1.112 Bürgerbegehren: Praxis widerlegt Argumente der Skeptiker / Bürger sind reif für die Direkte Demokratie - auch im Bund
(Achim) - Bayern ist Spitze. Seit Einführung der direkten Demokratie in Gemeinden und Landkreise am 1. Oktober 1995 strengten die Bürger 1.112 Bürgerbegehren an. In 508 Fällen kam es zum Bürgerentscheid. Diese Zahlen legte die Bürgeraktion Mehr Demokratie vor. "Die bayerische Praxis zeigt, daß die Bürger die Direkte Demokratie nicht nur wollen, sondern auch vernünftig damit umgehen", resümierte Claudine Nierth, Vorstandssprecherin von Mehr Demokratie. Der Verein hatte 1995 das Volksbegehren "Mehr Demokratie in Bayern" auf den Weg gebracht, das schließlich zur Einführung des Bürgerentscheids führte.
Nierth zog Parallelen zur aktuellen Debatte über den bundesweiten Volksentscheid: "Als Mehr Demokratie 1995 den Bürgerentscheid mit niedrigen Hürden und ohne Themenverbote vorschlug, liefen die Gegner Sturm. Die Parlamente würden ausgehebelt, eine Inflation von Bürgerentscheiden drohe, Nein-Sager und Minderheiten würden künftig die Gemeindepolitik blockieren. Ähnliche Befürchtungen werden auch heute gegen die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden geäußert. In Bayern ist nichts von alldem Wirklichkeit geworden. Stattdessen erkennen mittlerweile auch die damaligen Gegner an, daß Bürgerbegehren die politische Kultur bereichern."
Die Direkte Demokratie erweist sich in Bayern als Gaspedal und Bremse: In der Hälfte der Fälle legen die Bürger neue Planungen vor, die andere Hälfte will Vorhaben des Rates stoppen. Die Erfolgsquote von Bürgerentscheiden beträgt 50 Prozent, die Beteiligung beträgt durchschnittlich 49,1 Prozent. Mit 101 Abstimmungen pro Jahr liegt Bayern deutlich vor den nächstplazierten Ländern NRW (9), Hessen (8) und Baden-Württemberg (6). Diese Länder sehen deutlich höhere Hürden vor und schließen wichtige Themen vom Bürgerentscheid aus. Hochgerechnet auf die Zahl der 2049 Kommunen im Freistaat erlebt aber auch ein bayerischer Bürger nur alle 20 Jahre einen Bürgerentscheid. "Von einer Bürgerentscheids-Inflation kann trotz niedriger Hürden keine Rede sein", sagte Nierth.
Seit 1997 ist die Zahl der Bürgerentscheide allerdings zurückgegangen, im Jahr 2000 waren es nur noch 48 Abstimmungen. Die Ursache dafür sieht Nierth nicht zuletzt in der Abschaffung des Mehrheitsprinzips. "Gegen den Willen der Bürger hat der Landtag 1997 Quoren eingeführt, die je nach Gemeindegröße eine Mindestzustimmung von 10-20 Prozent der Wahlberechtigten fordern. Diese Klausel macht jeden dritten Bürgerentscheid ungültig Viele Initiativen werden im Vorfeld abgeschreckt."
Was die Fairness der Regelungen angeht, habe Bayern seinen Spitzenplatz an Hamburg verloren. Beim dortigen Bezirks-Bürgerentscheid gelte das Mehrheitsprinzip ohne Quoren. Auch diese Regelung war 1998 vom Volk direkt eingeführt worden.
"In den meisten Bundesländern lassen hohe Quoren und Themenverbote die Nutzung kommunaler Bürgerbegehren nur vereinzelt zu", sagte Nierth. Zu einem ähnlichen Fazit war Mehr Demokratie schon in seinem Anfang Februar vorgelegten "Volksbegehrens-Bericht 2000" für die Regelung landesweiter Volksentscheide gekommen. "Beim Bürgerentscheid sehen wir erneut, daß nur faire Spielregeln die Demokratie mit Leben erfüllen können. Diese Einsicht darf bei der Diskussion über bundesweite Volksentscheide nicht vernachlässigt werden."
Die Vereinssprecherin kritisierte auf diesem Hintergrund die von der SPD vorgelegten Eckpunkte für die bundesweite Direktdemokratie: "Die Sozialdemokraten wollen die Fehler vieler Länder und Kommunen wiederholen und ein Placebo-Gesetz mit hohen Quoren einführen." Mehr Demokratie feile derzeit noch an einem eigenen Gesetzentwurf mit fairen Spielregeln, der in Kürze vorgelegt werden soll.
Der bayerische Bürgerentscheids-Bericht (16 Seiten, mit Tabellen) im Internet: http://www.mehr-demokratie.de.
Quelle und Kontaktadresse:
Mehr Demokratie e.V. - Bundesverband
Pressesprecher
Ralph Kampwirth
Clüverstr. 29
28832 Achim
Telefon: 04202/888774
Telefax: 04202/888902
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