklagengesetz und dem UWG
Auch nach diesen Gesetzen können rechtsfähige Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen, sofern sie ausreichend repräsentativ für den jeweiligen Markt sind und über eine entsprechende Infrastruktur verfügen, Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern und so genannte qualifizierte Einrichtungen, das sind Verbände, die als Verbraucherschutzorganisationen vom Bundesverwaltungsamt anerkannt worden sind, bestimmte Informationsansprüche, die zur Vorbereitung ihrer Verbandsklagen erforderlich sind, gegenüber bestimmten Adressaten geltend machen. Diese Ansprüche können sich beispielsweise gegen Telekommunikationsdienstleister oder gegen Warenversender richten (vgl. hierzu die §§ 13 und 13 a Unterlassungsklagengesetz sowie § 8 UWG).
(wird fortgesetzt)