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Warum der „nichtrechtsfähige Verein“ – eine attraktive Rechtsform für Berufsverbände ist

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Auf den ersten Blick ein Paradoxon: Ein nichtrechtsfähiges Gebilde soll eine attraktive Rechtsform für Berufsverbände sein? Ein Gebilde ohne Rechtsfähigkeit?

Der Wortlaut des einschlägigen § 54 BGB lässt eher das Gegenteil vermuten. Aber diese Vorschrift gilt heute nicht mehr buchstabengetreu, sondern hat durch die Rechtsprechung eine weitgehende Annäherung an den rechtsfähigen Verein erlangt. Das macht den „nichtrechtsfähigen“ Verein inzwischen zu einer echten Alternative. Die Gewerkschaften wissen das schon seit Langem.

Was der § 54 BGB ursprünglich bezweckte: Abschreckung

Der § 54 BGB ist in seinem Wortlaut seit dem Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 inhaltlich unverändert geblieben. Er besagt im Wesentlichen, dass auf den nichtrechtsfähigen Verein die Vorschriften über die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) Anwendung finden. Damit wollte der historische Gesetzgeber von der Benutzung dieser Rechtsform abschrecken und Vereine nach Möglichkeit zwingen, sich als e.V. in das Vereinsregister eintragen zu lassen. In der obrigkeitsstaatlichen Ära, die im Jahr 1900 herrschte, sollten vor allem Gewerkschaften und politische Parteien zur Eintragung gezwungen und in Form eines verschleierten Konzessionssystems einer politischen Kontrolle unterworfen werden.

Die Gesetzesregelung ist verfassungswidrig

Dieser ursprüngliche Zweck ist inzwischen überholt und mit der Vereinigungsfreiheit des Grundgesetzes (Art. 9 GG) nicht vereinbar. Rechtsprechung und Rechtswissenschaft sind sich daher – mit unterschiedlicher Begründung – darüber einig, dass auf den nichtrechtsfähigen Verein die Regeln über den e.V. anzuwenden sind. Der nichtrechtsfähige Verein ist damit praktisch ein rechtsfähiger Verein geworden, nur mit dem Unterschied, dass er nicht in das Vereinsregister eingetragen wird. Die Verweisung in § 54 BGB auf das Recht der Gesellschaft ist damit obsolet. Daran ändert nichts, dass der Wortlaut der Vorschrift immer noch das Gegenteil besagt!

Die Organisation des nichtrechtsfähigen Vereins

Auch der nichtrechtsfähige Verein ist wie der rechtsfähige Verein (§ 21 BGB) eine auf Dauer angelegte Verbindung einer größeren Anzahl von Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks, die nach ihrer Satzung körperschaftlich organisiert ist (also Organe hat), einen Gesamtnamen führt und auf einen wechselnden Mitgliederbestand angelegt ist. Der nichtrechtsfähige Verein unterscheidet sich durch seine körperschaftliche Organisation grundlegend von der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft. Diesen grundsätzlichen Unterschied hatte der historische Gesetzgeber im Interesse obrigkeitsstaatlicher Kontrollausübung bewusst ignoriert.

Die Organisation des nichtrechtsfähigen Vereins wird durch seine Satzung festgelegt. Diese bedarf keiner besonderen Form, es bedarf daher z. B. keiner notariellen Beurkundung. Eine langjährig angewandte Regelung kann daher beim nichtrechtsfähigen Verein als konkludent beschlossener Satzungsbestandteil aufzufassen sein. Lücken in der Satzung sind nach der Rechtsprechung des BGH durch entsprechende Anwendung der gesetzlichen Regelungen über den e.V. zu schließen. Die Vorschriften über die Gesellschaft (§§ 708 ff. BGB) gelten nicht.

Nach der Rechtsprechung gelten für den nichtrechtsfähigen Verein unter anderen folgende Vorschriften des Vereinsrechts:

  • Die Vorschriften über den Vorstand – einschließlich Notvorstand – (§§ 26 ff. BGB) gelten entsprechend. Beschränkungen seiner Vertretungsmacht gelten jedoch auch ohne Verlautbarung nach außen als wirksam.
  • § 31 BGB über die Haftung der Organe gilt entsprechend.
  • Die Vorschriften über die Mitgliederversammlung (§§ 32 ff. BGB) gelten entsprechend.
  • Die Vorschriften über die Mitgliedschaft und den Austritt (§§ 35 – 39 BGB) gelten entsprechend.
  • Die Regeln über den Ausschluss von Mitgliedern, Vereinsstrafen und Aufnahmepflicht gelten entsprechend.

 

Das Vermögen des nichtrechtsfähigen Vereins

Träger des Vermögens ist beim nichtrechtsfähigen Verein – trotz der Nichteintragung im Vereinsregister – die teilrechtsfähige Personengruppe, die den nichtrechtsfähigen Verein bildet. Die früher vertretene Ansicht, das Vermögen stehe wegen fehlender Rechtsfähigkeit des Vereins nicht diesem, sondern den Mitgliedern als Gemeinschaft zur gesamten Hand zu, ist überholt. Der BGH hat im Jahr 2001 die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft (GbR) als Trägerin von Rechten und Pflichten und als Rechtssubjekt anerkannt. Die für diese Beurteilung angeführten Gründe gelten ebenso für den nichtrechtsfähigen Verein. Zum Vereinsvermögen zählt auch das Namensrecht. Der Anteil am Vereinsvermögen ist weder übertragbar noch pfändbar. Ein ausscheidendes Mitglied hat nach BGH keinen Anspruch auf Auseinandersetzung oder Abfindung. Sein Anteil wächst den übrigen Vereinsmitgliedern zu. Beim Eintritt eines neuen Mitglieds findet ein automatischer Erwerb durch Anwachsung statt.

Die Rechtsstellung des „nichtrechtsfähigen“ Vereins

Wie bereits ausgeführt, ist auch der nichtrechtfähige Verein – anders, als seine Bezeichnung es ausdrückt– Träger von Rechten und Pflichten und stellt ein eigenes Rechtssubjekt dar. Soweit der nichtrechtsfähige Verein am Rechtsverkehr teilnimmt, ist er rechtsfähig. Er ist wechsel- und scheckfähig und kann passiv erbfähig sein. Er kann Mitglied eines anderen Vereins, einer GbR oder Gesellschafter einer GmbH oder AG sein. Nach BGH ist der nichtrechtsfähige Verein aktiv und passiv parteifähig, was seit 2009 auch Eingang in die ZPO gefunden hat (§ 50 Abs. 2 ZPO).

Nicht abschließend geklärt ist einstweilen, ob der nichtrechtsfähige Verein als solcher in das Grundbuch eingetragen werden kann. Dem steht möglicherweise der § 47 der Grundbuchordnung entgegen. Notfalls muss ein Treuhänder eingeschaltet werden. Die Entwicklung ist jedoch im Fluss, nachdem die Meinung im Vordringen begriffen ist, dass sogar die GbR im Grundbuch eingetragen werden kann. In der Rechtswissenschaft entspricht es einhelliger Auffassung, dass auch der nichtrechtsfähige Verein grundbuchfähig sein muss, nachdem die Grundbuchfähigkeit bereits für politische Parteien und ausländische, nicht in Deutschland registrierte Vereine bejaht worden ist.

Der nichtrechtsfähige Verein ist insolvenz- und vollstreckungsfähig: Über sein Vermögen kann nach § 11 Abs. 1 Satz 2 InsO das Insolvenzverfahren eröffnet werden. Zur Vollstreckung in sein Vermögen reicht ein gegen ihn ergangenes Urteil (§ 735 ZPO).

Die Haftung im nichtrechtsfähigen Verein

Die Mitglieder des nichtrechtsfähigen Vereins haften nach der BGH-Rechtsprechung nicht für Verbindlichkeiten des Vereins. Darin unterscheidet sich die Haftung grundsätzlich von der Haftung in der GbR. Auf die deliktische Haftung wird § 31 BGB entsprechend angewandt; dadurch wird nur eine Haftung des Verein –
und nicht seiner Mitglieder – begründet. Beim nichtrechtsfähigen Idealverein ist die Haftung auf das Vereinsvermögen beschränkt.

Nur in dem Ausnahmefall, dass der nichtrechtsfähige Verein wie ein wirtschaftlicher Verein (§ 22 BGB) auf die Verfolgung wirtschaftlicher Hauptzwecke ausgerichtet ist, haften neben dem Vereinsvermögen auch die Mitglieder persönlich. Dieser Fall kann jedoch bei Berufsverbänden ausgeschlossen werden. Ein voll wirtschaftlich tätiger Verein kann kein Berufsverband sein.

Die rechtsgeschäftliche Haftung trifft beim nichtrechtsfähigen Verein diejenigen Personen, die für den Verein nach außen handeln (sog. Handelndenhaftung nach § 54 Satz 2 BGB). Sie ist unabhängig von ihrer Stellung innerhalb des Vereins; es kommt also nicht darauf an, ob der Handelnde Vorstand oder Geschäftsführer des Vereins ist. Handelnder ist, wer für den Verein nach außen auftritt. Die Haftung kann nicht durch die Satzung, wohl aber durch Vertrag auf das Vereinsvermögen beschränkt werden.

Fazit: Der nichtrechtsfähige Verein ist eine praktikable Alternative zum e.V.

Sofern ein Berufsverband keinen eigenen Grundbesitz hat, steht er dem e.V. in praktisch jeder Hinsicht gleich. Er hat den Vorteil, wesentlich flexibler zu sein, weil der gesamte Verkehr mit dem Vereinsregister wegfällt. Unterschriften müssen nicht notariell beglaubigt werden. Satzungen müssen nicht eingereicht werden, Satzungsänderungen nicht mitgeteilt werden. Satzungsänderungen werden nicht erst mit der Eintragung in das Register wirksam, sondern zu dem Zeitpunkt, in dem sie nach dem Willen der Mitgliederversammlung wirksam werden sollen.

Dass der nichtrechtsfähige Verein auch für Berufsverbände eine praktikable Alternative zum e.V. darstellen kann, beweisen seit Langem die Gewerkschaften. Die meisten von ihnen sind als nichtrechtsfähige Vereine organisiert.  

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