Anspruch und Wirklichkeit– wie stellt sich die Kongressbranche auf die sich
wandelnden Ansprüche ein?
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Es ist kaum zu glauben, dass selbst wichtige Meinungsmacher, wie der Executive Director des Joint Meetings Industry Council und der AIPC (International Association of Convention Centres) Rod Cameron, zu der Ansicht kommen, dass die Branche viel zu lange, ja in mehr als 60 Jahren es versäumt hat, eine klare Grenze zwischen dem Freizeittourismus und dem tagungsbedingten Reisen zu ziehen (siehe Beitrag in der TW 5/14). Freizeit und Tourismusaspekte dominieren noch heute die Destinationswerbung der Branche. Wie selbstverständlich haben sich die Touristiker in Deutschland, aber auchanderswo in den letzten Jahren in der Vermarktung ihrer Städte und Regionen auf das wachsende Potenzial des Kongressmarktes konzentriert und dieses besonders hervorgehoben.
Dieses wachsende Potenzial, die sich verstärkende Nachfrage resultiert aber nicht daraus, dass Deutschland so schön oder so gut verkehrlich vernetzt ist. Dieses Potenzial ist aus der Einsicht der Wirtschaft und der Wissenschaft entstanden, dass sich Deutschland und Europa ohne das permanente Lernen, Fortbilden und den Austausch von Wissennicht mehr erfolgreich im weltweiten Kampf um Erhalt von Arbeitsplätzen behaupten können.
Dieser notwendige Wissenstransfer– die Hauptaufgabe eines jeden Meeting-Veranstalters – bekommt in der Welt der Anbieter einen neuen Stellenwert. Leider sind aber auch die Organisatoren teilweise der Meinung, dass die Attraktivität des Veranstaltungsortes der ausschlaggebende Grund für die Teilnahme an einer Tagung ist.
Doch die Welt hat sich in den letzten Jahren diesbezüglich grundlegend gewandelt
Der Freizeittourismus boomt, für die neuen Generationen ist die ganze Welt nicht mehr unbekannt. Im Gegenteil, sie können diese Abenteuer, dieses Entdeckerfeeling jeden Tag und zu Spotpreisen genießen. Eine Tagung auf Kosten des Veranstalters und des Finanzamtes in den fernen Ländern oder auch nur Berlin, Paris, London oderBarcelona dient nicht mehr der persönlichen Freizeiterfüllung. Es hat sich herumgesprochen, dass man außer dem Flughafen, dem Tagungshotel und den Meeting-Raum nicht mehr viel an persönlichem Freizeiterlebnis genießen kann.
Viele Faktoren haben zu dieser Veränderung beigetragen. Drei Faktoren können besonders herausgestellt werden:
- Ökonomischer Faktor
- Zeitfaktor
- Existenzdruck
Ökonomischer Faktor
Die Unternehmens-, aber auch unsere persönliche Welt wird immer mehr der Effizienzfrage unseres Tuns unterworfen. Emotionale und persönliche Entscheidungskriterien bleiben unberücksichtigt. Die Entscheidung, zu einer Tagung oder zu einem Kongress zu gehen, wird sachlicheren Kriterien unterworfen. Das Controlling im Unternehmen prüft in diesem Zusammenhang nicht nur die Möglichkeit eines Lernerfolges, sondern auch Bereiche, die der Compliance – wie eine Einladung zur Fortbildung durch Dritte – unterworfen sind. Gerade die immer stärkere Zurückhaltung einmal der Einladenden – denken wir an die Vorgaben des Pharmakodexes –, aber auch die Vorsicht der Eingeladenen–
beispielsweise zum Thema„Geldwerter Vorteil und Finanzamt“ – hat bereits ein Umdenken erzwungen.
Zukünftig wird, wie bei allen wirtschaftlichen Entscheidungen, der Return of Invest für eine Teilnahme an einer Tagung das wichtigste Entscheidungskriterium sein, gleich wer am Ende die Kosten trägt. Der Teilnehmer, der auf eigene Rechnung teilnimmt, wird sehr genau die Notwendigkeit und die Qualität des Angebots prüfen. Denn eines ist sicher, die Freizeitreise in die angebotene Destination ist preiswerter. Gibt es einen Dritten, der die Teilnahme bezahlt, wird er ebenfalls genau prüfen und abschätzen, ob sich diese Ausgabe lohnt. Gleich ob es sich um eine Fortbildungs-, Motivations- oder Werbeveranstaltung handelt.
Zeitfaktor
Wir wissen seit Langem, dass die Tagungsdauer immer kürzer wird. Nur ein Drittel aller Teilnehmer bleibt die volle Zeit und nimmt am vollen Programm einer Tagung teil. Gerade bei Verbandskongressen tritt dieses Phänomen immer stärker zutage. Bei Medizinkongressen sind es teilweise schon zwei Drittel aller Teilnehmer, die nur noch an einem Tag am Kongress teilnehmen. Dies hat, wie Untersuchungen zeigten, weniger mit den Kosten als mit dem Thema verfügbare Zeit zu tun. Der Arbeitsdruck, der tatsächlich immer manifester wird, zeigt auch bei der Fortbildung und Weiterbildung seine Wirkung. Die permanente Verfügbarkeit zwingt sogar dazu, wenn unsere technischen Mittel wie WLAN, Smartphone etc. es möglich machen, auch noch während der aktiven Teilnahme am Kongress diese geringe Zeit zu beschneiden. Manche Mittagspause, die eigentlich zum Networking genutzt werden sollte, geht in der Beantwortung der Flut von Mails vorüber und selbst imHalbdunkel des Meetings geht bei der parallelen Betätigung des iPads die Konzentration auf den Vortrag verloren. Diese in der Zwischenzeit immer stärker zu beobachtende Sucht wird vor allem die Meeting-Branche im Bestreben eines erfolgreichen ROI ganz besonders beschäftigen.
Existenzdruck
Die rapide Veränderung unserer globalen Welt, der immer stärker werdende Druck durch die virtuellen Medien und Vernetzung des weltweiten Wissens und der Forschungsergebnisse verändert in gravierendem Maße unsere existenzielle Haltung zur Weiter- und Fortbildung. Schon ein oder zwei Jahre Mutter- oder Vaterschaftsurlaub können sich für die Karriere und den Beruf negativ auswirken. Daran wird deutlich, dass lebenslanges Lernen unabdingbar ist. Aber wie, wenn Zeit und Geld dazu nicht ausreichen?
Hierzu hat ein Umdenken in den letzten Jahren bereits erfolgreich begonnen. Die Unternehmen unter dem Druck des Fachkräftemangels, die Politik angesichts des immer näher rückenden demografischen Faktors und der unerträglichen Jugendarbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern und selbst die Meeting-Branche befinden sich in einem positiven Umdenkungsprozess. Fort- und Weiterbildung sind die entscheidenden Zukunftsfaktoren. Damit eröffnen sich für die Branche, aber auch für die Verbände ganz neue Möglichkeiten. Dies gelingt allerdings nur, wenn die Branche sich mit grundlegenden Fragen der Wissensvermittlung, den pädagogischen und psychologischen Erkenntnissen intensiv befasst. Wenn die Verbändeaufhören, sich bei der Qualität von Veranstaltungen von verbandspolitischen internen Interessen leiten zu lassen und nur das Beste und Aktuellste an Wissen anbieten. Diese Wissensvermittlung ist zukünftig losgelöst von Ort und Zeit. Das heißt nicht, dass die Abhaltung eines Kongresses unterbleiben kann. Es ist gerade wenige Tage her, dass festgestellt wurde, dass die virtuelle On- und Offline-Übertragung von Kongressen nicht zu weniger, sondern zu mehr Teilnehmern führt.
Der Kongress verändert sich
Der Kongress wird internationaler. Bedingt durch die vernetzte Welt und die globalisierte Wissenswelt werden der Inhalt und die Themen internationaler. Hierzu hilft und unterstützt die heutige Technik im Besonderen. Selbst Sprachbarrieren werden in nächster Zeit durch neue Programme – soeben hat Microsoft ein simultanes Übersetzungsprogramm für Redner angekündigt – gelöst werden. Es ist kein Kostenfaktor mehr, internationale Redner perÜbertragung in den Hörsaal zu beamen und im Dialog mit ihm zu diskutieren. Reisekosten und unglaubliche Zeitverschwendung sowie Umweltverschmutzung werden kein Thema mehr sein. Das wenn auch nur virtuelle Dabeisein wird für den internationalen Teilnehmer normal.
Der Kongress muss als Zusatznutzen die Möglichkeit des Networkings forcieren. Er muss neue Formen der Meinungsbildung im Vorfeld, beim Kongress und danach anbieten und entwickeln. Apps, eigene Tweets und Lernforen, die nicht nur eins zu eins abbilden, sondern die in den Referaten behandelte Materie vertiefen und durch entsprechende Dialoge verständlich machen, sind notwendig. Eine Aufgabe, die durchaus durch Verlage übernommen werden kann und teilweise bereits erfolgt.
Das Fördern von Networking heißt aber auch die Hardware, die bauliche Gestaltung von Tagungszentren zu verändern. Diese mit einem Marktplatz zu vergleichende Funktion wird von den vergangenen und derzeitigen Architekten genauso schlecht gelöst wie die sterilen und leeren Plätze in unseren modernen Städten. Dies ist nicht nur eine Herausforderung für die Architekten. Auch hier zeigt sich, dass die Branche mit Psychologen, Soziologen und Pädagogen zusammenarbeiten muss. Diese existenziell wichtige Herausforderung ist nicht zu lösen, wenn wir in diesem Fall den emotionalen Menschen negieren.
Der PCO hat ausgedient
Die inhaltliche undäußere Inszenierung einer Tagung oder eines Kongresses, aber auch eines einfachen Meetings erfordert, wenn man das Vorhergesagte auf sich wirken lässt, Spezialisten, die es verstehen, die inhaltliche Qualität, den dramaturgischen Spannungsbogen eines Programms, den wirkungsvollen Einsatz von Technik und das Instrumentarium der digitalen Medienwelt zu beherrschen und umzusetzen. Hierfür sind unsere Hochschulen und Ausbildungsstätten nicht gerüstet. Wir werden neue Berufs- und Ausbildungsbilder entwickeln müssen. Leider bleibt hierfür immer weniger Zeit. Es hat Jahrzehnte gedauert, bisdie betriebswirtschaftlichen Lehrstühle begriffen haben, dass das Kommunikationsinstrument Event und Kongresse durchaus eines eigenen Ausbildungsganges wert ist. Es ist zu hoffen, dass sie schneller begreifen, dass allgemeines Prozess- und Managementdenken nicht mehr ausreicht, um den sich schnellwandelnden Anforderungen gerecht zu werden.
Die Kongress- und Tagungsstätten sind Spezialeinrichtungen der Wissensvermittlung
Sie werden ihre Bauten flexibler, Networking freundlicher und nachhaltiger gestalten müssen. Die Manager und nicht die Politik dürfen die Anforderungen an ein so spezialisiertes Haus stellen. Genauso wie die Pädagogen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse Einfluss auf den Bau von Schulen nehmen. Es ist seit Langem keinem Nutzer und Architekten mehr eingefallen, bei einer Schule Räume ohne Fenster zu bauen. Nur in der Kongressbranche glauben viele noch an das Gegenteil. Die Software, der Service und die technischen Dienstleistungen eines Hauses müssen ganzheitlich entwickelt und angeboten werden. Jeder Veranstalter muss dort in diesem Haus Beratung und Hilfe finden, seine Veranstaltung erfolgreich und den neuen und modernen Erfordernissen entsprechend zu gestalten. Das bedeutet allerdings auch, dass der Veranstalter selbst bereit sein sollte, das Verhältnis als eine Partnerschaft zu betrachten und diesem Spezialisten, wenn er tatsächlich einer ist, zu folgen undzu vertrauen.
Wenn er tatsächlich einer ist ... genau da liegt aber immer noch das Problem. Das Management muss ganz schnell lernen, dass seine Dienstleistung und das Produkt nicht mehr davon abhängig sind, wie schön die Stadt, ihr Dom oder Münster und das sonstige kulturelle Angebot dargestellt werden. Stadtmarketing hat an dieser Stelle ausgedient. Entscheidend sind die Kompetenz und das Angebot der Zentren.
Der Manager der Zukunft muss das Produkt„Wissensvermittlung“ erlernen, erkennen und entsprechend den Zielen seines Kunden umsetzen. Dies wird der zukünftige Maßstab für den Erfolg eines Hauses sein. Wer dies am ehesten begreift, wird Erfolg haben. Aber nicht nur das Management eines Kongresshauses, eines Tagungshotels, nicht nur der neue PCO, sondern auch der Kunde, der Verbandsgeschäftsführer, die ehrenamtlichen Vorstände, die Marketing- und Eventmanager in den Unternehmen werden sich diesen Veränderungen stellen müssen. Es bedeutet, die Wissensvermittlung in allen ihren Facetten professionell, fundiert und mit allen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln zu optimieren.