Verbändereport AUSGABE 4 / 2008

Verbände und Lobbying in der EU

Trends und Perspektiven

Logo Verbaendereport

Etwa fünf Jahre ist es mittlerweile her: Im Airport Club in Frankfurt findet eine denkwürdige Veranstaltung statt. Organisator ist ein wirtschaftspolitischer Unternehmerverband. Es spricht der Präsident des französischen Konzerns Sanofi-Syntelabo. Der hatte ein Jahr zuvor einen bekannten Konzern aus der Rhein-Main-Region übernommen. Das Thema: die Zukunft seines Unternehmens in einer sich globalisierenden Welt. Bemerkenswert: die unterschiedlichen Argumentationsebenen: im Falle des Franzosen vor allem strategisch-volkswirtschaftlich („nationale Champions“), im Falle der Deutschen nahezu ausschließlich betriebswirtschaftlich: Die handverlesenen Gäste interessiert vor allem die Sicherheit der Arbeitsplätze, die in der Region verblieben sind. Man hat ja schließlich Erfahrungen mit Fusionen. Lobbying als Betriebswirtschaft? Ist es das?

Szenenwechsel. Mitte 2007. Der Wirtschaftskorrespondent einer renommierten deutschen Tageszeitung berichtet über die deutsche Lobbyistenszene in Brüssel. Eine ganze Seite im Wirtschaftsteil. Überschrift: „Zuhören und Flüstern“. 1 Der Bericht ist hervorragend, die geschilderte Branche ist es offensichtlich weniger. Kernaussage: Lobbying bedeutet zuhören und flüstern. Ist es das? So ausschließlich? Punkt? Oder war da noch was? Was, wenn keiner zuhören will? Von seinen Protagonisten wird dies unter dem Ticket „strategisch“ verkauft! Die Strategie des Flüsterns. Andere sprechen von der „Einflüsterungsbranche“. Ist es wirklich nur das?

April 2008. Erneuter Szenenwechsel. Zum Thema „Politische Interessenvertretung“ erscheint ein „Praxisbuch“. Darin berichtet eine deutsche Europaabgeordnete über Interessenvertretung im Europäischen Parlament.2 Die gehöre zur Demokratie. Und: „Wir machen Gesetze für Europa.“ „Man“ wolle „dem gesamteuropäischen Gemeinwohl dienen“. Und das bedeute auch: „Die Kunst der guten Interessenvertretung“ bestehe darin, „Kenntnisstände“ durch „gute Informationsaufbereitung und verständliche Argumentation“ zu „ergänzen“. Lobbying also gleich Kommunikation? Ist es das?

Über Lobbying gibt es die unterschiedlichsten Vorstellungen. Und Begriffe. Sie reichen von „Interessenvertretung“, „politischer Kommunikation (public affairs)“ über „politisches Krisenmanagement“ und „public communication“ bis zu „integrierte Kommunikation“. Das hängt nicht zuletzt auch von den unterschiedlichen Akteuren ab: Regierungen, Abgeordnete, Verbände, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Public-Affairs-Agenturen, sie alle „teilen“ sich einen Markt, auf dem die Karten höchst unterschiedlich verteilt sind. Ein Markt, der nicht sehr „transparent“ ist. Weil er eben auch immer komplexer wird. Ein Markt aber auch, auf dem zunehmend Chancen verteilt werden und über die Existenz von Akteuren entschieden wird.

Der Markt der politischen Interessenvertretung

Traditionell der wichtigste und häufigste Akteur auf dem Markt der politischen Interessenvertretung in Deutschland nach den Parteien ist der Verband. Am bekanntesten sind oft die Wirtschaftsverbände. Verglichen mit Unternehmen gerade im Zeitalter der Globalisierung ist es da geradezu erstaunlich, dass Fusionen und Zusammenschlüsse angesichts der Vielzahl der Verbände heute kein wichtiges Thema sind. Allerdings ist der Zwang zur Professionalisierung bei den Verbänden immer stärker geworden, wollen sie in Zukunft mehr sein als reine Diskussionsforen und gesellschaftliche Mitgliedervereine. Der entscheidende Unterschied zu solchen Verbänden wird daher mehr und mehr die effektive Zielverfolgung und Zielerreichung, also die Umsetzung des erklärten und satzungsmäßig beschriebenen Existenzzwecks, der Interessenvertretung. Allerdings wurde bereits 2005 in dieser Zeitschrift bei der Betrachtung der Zukunftschancen der Verbände gefragt, „warum es viele Verbände nicht (schaffen), den gewachsenen Anforderungen gerecht zu werden?“3.

Längst kaufen sich moderne Verbände zunehmend Fachexpertise ein, sobald sie in ihrer Arbeit an ihre internen Grenzen stoßen. Zu Recht! Verbände sind nämlich nicht mehr die einzigen Interessenvertreter, erst recht nicht in der Wirtschaft. Nicht ohne Grund beklagen heute selbst die großen Industrieverbände einen Verlust an Einfluss, weil viele Konzerne inzwischen über eigene Repräsentanzen in Berlin und Brüssel verfügen. Ihnen genügt es oft nicht mehr, sich durch Verbände vertreten zu lassen, zumal die Globalisierung auch die Interessen ihrer Mitglieder durcheinanderwirbelt. Experten schätzen deshalb, dass sich die Zahl dieser Firmenvertreter in Zukunft noch einmal verdoppeln dürfte.

Zwischen die klassischen Verbandslobbyisten drängen sich zunehmend weitere Akteure, Spezialisten der Interessenvertretung, die Public-Affairs-Agenturen. Denn die sind bei der Umsetzung von Wirtschaftsinteressen oft weiter als die klassischen Interessenvertreter, insbesondere dann, wenn diese an heterogenen Strukturen, zunehmender Aufgabenverzettelung und diffusem Politikverständnis leiden. Ob allerdings Leitlinien zur Politikberatung, herausgegeben von Wissenschaftsakademien, hier Abhilfe schaffen können, ist dann doch mehr als fraglich.4

Konzerne und Wirtschaftsverbände haben längst die gestiegene Bedeutung der EU für sich entdeckt, wie übrigens auf politischer Ebene auch Bundesländer und Regionen. Kein Wunder: Etwa 70 Prozent der auch für die deutsche Wirtschaft relevanten Gesetze sollen in Brüssel ihren Ursprung haben. Besser gesagt, sie wurden von den nationalen Regierungen im Europäischen Rat beschlossen. Je offenkundiger dies wird, desto mehr werden die Interdependenzen zwischen Berlin und Brüssel auch beim Lobbying zunehmen. Kein Wunder auch, dass die Prognosen bereits vermelden, die Zahl der Interessenvertreter in Berlin werde bald auf Brüsseler Niveau steigen. Nationale Industriepolitik und der Schutz ausgewiesener „strategischer Industrien“ wie in den USA werden dazu auch in der EU ihren Beitrag leisten.

Politische Interessenvertretung hat ihre Wurzeln im angelsächsischen, vor allem im US-amerikanischen Raum. Warum? Zugespitzt, weil es in den USA keine Parteien und Parlamentsfraktionen wie beispielsweise in Deutschland gibt, die die Meinungsbildung und den Regierungsprozess disziplinieren, kanalisieren und reglementieren, und weil es deshalb große Freiräume gab und gibt, die intensiv von gesellschaftlichen Interessengruppen genutzt werden. Deutschland folgt hier „mit einiger Verspätung“5 nur der allgemeinen Entwicklung.

„Zuhören und Flüstern“

Allerdings scheint es hier einen gewissen „time lag“ zu geben. Denn immer noch wird dabei als Tugend verkauft, was sich schon allzu oft als Impotenz erwiesen hat. Dies gilt auch und gerade für das, was uns in der politischen Kommunikation heute immer noch gern als „strategisch“ verkauft wird, vor allem aber für die in Brüssel praktizierte deutsche Spielart des „strategischen“ Lobbyings, die erklärtermaßen noch aus der Zeit des EU-Binnenmarktprojekts stammt. Und weshalb es auch heute noch oft heißt, „strategisches Lobbying“ sei nichts anderes als „zuhören und flüstern“.

Natürlich muss ein Lobbyist Sachverstand vermitteln. Und dafür muss er zuhören und flüstern können. Und zwar gut und kompetent. Doch reicht das aus? Eine lediglich als „zuhören und flüstern“ charakterisierte Lobbyingstrategie erscheint heute als ungefähr so Erfolg versprechend wie viele Antwortversuche von Neoliberalen oder Globalisierungsgegnern auf die aktuellen Globalisierungswellen des 21. Jahrhunderts: vermutlich viel zu einseitig. Denn in einer Zeit, in der Wirtschaftsspionage Alltag ist, Wirtschaftskriegsführung auf dem Lehrplan großer Schulen steht und Industriepolitik auch bei deutschen Bundesregierungen nicht mehr gänzlich unter ordnungspolitischem Generalverdacht steht: Muss strategisches Lobbying, das seinen Namen zu Recht trägt, da heute nicht mehr sein als nur die Vermittlung von Sachverstand?

Ein für seine Initiatoren äußerst erfolgreiches Musterbeispiel strategischen Lobbyings war die Verabschiedung des sogenannten Antidiskriminierungsgesetzes in der EU, heute als „Gleichstellungsgesetz“ beschrieben, mit seinen inzwischen wachsenden Problemen für die Unternehmen. Möglich konnte dieser „Erfolg“ nur werden, weil viele andere Interessenvertreter in Politik und Wirtschaft schlichtweg geschlafen (oder nur zu leise geflüstert?) haben. Nehmen wir ein weiteres Musterbeispiel, die Gesetzgebung um den „europäischen Haftbefehl“ in Deutschland. Dazu mussten sich die Bundesparlamentarier vom Bundesverfassungsgericht schlichtweg ermahnen lassen, sogenannte Brüsseler Vorgaben nicht einfach „eins zu eins“ zu übernehmen, etwa nach dem Motto: „Deutsche Interessen: keine“. So zumindest damals ein nicht amüsierter Kommentator einer wirtschaftsnahen bundesweiten Tageszeitung. Entstehung und Entwicklung der Basel-II-Verhandlungen wären hier ein weiteres dankbares Thema.

„Deutschland kommt in Brüssel nicht vor!“

Es war immerhin ein ehemaliger Bundesbanker, der vor einigen Jahren in einem Finanzplatzforum in Frankfurt feststellte: „Deutschland kommt in Brüssel nicht vor!“ Kann dies wirklich nur an der Art des Zuhörens und der Art des Flüsterns liegen? Wohl kaum. Ausgerechnet dem größten Geldgeber und Anhänger Europas fehlt es offenbar an der Fähigkeit, in der EU seine Interessen richtig wahrzunehmen. Und das heißt: Es fehlt Deutschland offenbar an Europatauglichkeit! Politisch wie wirtschaftlich. Und das im Unterschied zu vergleichbaren EU-Mitgliedsstaaten. Nicht ohne Grund heißt es heute auch von politikwissenschaftlicher Seite, „eine effektive deutsche Interessenvertretung in Brüssel (sei) überfällig“.6

Kann es schlechtes Lobbying geben in einer florierenden Volkswirtschaft? Woran könnte das dann liegen? Und was hieße dies für deutsche Unternehmen? Heute sind deutsche Unternehmen die Exportweltmeister. Doch andere Länder kämpfen mit harten Bandagen und holen auf. Also wird es auch für deutsche Firmen in Zukunft noch wichtiger, ihre Interessen nicht nur auf den Märkten, sondern auch in den Amtsstuben — gerade auch internationaler Organisationen — zu wahren. Der deutsche Mittelstand und auch die Interessenverbände stehen hier vor neuen Herausforderungen. Gerade bei ihnen kommt die Einigung auf eine schlüssige Position für den EU-Entscheidungsprozess schlichtweg oft zu spät. An einem richtig verstandenen und praktizierten, professionellen Lobbying führt also offenbar auch in Deutschland kein Weg mehr vorbei. Ein Neubeginn ist vonnöten.

Die Notwendigkeit für einen solchen Neubeginn dürfte vor allem in einem überholten Strategieverständnis altgedienter deutscher Interessenvertreter liegen — neben historischen und strukturellen Gründen wichtiger Brüsseler Kommissionsentscheidungen und oft mangelhafter Unterstützung aus Berlin. Unsere „Musterbeispiele“ zeigen deutlich: Lobbying mit Erfolgsaussichten darf nicht nur präemptiv arbeiten, sondern auch schon mal präventiv. Es darf nicht nur reaktiv sein, also Schadensbegrenzung betreiben (oder im schlimmsten Fall gar nichts tun). Erfolgreiches Lobbying arbeitet aktiv und schlägt damit wichtige Pflöcke ein: vorausschauend, auf oft noch unbeackertem Feld, und bei Erfolg verpflichtend für möglichst alle Wettbewerber. Vorausschau heißt dann aber immer auch politische Vorausschau. Gerade weil oder wenn die Politik hier versagen könnte oder sollte.

Einmischung politischer Mittel ins Lobbying

Gefordert ist deshalb die stärkere Einmischung politischer Mittel ins Lobbying, Public Affairs eben. Der Ausdruck kommt nicht von ungefähr aus dem angelsächsischen Sprachraum. Also noch mal: zuhören und flüstern ja, aber nicht ausschließlich. Strategisches Lobbying, das seinen Namen verdient, ist gerade heute mehr als das. Es ist ein politisches Lobbying, ein aktives Lobbying, ein präventives Lobbying. Und: es darf sich nicht scheuen, hierfür im Zweifel auch öffentliche Verbündete zu suchen, unter Umständen bis hin zur Kampagne, um die Öffentlichkeit zu gewinnen. Auch dafür gibt es erfolgreiche Beispiele. Strategisches Lobbying darf deshalb heute auch das „going public“ nicht völlig scheuen. Als Ultima Ratio sozusagen. Für alle Fälle.

Keineswegs aber sollte es dabei bleiben, dass Strategie immer wieder mit Leisetreterei gleichgesetzt werden kann. Die führt nicht zum Erfolg. Denn der wirtschaftliche Wettbewerb ist härter geworden und er folgt eben nicht ausschließlich Marktgesetzen. Wenn Bundesregierungen dies bei wichtigen Themen wie EADS, Werftenverbund und Ostseepipeline erfolgreich begriffen haben, sollte dies auch bei der berufsmäßigen deutschen Interessenvertretung möglich sein. Deutsche Unternehmen und Verbände müssen vermehrt Interessen bündeln, strategische Allianzen bilden und robuste Mandate erteilen, wenn sie unter komplizierteren Konstellationen weiter Erfolg haben wollen. Denn erfolgreiche Interessenkommunikation wird immer mehr zum Wirtschaftsfaktor und entscheidet so auch über den betriebswirtschaftlichen Erfolg in der Zukunft mit.

Nicht ohne Grund hat der Programmdirektor eines der Thinktanks des Bundeskanzleramtes, Alexander Rohr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, darauf hingewiesen, „dass die romantische Ära des Triumphs des Liberalismus in der Weltwirtschaft sich dem Ende zuneigt“. Sein Fazit: „Wir sind Zeugen des Aufbruchs der Weltwirtschaftsordnung in eine neue Zeit.“7 Das kann man bedauern, es dürfte nicht viel ändern. Deshalb muss sich auch in Deutschland das Lobbying stärker strategischer Mittel bedienen. Dies gilt insbesondere für viele mittelständische Unternehmen und für viele Verbände. Für sie wird die Interessenbündelung in Zukunft von entscheidender Bedeutung werden. Am besten über strategische Allianzen mit erfahrenen Public-Affairs-Agenturen. Bestenfalls auch EU-weit.

Weitere Infos

www.schroebel-seidel.de

1 Volker Stabenow, „Zuhören und Flüstern“, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), -14. Juli 2007

2 Sylvia-Yvonne Kaufmann, „Interessenvertretung im Europäischen Parlament“, S. 234 ff., in: Praxisbuch: Politische Interessenvertretung. Wiesbaden 2007. Bemerkenswert ist darin der Aufsatz von Martina Tydecks über „Strategische Allianzen. Interessenbündelung auf Zeit und zielorientierte Effizienz“, S. 112 ff.

3 Thomas Schauf, „Zukunftschancen für Verbände“,- in: Verbändereport 3/2005

4 Jürgen Kaube, „Gut begründetes Herrschaftswissen“, FAZ, 17. April 2008

5 Manfred Funke, „Auf dem Prüfstand“, FAZ, 17. April 2008

6 Mareke Aden und Roland Nettes, „Diskrete Dienste“, Der Spiegel, 2/2007

7 Alexander Rahr, „Russland gibt Gas“, München 2008, S. 21

Artikel teilen:

Das könnte Sie auch interessieren: