In der Vergangenheit hat sich die Allmacht des Hauptamtes, verbunden mit der Ohnmacht des hierarchisch übergeordneten Ehrenamtes, zu einem hochaktuellen Thema entwickelt. Die Häufung von Konkursen bedeutender Wirtschaftsunternehmen wurde generell auf ein Missmanagement der hauptamtlichen Geschäftsführungen und das Versagen der ehrenamtlichen Aufsichtsgremien zurückgeführt. Seither signalisieren Unternehmen mit Corporate-Governance-Richtlinien verantwortungsbewusste, transparente und auf den langfristigen Erfolg ausgerichtete Unternehmensführung. In Verbänden macht die Schnittstelle zwischen ehrenamtlicher und hauptamtlicher Führung das zweckmäßige Gestalten und Abwickeln der übergeordneten Managementaufgaben zu einem Kardinalproblem, mit welchem sich Ehrenamt und Hauptamt ständig konfrontiert sehen. Es liegt deshalb auf der Hand, dass das Konzept der Corporate Governance unter dem Begriff „Nonprofit Governance“ auf Verbände adaptiert wurde.
Ehrenamt + Hauptamt = -Management
Strategische, übergeordnete Entscheidungen vorbereiten und fällen sind zwei Aufgaben, die in Verbänden und NPOs fast durchweg auf unterschiedliche Organe verteilt sind. Das Hauptamt besitzt das notwendige Wissen zur Entscheidungsvorbereitung, das Ehrenamt verfügt über die entsprechende Entscheidungskompetenz. Geht man vom Bild der Hierarchie aus, so ergeben sich vom faktischen Managementgeschehen her gesehen zwei gegenläufige Ordnungen (vgl. Abbildung 1):
1. Die Formalhierarchie folgt der schrittweisen Delegation von Entscheidungskompetenz von den Mitgliedern über die Leitungsorgane hin zur Geschäftsführung.
2. Die Hierarchie des Wissens kehrt die Pyramide auf den Kopf. Demnach legt das Hauptamt im Sinne ausgereifter Stabsarbeit die Geschäfte den Leitungsorganen zur Entscheidung vor.
So gesehen kommt das Management eines Verbandes oder einer NPO in einer Art Gegenstromprinzip zustande, wobei das Ehrenamt (Hauptamt) einen Vorsprung an Entscheidungskompetenz (Sachkompetenz) gegenüber dem Hauptamt (Ehrenamt) hat. Das beschriebene arbeitsteilige System kann unter Umständen Spannungen, Friktionen und im schlimmsten Fall Konflikte zur Folge haben.
Damit die Zusammenarbeit zwischen Ehren- und Hauptamt in Verbänden und NPOs auf Dauer Früchte trägt, wurden unter dem Konzept der „Nonprofit Governance“ konkrete Maßnahmen formuliert. Die nachstehenden Ausführungen erörtern für die Schnittstelle Ehrenamt/Hauptamt einige wichtige Komponenten ebendieser.
Um die Wirkung dieser Maßnahmen zur vollen Entfaltung zu bringen, gilt es für Verbände und NPOs zuerst die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Wie im professionellen Bereich, sind auch für das Ehrenamt Amtsbeschreibungen zu formulieren. Diese umfassen die Bezeichnung des Amtes, allfällige Stellvertretungen, Weisungsbefugnisse wie auch mit dem Amt zusammenhängende Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung. Zur Gewährleistung von Effektivität und Effizienz ehrenamtlicher Organe sind weiter organisatorische Regelungen in Betracht zu ziehen. Dazu gehört die Beschränkung der oft zu beobachtenden Ämterkumulation. Flankierend dazu ist zu empfehlen, die Amtszeitbeschränkung einzuführen. Beide Maßnahmen tragen dazu bei, dass Aufgaben und Verantwortungen auf mehr Schultern verteilt werden, um so die Führungsverantwortung und -kompetenz im Verband oder der NPO besser abzustützen. Sie tragen außerdem dazu bei, die Regelung von Nachfolgefragen besser lösen zu können, weil so die Auswahl möglicher Kandidatinnen und Kandidaten größer ist und die Aufgaben überblickbarer sind. Schließlich macht die Amtszeitbeschränkung eine rollende Nachfolgeplanung notwendig und trägt auch damit zur Systematisierung der Diskussion über die Besetzung wichtiger Ämter bei.
Anreizgestaltung durch -attraktive Ämtergestaltung
Die erste Reaktion auf Vorschläge, wie wir sie nachfolgend präsentieren, ist immer: „Es wird immer schwieriger oder fast unmöglich, gute Ehrenamtler zu finden.“ Dass es tatsächlich schwieriger geworden ist, entspricht auch unserer Erfahrung. Es ist aber nur die halbe Wahrheit. Die andere Tatsache ist, die Anreize für Ehrenamtler sind oft falsch gesetzt, und die Suchprozesse werden falsch angegangen.
Um die am besten qualifizierten Personen zu motivieren, die vakanten Ämter anzutreten und sie mit vollem Einsatz wahrzunehmen, bedarf es einer attraktiven Ämtergestaltung. Eine Person wird nur dann ein Amt antreten, wenn dieses ihren Ansprüchen, Fähigkeiten und Möglichkeiten entspricht. Das Amt selber, seine Ausgestaltung und seine Tätigkeiten müssen demnach Qualitäten und Eigenschaften umfassen, welche die Interessenten in die Ämter locken. Zu solchen Motivatoren zählen: Informationszugang und/oder Informationsvorsprung in relevanten Fragen, Prestige und Ansehen innerhalb und außerhalb der NPO, Macht und Einfluss auf die Politik der NPO und Lernchancen, die es dem Amtsträger ermöglichen, die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auf weitere Tätigkeitsgebiete zu projizieren.
Suche qualifizierter Amtsträgerinnen und Amtsträger
Die freien Ehrenämter sind, wie oben propagiert, im Sinne einer Bestauslese mit den fähigsten Personen zu besetzen. In der Praxis ist immer wieder festzustellen, dass viele Vorstände eine Art Selbstrekrutierung („Kollegin/Kollege sucht Kollegin/Kollege“) betreiben. Sie suchen geeignete Kandidatinnen und Kandidaten nicht wie im Falle von bezahlten Stellen durch die Definition eines Anforderungsprofils und durch offene Suche/Ausschreibung. Vielmehr werden oft auf dem kleinen Dienstweg Bekannte angefragt. So erhalten Vorstände das Image eines „closed shops“ oder einer „black box“, wo man nur Zugang über Beziehungen erhält. Von Bestenauslese ist dabei in der Regel nicht mehr die Rede. Von der ebenfalls wünschenswerten demokratischen Rationalität ebenso wenig. Es ist deshalb die Aufgabe der Präsident(inn)en/Vorsitzenden, zusammen mit ihren Vorstandsgremien sich für eine Bestauslese zu engagieren und diese mit Überzeugung vorzutragen. Dass solche Such- und Findungsprozesse auch für das Klima und die Kultur in den einzelnen Gremien eine Herausforderung sind, ist klar. Für die Entwicklung des Verbandes/der NPO ist dies aber eine zusätzliche Chance, die mit solchen Prozessen verbunden ist. Damit gut qualifizierte Personen schließlich schnell und wirkungsvoll ihre Funktionen übernehmen können, ist auch die Amtsübergabe sorgfältig zu planen und vorzubereiten. Gespräche zwischen Vorgängern und Nachfolger(inn)en sind ebenso von Bedeutung wie der Dialog mit dem Hauptamt. Diese Maßnahmen erleichtern die Integration der neuen Amtsträger und tragen maßgeblich zur Verkürzung der Einarbeitungszeit bei. Schließlich sind im Sinne von Entwicklungsmaßnahmen auch für das Ehrenamt Qualifizierungsmaßnahmen zu überlegen. Verbands- und NPO-Management ist eine komplexe Aufgabe, die einem nicht in die Wiege gelegt wird.
Ein ideales Gestaltungsmodell für das NPO-Management
Um der Forderung nach einem Machtgleichgewicht zwischen Ehrenamt und Hauptamt nachzukommen, empfiehlt sich in hohem Maße das Management-Modell „Führung durch Zielvereinbarung (MbO) und nach dem Ausnahmeprinzip (MbE)“. Es enthält Bezugsrahmen und präzise Gestaltungsempfehlungen für die Planung und Kontrolle, die Entscheidungsfindung, die Organisation (Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Ehrenamt und Hauptamt) und die Führung (Interaktion zwischen den partizipierenden Personen und Instanzen). Die Kombination dieser beiden Führungsansätze hat hohe Bedeutung und Tauglichkeit für die Verkoppelung von Ehren- und Hauptamt. Sie ermöglicht die Konzentration des Ehrenamtes auf die politisch-strategischen Entscheidungen, räumt dem Hauptamt die notwendigen operativen Handlungsfreiheiten ein und sorgt damit für den wirkungsvollen Ausgleich an dieser Schnittstelle. So gesehen gewähren die in diesem erweiterten Bezugsrahmen gefällten langfristigen und demokratisch abgestützten Entscheidungen dem operativen Hauptamt eine bei Bedarf schnelle Reaktion.
„Kooperative Interaktion“: -Ein Verfahren zur Entscheidungsfindung
Strategische Entscheidungen kommen in Verbänden und NPOs in oft lange dauernden, demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozessen zustande. Zwischen Ehrenamt und Hauptamt besteht in solchen Abläufen – wie einleitend beschrieben – ein strukturelles Ungleichgewicht, das es durch entsprechende Maßnahmen auszutarieren gilt. Zu diesen Vorkehrungen gehört eine Verfahrensmethodik, die ein gleichgewichtiges Zusammenwirken von Ehrenamt und Hauptamt bei der Entscheidungsfindung gewährleistet: das Konzept der „kooperativen Interaktion“. Es setzt voraus, dass komplexe Grundsatz- und Steuerungsentscheide kooperativ – und, wenn nötig, in einem iterativen Prozess – zwischen Ehrenamt und Hauptamt vorbereitet werden und somit die übergeordnete Instanz maßgeblich in die Entscheidungserarbeitung miteinbezogen wird. Jährliche Klausurtagungen – wenn möglich, ohne einengende Tagungsordnung – tragen maßgeblich dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen Ehren- und Hauptamt zu verbessern und das gegenseitige Verständnis zu schärfen, und bieten die Möglichkeit, strategische und andere Herausforderungen im Kollektiv der Verantwortungsträger zu diskutieren. Die hauptamtliche Geschäftsführung hat dafür Entscheidungsgrundlagen vorzubereiten, welche mögliche Lösungsalternativen aufzeigen und Kriterien auflisten, die zur Auswahl der besten Lösung führen können. In workshopartigen Sitzungen bearbeiten Ehren- und Hauptamt interaktiv das Grundlagenmaterial und entwickeln die Grundzüge und Eckpfeiler der anzustrebenden Lösung. Diese dient als Grundlage für das Ausarbeiten der definitiven Beschlussvorlage durch das Hauptamt, welche in einer zweiten Phase vom Ehrenamt mit vertieftem Problemverständnis beschlossen wird.
Kooperative Interaktion setzt das Erstellen von ehrenamtstauglichen Unterlagen durch das Hauptamt voraus. Diese sind frühzeitig vor den jeweiligen Sitzungsterminen bereitzustellen, damit sich alle Beteiligten mit den zu bearbeitenden Themen auseinandersetzen und sich entsprechend vorbereiten können.
Zwar wird durch die kooperative Interaktion der Zeitraum bis zum Entscheid verlängert. Durch die Partizipation lassen sich die beschlossenen Maßnahmen aber wesentlich schneller umsetzen. Per Saldo entsteht so ein Partizipationsgewinn.
Sach- und personenorientierte Gestaltung von Sitzungen
Ehrenamt und Hauptamt verbringen einen großen Teil ihrer Tätigkeit in Sitzungen und Versammlungen. Praktisch sämtliche Tätigkeiten der kollektiven Meinungs- und Willensbildung, der Konsultation, Information und Verhandlung spielen sich in solchen Treffen ab. Sitzungsorganisation und Sitzungsleitung sind deshalb für eine effektive und effiziente Verbands- und NPO-Führung auf dieser Ebene besonders wichtig. Frühzeitige Zustellung von Sitzungsunterlagen, überblickbare Tagesordnungen mit Zeitraster, straffe Sitzungsleitung und Diskussionsführung und schließlich auch die Evaluation dieser Sitzungen und ihrer Ergebnisse und die ständige Verbesserung sind einige wichtige Instrumente in diesem Zusammenhang. Darüber hinaus vermindert der Einbezug von mehreren Beteiligten unproduktive Einwegkommunikation und fördert die intensive Auseinandersetzung mit den Inhalten.
Vorstandsvorsitzende: Rollen und Qualitäten
Eine besondere Rolle kommt in diesem Zusammenhang dem/der Vorsitzenden des Vorstandes zu. Durch die Funktion des Vorstandes als Steuerungs- und Aufsichtsorgan des Verbandes/der NPO trägt er/sie als letzte Instanz die Verantwortung für das gute Funktionieren der Organisation. Dem Vorsitz obliegt insbesondere die Funktion der Mittlerin/des Mittlers zwischen den Verantwortungsträgern. Dazu gehören die Sorge für eine zeitnahe, ausgewogene Informationslage beim Ehrenamt und die Einnahme einer neutralen, vermittelnden Position in Konfliktsituationen. In diesem Fall müssen Vorsitzende durch Kommunikations- und Verhandlungsgeschick zur Deeskalation beitragen. Dabei ist es wichtig, Personen und Ämter in den Hintergrund zu rücken und sich auf die Verbands-/NPO-spezifischen Sachfragen zu fokussieren. Es gibt in der Corporate-Governance-Diskussion gar Stimmen, die allein das gute Funktionieren des Vorstandsgremiums zur Hauptaufgabe der Vorsitzenden deklarieren. Diese Reduktion trifft unserer Auffassung nach die Realität nicht voll, sie zeigt aber die Bedeutung und die Wichtigkeit der Rolle der Vorsitzenden gerade auch in dieser Frage.
Abschließend sei für den gegenseitigen Umgang in der Verbands- und NPO-Praxis an eine Heuristik erinnert, die im Zweifelsfall Anwendung finden kann: Es gelten für Ehrenamt und Hauptamt die gleichen Regeln: bei der Suche, bei der Auswahl, bei der Einführung, bei der Qualifizierung, bei der Zusammenarbeit, bei der Wertschätzung und nicht zuletzt auch beim Ausscheiden.
Vertiefende Literatur
Schwarz, Peter/Purtschert, Robert/Giroud, Charles/Schauer, Reinbert:
Das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen, Haupt, 2005
Purtschert, Robert:
Marketing für Verbände und weitere Nonprofit-Organisationen, Haupt, 2005
Schwarz, Peter:
Management-Brevier für Nonprofit--Organisationen, Haupt, 2001
Schwarz, Peter:
Organisation in Nonprofit--Organisationen, Haupt, 2005