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Interviews mit Verbandsmanagern: eine Einladung zum Nachlesen von sechs Gesprächen

Zwischenbilanz

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Nach sechs Gesprächen, abgedruckt auf insgesamt 27 Seiten dieser Zeitschrift, lohnt sich ein Blick zurück. Henning von Vieregge, der die Interviews führte, hat dies getan.

Es spricht für den Humor und die Uneitelkeit von Kaiser Wilhelm 1., dass er die folgende Geschichte, die ihm widerfuhr, gern erzählte und sich dabei, wie Erwin Chargaff berichtet, vor Lachen geschüttelt habe: Als er noch König von Preußen war, besuchte er einmal das Bonner Observatorium und fragte den Direktor jovial: „Na, lieber Argelander, was gibt’s Neues am Sternenhimmel?“ Die prompte Gegenfrage Argelanders war: „Kennen Eure Majestät das Alte schon?“

Wer sich die Zeit nimmt und die Interviews mit Verbandsmanagern durchliest, die seit Beginn 2011 in jeder zweiten Ausgabe dieser Zeitschrift erschienen sind, kann nachlesen, was diesen Gesprächspartnern bei der Führung ihres Verbandes wichtig ist. Das mag für den einen Leser neu, für den anderen alt sein, aber das ist, wie Kaiser Wilhelm in der Bonner Sternwarte erfuhr, nicht wirklich entscheidend. Die Frage ist: Warum ist es für den Gesprächspartner relevant? Und: Könnte es auch für meinen Verband von ähnlich erstrangiger Bedeutung sein?

Die Gesprächspartner

Die Gesprächspartner, zwei Frauen und vier Männer, waren in der Reihenfolge der Interviews Wolfgang Fürstner, Verband der Zeitschriftenverleger VDZ, Albrecht von der Hagen, Die Familienunternehmer ASU, Christian Köhler, Markenverband, Wolfgang Drechsler, Arbeitgeberverbände Südhessen, Darmstadt, Claudia Rutt, Generationennetzwerk Deutschland GND, und Marianne Tritz, Deutscher Zigarettenverband DZV. Alle Leser können die Interviews unter www.verbaendereport.de Interviews bequem an einer Stelle finden. Wer lieber eine Printversion haben möchte, kann die beim Verlag abrufen.

Der erste Gesprächspartner (Wolfgang Fürstner, VDZ) und die vorletzte (Claudia Rutt, GND) sind inzwischen nicht mehr im Amt. Wolfgang Fürstner, der langjährige Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Zeitschriftenverleger, VDZ, hat mit 67 Jahren seinem Nachfolger Platz gemacht. Er ist in Berlin geblieben und berät in Medienfragen, ist gleichzeitig Vorstand der wesentlich von ihm initiierten „Deutschland-Stiftung Integration“. Auf das Gespräch mit ihm kommen wir am Ende dieses Beitrags zurück.

Claudia Rutt – Am Anspruch gescheitert?

Claudia Rutt, im Interview 9/2011, Vorstand des Generationennetzwerks Deutschland GND, wurde kurz nach Erscheinen des Textes abgelöst, das Schicksal der vom ADAC ins Leben gerufenen Organisation GND ist Pressemeldungen folgend ungewiss. Bemühungen, Näheres vom neuen Vorstand, einem ADAC-Manager, zu erfahren, schlugen fehl. Der Webauftritt (www.gndev.de) zeigt scheinbar Normalbetrieb, aber bei "Presse" findet sich für 2012 keine einzige Pressemitteilung und die Lokalbüros haben sich nach Auflistung auf vier halbiert, auch diese ohne aktuelles Lebenszeichen.

Aufgabe des GND

Erinnern wir uns: Aufgabe des GND sollte es sein, Menschen in allen Altersfragen zur Seite zu stehen, seien sie mittel- oder unmittelbar betroffen. Im Aufbau war ein Hybridmodell aus zentraler hauptamtlicher Beratung und lokalen freiwilligen Selbsthilfebüros. Die Finanzierung sollte über Mitgliedsbeiträge und aus der Zusammenarbeit mit Großunternehmen, die den Mitgliedern für ihre Leistungen Preisvorteile einräumen und selbst von der Beratungskompetenz profitieren, sowie über Spenden sichergestellt werden.

„Vorbildfunktion hat der berühmte AARP, American Association for Retired People“, sagte uns Claudia Rutt. Die Absicht war, in der Verbindung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft eine Organisation auf die Beine zu stellen, social business eben, und damit in Zeiten nachlassender staatlicher Finanzpotenziale einen Wurf zu landen.

Die Problematik

Claudia Rutt hatte auf die Schwierigkeit, für das Anliegen Mitglieder zu werben, freimütig hingewiesen. Organisationen wie GND entstünden üblich aus der Not. Aber würden Bürger ihren im demografischen Wandel verstärkt mittelfristig auf sie zukommenden Beratungsbedarf auch emotional erkennen? Claudia Rutt skeptisch: „Letztlich rede ich immer über etwas, was sich nicht heute, sondern erst in einiger Zeit auswirkt.“ Hieran scheint das ehrgeizige Vorhaben des GND, in kurzer Zeit eine Mitgliederzahl zwischen 50 und 100 Tausend zu erreichen, gescheitert zu sein. Der Ehrgeiz bestand darin, ein Hybridmodell aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft gegen die Konkurrenz der herkömmlichen Wohlfahrtsorganisationen, die zumeist am Staatstropf hängen,
zu installieren.

Social business in Deutschland

Gerade in Deutschland mit seinen ausgeprägt staatlichen Unterstützungsstrukturen ist aber social business alles andere als einfach zu starten, obwohl vielleicht innovativer und somit eigentlich gesellschaftlich wünschenswert. Erst wenn der Staat sich aus der alten Sphäre zurückzieht, ist Raum für Neues, übrigens auch für den Umbau der bestehenden Organisationen. Etwas hat der GND allerdings nachweisen können, das für alle gesellschaftlichen Organisationen, auch Verbände, wichtig zu beachten ist: Es gibt ungeachtet mancher Unkenrufe viel unausgeschöpftes Potenzial für Freiwilligkeit im Lande, gerade auch von der älteren Generation. Oft reicht die Kostenübernahme für den Bürobetrieb und neue Energie startet aus dieser Struktur, gerade wenn Themen nicht eng zentral vorgegeben werden, sondern von den Treibern ausgewählt werden können. Projekte durch Mitgliederengagement jenseits der Gremien voranzubringen, Kontrollverlust durch die Verbandsführung hinnehmend, das dürfte in den allermeisten Verbänden noch ungewohntes Denken sein.

Marianne Tritz – Im Existenzkampf für die Branche

Eine neue Organisation ohne eigene Existenzangst, aber für eine Branche im Überlebenskampf ist der DZV, der Deutsche Zigarettenverband. Es sei denn, die Politik macht der Branche endgültig den Garaus. Wie uns Geschäftsführerin Marianne Tritz im Interview 2/2012 bestätigte, hatten die Mitglieder – in diesem Verband gibt es nur wenige Hersteller und damit Mitglieder – den Vorgängerverband Verband der Cigarettenindustrie e.V. (VdC) unter Geschäftsführer Wolfgang Hainer aufgelöst, als in Brüssel für die EU und gleichzeitig in den USA das jahrelange Tauziehen um den Tabakkonsum mit einer prinzipiellen Niederlage dieses Industriezweiges zu Ende ging: Der Konsum ist seitdem weitgehend aus dem öffentlichen Raum verbannt, nachdem die Gesundheitsschädlichkeit, insbesondere das Krebsrisiko, für Nutzer und Passivraucher als nachgewiesen gelten.

Die Absicht des DZV

Somit sollte eine neue Form der Interessenvertretung der neuen Lage entsprechen, deswegen die Auflösung des einen und die Neugründung des anderen Verbandes, vermutlich ein Novum in der deutschen Verbandshistorie. Der Gutachtenkampf war gestern, heute sollen softere Formen der Interessenvertretung „das respektvolle Miteinander von Raucher und Nichtraucher in der Gesellschaft“ (Marianne Tritz) sichern. Wenn sich allerdings, wie die Geschäftsführerin im Interview darlegte, Interessenvertretung auf die Frage zuspitzt, ob das Produkt legal bleibt mit allen Rechten und Pflichten legaler Produkte oder nicht – so der Entwurf der Tabakproduktrichtlinien der EU-Kommission aus Sicht des DZV – , dann verengen sich die Spielräume neuartiger Interessenvertretung beträchtlich. Zumal der Weg über die Bande (Bevölkerung, Medien) verstellt scheint. 

Christian Köhler – Repositionierung auf zwei Beinen

Marianne Tritz, die ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete, und Christian Köhler, Hauptgeschäftsführer des Markenverbandes, den ich in 5/2011 befragte, eint, dass beide als Quereinsteiger an die Spitze ihres Verbandes kamen. Köhler kam aus der Markenberatung, die Verbandsfunktion ist seine erste auf langem Karriereweg. Deswegen war mit ihm die Erörterung der Frage besonders reizvoll, was eigentlich einen Verband von einem Unternehmen unterscheidet. Seiner Meinung nach ist der Unterschied weniger in der Zielorientierung als in der Art der Zielerreichung zu suchen. Verbandsziele sind politische und Politik, so Köhler, ist input-gesteuert, Unternehmen sind aber output-orientiert.

Die Absicht des Markenverbandes

In der Re-Positionierung des Verbandes spricht Köhler von zwei Standbeinen des Markenverbands: Interessenvertretung nach außen und Service für die Mitgliedsunternehmen. Ein guter Lobbyist, sagt Köhler, muss „eine Geschichte erzählen können“, sonst ist er nicht interessant. Mit beiden Gesichtspunkten (Repositionierung mit Blick nach innen und außen, Lobbyismus auch professionell jenseits des rein Rational-Argumentativen) hat Köhler gewiss keinen Dissens mit den meisten Verbandskollegen, ganz sicher nicht mit Albrecht von der Hagen.

Albrecht von der Hagen – Kampagnenfest in Magenta

Er ist Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Familienunternehmen ASU, das Gespräch steht in 3/2011. Die Repositionierung dieses Verbandes ging tief.

Von der ursprünglichen Bezeichnung Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer ist nur die Abkürzung ASU geblieben. Die neue Bezeichnung DIE FAMILIENUNTERNEHMER unterstreicht die Alleinstellung innerhalb der Verbändelandschaft, befanden die Verantwortlichen. Und die Verbandsfarbe Magenta gegen all die blauen Logos verstärkt den Anspruch. Von der Hagen unterstreicht, dass Verbände, um mit ihren Themen auf der politischen Agenda wahrgenommen zu werden, mittlerweile mehr tun müssten als gewohnt und eingeübt: „Wir machen inzwischen sehr intensive Kampagnenarbeit.“ Die Schritte beschreibt der Geschäftsführer im Interview. Viele Umwelt- und Sozial-Lobby-Gruppen seien deutlich weiter. Von der Hagen: „Wir haben das Prinzip der begrenzten Provokation.“ Man müsse die Themen auch über den Bauch spielen, damit sie eine Breitenwirkung haben.

Wolfgang Drechsler – Reputierlich durch Zertifizierung

In der Methode vergleichbar, in der Zielsetzung unterschiedlich agieren Arbeitgeberverbände. Ihr Hauptansprechpartner ist nicht der Politiker, sondern der Tarifgegner, im Falle von Wolfgang Drechsler (7/2011), dem Geschäftsführer der Unternehmerverbände Südhessen in Darmstadt, die IG Metall. Jedenfalls in Drechslers Rolle als Bezirksgeschäftsführer von Hessen Metall. Wir lernen im Interview, dass regionale Verbandsmanager zumeist nicht nur eine Organisation in der Region vertreten. Drechsler ist gleichzeitig Repräsentant der hessischen Unternehmerverbände und führt mit dem Unternehmerverband Südhessen noch einen Arbeitgeberverband für regional ansässige Unternehmen ohne Tarifbindung. Im Interview ging es um die verbandliche Anpassung an die enormen Strukturveränderungen in der Indus-trie, den Zusammenhang zwischen verbandlichen Zertifizierungen (nach den Kriterien des DGVM ZERT QMS) und der Reputation der Organisation und die Chancen, durch einen ambitionierten Neubau Geltungsanspruch zu unterstreichen und Bindung zu erzeugen. Drechsler sieht in der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft eine willkommene Herausforderung: „Wenn wir unsere Arbeit gut machen, ist die Gewähr dafür hoch, dass wir im Wettbewerb mit Externen bestehen.“

Wolfgang Fürstner – Mit der Lust auf Freiraum und Markt

Drechsler und Fürstner (1/2011), so unterschiedlich ihre Funktion als Verbandsmanager in Darmstadt und Berlin auch ist, sind sich über die hohe Bedeutung von Reputationsmanagement (Fürstner: „Unverzichtbar und die größte Klippe“) und Zertifizierungsbedeutung völlig einig. Wolfgang Fürstner: „Mir ist wichtig, den Mitgliedern die Sicherheit zu geben, dass ihr Verband in einem guten Zustand ist, und dieses nachprüfbar und transparent zu machen.“

Das Führungsduo des VDZ

Fürstner und sein Präsident Hubert Burda bildeten über viele Jahre hinweg ein zuletzt fast legendäres Führungsduo des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger VDZ. Fürstner nennt im Interview als eine wichtige Voraussetzung verbandlichen Erfolgs die Gewährung von Freiräumen durch das Ehrenamt. „Wenn man heute einen modernen Verband führen will, braucht man diese Freiräume.“ Der Vorstand soll sich als Aufsichtsrat verstehen, sich von Leitungs- zum Kontrollgremium entwickeln. „Die Hauptamtlichen handeln und die Ehrenamtlichen kontrollieren.“ Am Beispiel von Verlegerreisen zu ausländischen Märkten unterstreicht Fürstner überdies den Anspruch an Verbandsmanager, die Lust zu verspüren, im Markt tätig zu sein.

Fazit: Der Verband als Ewige Baustelle

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Verbände auch deswegen nicht in der Existenzkrise sind, die ihnen in Zeiten von Individualisierung, Globalisierung und Wirtschaftskrise vielfach prognostiziert wurde, weil die Verantwortlichen wissen, dass ihre Organisationen einem energischen fortwährenden Anpassungsprozess unterworfen werden müssen. Der Verband als ewige Baustelle, das ist nicht für jeden gewohntes Denken. Und dass beim Verändern nicht die falschen Mauern eingerissen werden dürfen, das ist auch eine Kunst, die nur der beherrscht, der, wie schon Kaiser Wilhelm lernte, seinen Blick nicht nur auf das Neue konzentriert. Die Reihe wird fortgesetzt.  

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