Verbändereport AUSGABE 7 / 2004

Rechtsetzung in der EU

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Das Rechtssetzungsverfahren der EG ist alles andere als einfach. Historisch ist dies damit zu erklären, dass die EWG ursprünglich eine Gründung souveräner Staaten war, so dass die Gesetzbebung weitgehend in der Hand der Kommission und der Regierungen der Mitgliedsstaaten in Gestalt des Rates lag. Erst später ist das Parlament schrittweise an dem Rechtsetzungsverfahren beteiligt worden.

Die Rechtsetzung in der EG findet auf verschiedene Weise statt: Verordnungen und Richtlinien werden nach dem Anhörungsverfahren, dem Zusammenarbeitsverfahren, dem Mitentscheidungsverfahren oder dem Zustimmungsverfahren erlassen. Für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen sind weitere Verfahrensarten vorgesehen. Individuelle Entscheidungen (zum Beispiel im Kartell-, Zoll- und Antidumpingrecht) sowie unverbindliche Rechtsakte ergehen in einem vereinfachten Verfahren. Schließlich gelten für den EGKS-Bereich weitere Besonderheiten.

Anhörungsverfahren

Dem Anhörungsverfahren liegt die Arbeitsteilung zwischen Kommission und Rat der EG zugrunde: Die Kommission schlägt vor, der Rat beschließt. Bevor es allerdings zu einer Beschlussfassung durch den Rat kommt, müssen verschiedene Etappen durchlaufen werden, in denen – je nach Regelungsgegenstand – neben der Kommission und dem Rat auch das Europäische Parlament, der Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) sowie der Ausschuss der Regionen (AdR) beteiligt werden.

Das Anhörungsverfahren hat im Zuge der Weiterentwicklung der Gemeinschaft wesentlich an Bedeutung verloren und wird nur noch beim Erlass folgender Regelungen angewendet:

  • Beseitigung von Diskriminierungen gemäß Artikel 13 EG-Vertrag;
  • Statusfragen der Unionsbürgerschaft gemäß Artikel 22 Absatz 2 EG-Vertrag,
  • Gemeinsame Agrarpolitik gemäß Artikel 37 Absatz 2 EG-Vertrag,
  • Dienstleistungsfreiheit gemäß Artikel 52 Absatz 2 EG-Vertrag,
  • übergangsweise bei Visa, Asyl und Einwanderung gemäß Artikel 67 Absatz 1 EG-Vertrag,
  • Wettbewerb gemäß Artikel 83 und 89 EG-Vertrag,
  • Steuern gemäß Artikel 93 EG-Vertrag,
  • Leitlinien für die Beschäftigungspolitik gemäß Artikel 128 Absatz 2 EG-Vertrag,
  • Außenhandelspolitik bezüglich Dienstleistungen und Rechte des geistigen Eigentums gemäß Artikel 133 EG-Vertrag,
  • Sozialschutz und Schutz der Arbeitnehmerinteressen sowie Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen gemäß Artikel 137 Absatz 3 EG-Vertrag,
  • zur Gründung von gemeinsamen Unternehmen im Rahmen der Durchführung der Programme für gemeinschaftliche Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (Artikel 172 EG-Vertrag)
  • Umweltmaßnahmen im Sinne von Artikel 175 Absatz 2 EG-Vertrag.


Einleitung des Anhörungsverfahrens

Die Kommission leitet das Verfahren aufgrund ihres Initiativrechts ein. Hierzu erarbeitet die zuständige Generaldirektion einen ersten Entwurf, an dessen Erarbeitung sie auch Fachleute aus den Mitgliedsstaaten und Interessenvertreter beteiligen kann. Durch die Beteiligung von Fachvertretern aus den nationalen Ministerien kann sie oft die Erfolgsaussichten ihres Vorschlags im Rat besser abschätzen und gegebenenfalls bereits im Vorfeld Kompromisse anstreben. Allerdings ist die Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge an die Ergebnisse der Beratungen mit den nationalen Experten nicht gebunden. Der von den Dienststellen der Kommission ausgearbeitete Entwurf wird von den Kommissionsmitgliedern beraten und mit einfacher Mehrheit beschlossen. Als „Vorschlag der Kommission“ wird er dem Rat zusammen mit einer ausführlichen Begründung zugeleitet.


( ©Alle Grafiken aus der Website der EU-Kommission)


Anhörungsstadium

Der Rat leitet den Kommissionsvorschlag vor der Beschlussfassung durch den Rat weiteren Gemeinschaftseinrichtungen zur Anhörung zu. Die Gemeinschaftsverträge haben mittlerweile dem Europäischen Parlament ein solches Anhörungsrecht für alle politisch bedeutsamen Entscheidungen eingeräumt (obligatorische Anhörung). Eine Nichtanhörung des Europäischen Parlaments in diesen Fällen stellt einen Formfehler dar, der im Rahmen der Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EGV geltend gemacht werden kann.

Über diese obligatorische Anhörung hinaus wird Parlament aber üblicherweise auch zu denjenigen Rechtsetzungsvorhaben gehört, die der Rat selbständig aufgrund eines Vorschlags der Kommission beschließen kann (fakultative Anhörung). Beispiele hierfür sind:

  • Harmonisierung der nationalen Beihilfensysteme für Drittlandsausfuhren (Artikel 132 Absatz 1 EGV);
  • Festlegung der Sätze des Gemeinsamen Zolltarifs (Artikel 26 EG-Vertrag).

Zur Anhörung sendet der Rat den Kommissionsvorschlag an den Präsidenten des Europäischen Parlaments und ersucht um eine Stellungnahme. Der Parlamentspräsident leitet ihn dem federführenden Parlamentsausschuss zur Bearbeitung zu. Das Ergebnis der Ausschussberatungen wird vom Plenum des Europäisches Parlament abschließend beraten und sodann eine Stellungnahme abgegeben, die

  • zustimmend oder
  • ablehnend sein oder
  • Änderungsvorschläge enthalten kann.

Die Stellungnahmen und Änderungsvorschläge des Europäischen Parlaments sind für den Rat jedoch nicht bindend. Sie besitzen indes erhebliches politisches Gewicht.
Neben der Anhörung des Parlaments sehen die Gemeinschaftsverträge in einigen Fällen auch die Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) und des Ausschusses der Regionen (AdR) vor. Auch deren Stellungnahmen haben nur empfehlenden Charakter.

Entscheidungsphase

Nach Anhörung der vorgesehenen Institutionen befasst sich der Rat mit dem – möglicherweise von der Kommission aufgrund der Anhörungen geänderten - Vorschlag der Kommission. Dazu wird der Vorschlag vom Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (Coreper – Comité des représentants permanents) beraten; Agrarfragen werden dagegen im CSA, dem Comité Speziale d’Agriculture, behandelt. Im Coreper wird die Beschlussfassung durch den Rat unter Einschaltung fachlicher Arbeitsgruppen vorbereitet, wobei sich COREPER I mit den eher politischen, COREPER II mit den eher technischen Fragen befasst.

Sobald ein Rechtsakt „beschlussreif“ ist, wird er als so genannter „A-Punkt“ auf die Tagesordnung einer der nächsten Ratssitzungen gesetzt und dort ohne weitere Aussprache vom Rat beschlossen.

Bestehen hingegen im Coreper Differenzen, gelangt das Thema als so genannter „B-Punkt“ auf die Tagesordnung, zu dem eine Aussprache im Rat vor Beschlussfassung stattfindet.

Der Ratsbeschluss beendet das sachliche Normsetzungsverfahren (formell ist beispielsweise noch eine Veröffentlichung im Amtsblatt nötig.)

Veröffentlichung

Der beschlossene Rechtsakt wird in allen Amtssprachen formuliert, vom Rat dann endgültig „in den Sprachen der Gemeinschaft angenommen“, vom Präsidenten des Rates unterzeichnet und anschließend veröffentlicht oder „demjenigen, für den er bestimmt ist“, bekannt gegeben (Artikel 254 Absatz 1 EG-Vertrag).


Verfahren der Zusammenarbeit (Artikel 252 EG-Vertrag)
Das Zusammenarbeitsverfahren ähnelt dem Anhörungsverfahren, sieht jedoch eine stärkere Stellung des Europäischen Parlaments vor und führt zu einem schnelleren Rechtsetzungsprozess (so zumindest von der Intention her). Das Verfahren beschränkt sich heute auf den Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion (Artikel 99 Absatz 5 und Artikel 106 Absatz 2 EG-Vertrag); alle früheren Anwendungsfälle sind inzwischen durch das der Mitentscheidungsverfahren abgelöst worden.


Im Zusammenarbeitsverfahren ist vor allem eine zweite Lesung im Parlament und im Rat vorgesehen.

Erste Lesung:

Dazu wird der Vorschlag der Kommission gleichzeitig dem Rat und dem Parlament zur Beratung übermittelt. Zweck der frühen Einschaltung des Europäischen Parlaments ist es, dem Rat die Parlamentsauffassung zu dem Kommissionsvorschlag noch vor der Festlegung eines „Gemeinsamen Standpunktes“ zur darzulegen. In dieser Phase werden auch der WSA und der AdR angehört, wenn dies in den Verträgen vorgesehen ist. Nach Eingang der Stellungnahmen legt der Rat mit qualifizierter Mehrheit einen „Gemeinsamen Standpunkt“ fest. Es handelt sich hierbei nicht um ein ‚Kompromisspapier’, sondern um die autonome Position des Rates.

Zweite Lesung:

Dieser „Gemeinsame Standpunkt“ wird vom Europäischen Parlament in zweiter Lesung beraten, wobei es innerhalb einer Frist von drei Monaten folgende Optionen hat:
Wenn das Parlament dem Gemeinsamen Standpunkt zustimmt oder keine Stellungnahme abgibt, beschließt der Rat den „Gemeinsamen Standpunkt“ endgültig.
Das Parlament kann den gemeinsamen Standpunkt aber auch ablehnen oder Änderungen vorschlagen. In diesen Fällen kann sich der Rat unter folgenden Voraussetzungen überstimmen:

  • Bei Ablehnung kann der Rat in zweiter Lesung nur einstimmig beschließen oder auf eine Beschlussfassung verzichten. Wegen der oft nicht gegebenen Einstimmigkeit im Rat liegt hier oft faktisch eine Blockade des Gesetzgebungsverfahrens vor. Das Europäische Parlament lehnt daher nur in seltenen Fällen einen „Gemeinsamen Standpunkt“ in toto ab.
  • In der Regel wird es Abänderungen vorschlagen. Dann hat die Kommission die Möglichkeit der Übernahme der Änderungsvorschläge. Nur wenn die Kommission die Abänderungen übernimmt, beschließt der Rat im normalen Beschlussverfahren, nämlich mit qualifizierter Mehrheit oder mit Einstimmigkeit, sofern er von dem geänderten Kommissionsvorschlag abweichen will. Wenn die Kommission die Abänderungen des Europäischen Parlaments dagegen nicht übernimmt, bedarf es zur Beschlussfassung über die Änderungsvorschläge des Parlaments durch den Rat wiederum der Einstimmigkeit.


Verfahren der Mitentscheidung (Artikel 251 EG-Vertrag)
Das Mitentscheidungsverfahren beruht weitgehend auf dem Zusammenarbeitsverfahren. Während sich der Rat allerdings im Zusammenarbeitsverfahren einstimmig über die Stellungnahmen des Europäischen Parlaments hinwegsetzen kann, ist dies im Mitentscheidungsverfahren nicht möglich. Das erhöht den Zwang zum Kompromiss. Das Mitentscheidungsverfahren ist mittlerweile die wichtigste Rechtsetzungsvariante geworden.


Dem Mitentscheidungsverfahren unterliegen die folgenden Regelungsgebiete:

  • Verbot von Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Artikel 12 EG-Vertrag),
  • Bestimmungen über die Erleichterung der Ausübung des Aufenthaltsrechts (Artikel 18 Absatz 2 EG-Vertrag),
  • Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit (Artikel 40 EG-Vertrag),
  • Maßnahmen zur Gewährleistung der sozialen Sicherheit bei Ausübung des Freizügigkeitsrechts (Artikel 42 EG-Vertrag),
  • Richtlinien zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit (Artikel 44 Absatz 2 und Artikel 47 Absatz 1 EG-Vertrag),
  • Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit (Artikel 55 EG-Vertrag), Verkehrspolitik (Artikel 71 Absatz 1 und Artikel 80 EG-Vertrag),
  • Errichtung des Binnenmarktes (Artikel 95 EG-Vertrag),
  • Sozialpolitik, einschließlich Maßnahmen zur Herstellung der Geschlechtergleichbehandlung (Artikel 137, 141 und 148 EG-Vertrag),
  • Fördermaßnahmen in der beruflichen und allgemeinen Bildung (Artikel 149 EG-Vertrag),
  • Kulturbereich (Artikel 151 EG-Vertrag)
  • Gesundheitswesen (Artikel 152 EG-Vertrag),
  • Verbraucherschutz (Artikel 153 EG-Vertrag),
  • Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse bei der Verwirklichung der transeuropäischen Netze (Artikel 156 EG-Vertrag),
  • Regionalfonds (Artikel 166 Absatz 1 EG-Vertrag),
  • Durchführung von Forschungsprogrammen (Artikel 172 Absatz 2 EG-Vertrag),
  • Verfolgung der in Artikel 174 EG-Vertrag aufgeführten Umweltschutzziele (Artikel 175 Absatz 1 EG-Vertrag)
  • Durchführung der Umweltschutzprogramme (Artikel 175 Absatz 3 EG-Vertrag),
  • Maßnahmen auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit (Artikel 179 EG-Vertrag),
  • Festlegung allgemeiner Grundsätze für den Zugang zu Dokumenten (allgemeine Grundsätze der Transparenz, Artikel 280 EG-Vertrag),
  • Maßnahmen für die Erstellung von Statistiken (Artikel 285 EG-Vertrag)
  • Errichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz für die Überwachung des Datenschutzes (Artikel 286 EG-Vertrag).

Das Verfahren der Mitentscheidung läuft wie folgt ab:

Erste Lesung:

Der Kommissionsvorschlag wird dem Rat und dem Europäischen Parlament sowie gegebenenfalls den anzuhörenden Ausschüssen zugeleitet. In einer ersten Lesung berät das Europäische Parlament diesen Vorschlag und übermittelt seine Stellungnahme dem Rat. In dieser Phase erhalten auch der WSA sowie der AdR die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme.

Stimmt das Parlament dem Vorschlag zu oder übernimmt der Rat alle Änderungsvorschläge, kann der Rat den Rechtsakt erlassen. Anderenfalls wird die zweite Lesung im Europäischen Parlament vorbereitet.

Zweite Lesung:

Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags, der Stellungnahme des Europäischen Parlaments und der Ausschüsse einen Gemeinsamen Standpunkt. Dieser wird im Europäischen Parlament in zweiter Lesung beraten. Binnen einer Frist von drei Monaten besitzt das Parlament drei Verhaltensoptionen:

  • Billigung des Gemeinsamen Standpunkts oder Nichtabgabe einer Stellungnahme: Der Rat beschließt den Gemeinsamen Standpunkt mit qualifizierter Mehrheit.
  • Lehnt das Parlament den Gemeinsamen Standpunkt ab, wozu die absolute Mehrheit der Mitglieder des Europäischen Parlaments erforderlich ist, endet das Rechtsetzungsverfahren. Die früher vorgesehene Möglichkeit des Rates, in den Vermittlungsausschuss anzurufen, ist abgeschafft worden.
  • Wenn das Parlament Änderungsvorschläge zum Gemeinsamen Standpunkt beschließt, läuft folgendes Verfahren ab:
  • Der Rat kann den vom Parlament abgeänderten Gemeinsamen Standpunkt verabschieden.

Vermittlungsausschuss

Will der Rat dagegen einzelne Änderungen nicht übernehmen oder fehlt hierzu die erforderliche Mehrheit, weil beispielsweise die Kommission eine ablehnende Stellungnahme zu den Änderungsvorschlägen des Parlaments abgegeben hat (Einstimmigkeit!), muss der Ratspräsident im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments innerhalb von sechs Wochen den Vermittlungsausschuss einberufen. Dieser setzt sich paritätisch aus jeweils 15 gleichberechtigten Vertretern des Rates und des Europäischen Parlaments zusammen. Grundlage des Vermittlungsverfahrens bildet der Gemeinsame Standpunkt unter Beachtung der vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Änderungen. Ziel des Vermittlungsverfahrens ist es, einen sowohl für den Rat als auch für das Parlament mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden.

Dritte Lesung

Einigt sich der Vermittlungsausschuss auf einen gemeinsamen Entwurf, müssen Rat und Parlament das Ergebnis in einer dritten Lesung innerhalb einer Frist von sechs Wochen bestätigen. Ohne Rücksicht auf die Haltung der Kommission zum gemeinsamen Entwurf, genügt im Rat grundsätzlich die qualifizierte Mehrheit (Ausnahme: Der EG-Vertrag sieht für den Rechtsakt Einstimmigkeit vor). Das Europäische Parlament beschließt mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Der Rechtsakt gilt als durch Europäische Parlament und den Rat erlassen (beispielsweise „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates“). Scheitert das Vermittlungsverfahren, ist der beabsichtigte Rechtsakt endgültig gescheitert.


Das Zustimmungsverfahren

Beim Zustimmungsverfahren sind die Befugnisse des Parlaments am weitesten ausgebaut. Gilt dieses Verfahren, dann kann ein Rechtsakt nur erlassen werden, wenn er zuvor die Zustimmung des EP erhalten hat. Allerdings besitzt in diesem Verfahren das Parlament keine Gestaltungsspielräume, da es keine Änderungen vorschlagen kann. Es gilt das „take it or leave it“-Prinzip.

Das Verfahren wird auf folgenden Gebieten angewendet:

  • Beitritt von Staaten zur EU (Artikel 49 EU-Vertrag),
  • Abschluss von Assoziierungsabkommen und sonstigen grundlegenden Abkommen mit Drittstaaten (Artikel 300 Absatz 3 Unterabsatz 2 EG-Vertrag),
  • Übertragungen von weiteren Aufgaben auf die EZB (Artikel 105 Absatz 6 EG-Vertrag),
  • Änderungen der Satzung des ESZB (Artikel 107 Absatz 5 EG-Vertrag)
  • Ernennung des Kommissionspräsidenten und der Kommission als Kollegialorgan (Artikel 214 Absatz 2 EG-Vertrag).

Das einfache Verfahren

In dem einfachen Verfahren werden Rechtshandlungen von einem hierzu befugten Gemeinschaftsorgan ohne vorherigen Vorschlag der Kommission erlassen.

  • Beispielsweise wird die Genehmigung von nationalen Beihilfen auf diese Weise erteilt.
  • Auch unverbindliche Rechtsakte wie Empfehlungen und Stellungnahmen von Rat und Kommission werden auf diese Weise erlassen. Die Kommission kann auch ohne spezielle Kompetenzzuweisung gemäß Artikel 211 zweiter Spiegelstrich EG-Vertrag, und Artikel 124 Unterabsatz 2 EAG-Vertrag, wenn sie es für notwendig erachtet auch, solche Rechtsakte erlassen.

Wie werden Durchführungsbestimmungen erlassen?

Im Allgemeinen weist der Rat die Kompetenz zum Erlass von Durchführungsbestimmungen der Kommission zu, die also eine Doppelfunktion als Beteiligte im Rechtsetzungsverfahren und als Exekutive aufweist. Gemäß Artikel 202 EG-Vertrag kann sich der Rat aber in besonderen Fällen vorbehalten, die Durchführungsbefugnisse selbst auszuüben.

Besitzt die Kommission aufgrund des Ratsbeschlusses eigene Durchführungsbefugnisse, dann darf sie – selbstverständlich - den auszuführenden Rechtsakt des Rates weder ändern noch ergänzen. Die Durchführungskonformität wird durch die Einschaltung von drei Ausschüssen gewährleistet.

Das Parlament wird mittlerweile immer dann in die Ausschussverfahren einbezogen, wenn es um den Erlass von Durchführungsmaßnahmen für einen Rechtsakt geht, an dem das Parlament im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens beteiligt war. Dann kann es in einer begründeten Stellungnahme darauf verweisen, dass die geplante Maßnahme nicht dem zugrunde liegenden Rechtsakt entspricht und dadurch die Kommission zwingen, die Maßnahme dem Rechtsakt konform anzupassen.

Darüber hinaus muss die Kommission das Parlament in vielfältiger Weise informieren. Für die drei Ausschussverfahren gelten folgende Grundsätze (welches Ausschussverfahren zur Anwendung kommt, wird in den jeweiligen Rechtsakten (Verordnung, Richtlinie) festgelegt):

Beratungsverfahren

Das Verfahren wird namentlich im Bereich von Binnenmarktfragen angewendet. Der „Beratende Ausschuss“ setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen und wird von einem Vertreter der Kommission geleitet.

Der Kommissionsvertreter unterbreitet dem Ausschuss einen Entwurf der beabsichtigten Maßnahme, zu dem Ausschuss innerhalb einer von der Kommission festgesetzten Frist eine Stellungnahme abgibt. Die Kommission soll, muss aber nicht die Stellungnahme berücksichtigen. Sie informiert den Ausschuss, inwieweit sie seinen Anregungen und Änderungsvorschlägen gefolgt ist.

Verwaltungsverfahren

Im Verwaltungsverfahren werden vor allem Maßnahmen zur Umsetzung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) oder der Gemeinsamen Fischereipolitik oder zur Durchführung von Programmen mit erheblichen EG-fiskalischen Auswirkungen zur getroffen.

Die Kommission muss vor dem Erlass der Maßnahmen einen aus Vertretern der Mitgliedstaaten gebildeten Verwaltungsausschuss anhören. Der Ausschuss gibt zu den Maßnahmenentwürfen eine Stellungnahme ab, die gemäß Artikel 205 Absatz 2 EG-Vertrag der qualifizierten Mehrheit der Ausschussmitglieder bedarf. Wurde der durchzuführende Rechtsakt im Mitentscheidungsverfahren vom Parlament und Rat erlassen, so befasst die Kommission auch das Parlament mit dem Maßnahmenentwurf. Das Parlament prüft, ob sich die beabsichtigte Maßnahme in den Grenzen der auf die Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse hält. Sofern dies nicht der Fall ist, fasst das Parlament eine entsprechende mit Gründen versehene Entschließung.

Daraufhin kann die Kommission unter Beachtung der Entschließung dem Ausschuss

  • einen neuen Entwurf vorlegen,
  • das Verfahren fortsetzen oder
  • den Erlass der Maßnahme mit einem entsprechenden Vorschlag dem Parlament und dem Rat überlassen.

Die Kommission unterrichtet das Parlament und den Ausschuss über die beabsichtigten Maßnahmen. Setzt die Kommission das Verfahren fort oder liegt keine Entschließung des Parlaments vor, erlässt die Kommission die von ihr beabsichtigten Maßnahmen mit unmittelbarer Geltung. Wenn diese Maßnahmen jedoch nicht mit der Stellungnahme des Ausschusses übereinstimmen, muss die Kommission die beschlossenen Maßnahmen unverzüglich dem Rat mitteilen und die Durchführung der Maßnahmen für höchstens drei Monate aussetzen. Der Rat kann innerhalb von drei Monaten mit qualifizierter Mehrheit einen abweichenden Beschluss fassen.

Regelungsverfahren

Das Regelungsverfahren wird bei Maßnahmen von allgemeiner Bedeutung angewendet, mit denen wichtige Teile des Rechtsaktes umgesetzt werden sollen. Dazu zählen etwa Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen.

Auch dieser Ausschuss setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen und gibt mit qualifizierter Mehrheit eine Stellungnahme zu den geplanten Durchführungsbestimmungen der Kommission ab.

Im Vergleich zum Verwaltungsausschussverfahren ist die Stellung der Kommission hier bei Ablehnung ihrer Maßnahme durch den Ausschuss, der die Nichtabgabe einer Stellungnahme gleichgestellt ist, erheblich schwächer. Denn dann kann die Kommission die geplanten Maßnahmen nicht durchführen, sondern muss sie dem Rat zur Beschlussfassung vorschlagen und das EP unterrichten. Das Parlament prüft, ob sich die vorgeschlagene Maßnahme im Rahmen der durch den durchzuführenden Rechtsakt gesetzten Grenzen hält, und unterrichtet den Rat von seinem Standpunkt. Der Rat kann unter Berücksichtigung des Standpunktes des Parlaments innerhalb eines Zeitraums von höchstens drei Monaten mit qualifizierter Mehrheit über den Vorschlag der Kommission befinden. Spricht sich der Rat gegen den Vorschlag aus, überprüft die Kommission den Vorschlag und kann dem Rat einen geänderten Vorschlag vorlegen, ihren Vorschlag erneut vorlegen oder den Erlass der Maßnahme mit einem entsprechenden Vorschlag dem Parlament und dem Rat überlassen. Hat der Rat nach Ablauf der Frist von drei Monaten weder den vorgeschlagenen Durchführungsrechtsakt erlassen noch sich gegen den Vorschlag ausgesprochen, so wird der vorgeschlagene Durchführungsrechtsakt von der Kommission erlassen.

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Autor/in

Helmut Martell

ist Rechtsanwalt. Helmut Martell war Gründungsvorsitzender der DGVM und zwanzig Jahre ihr Stellvertretender Vorsitzender. Von 1997 bis 2014 fungierte er als Herausgeber des Verbändereport.