Pressemitteilung | Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD)

2. Anti-Terrorismus-Paket: "So nicht, Herr Schily!"

(Bonn) - Das Verhandlungsergebnis zwischen Bundesinnenminister Otto Schily und der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zum sog. Terrorismusbekämpfungsgesetz am 29. Oktober 2001 hat bei der Deutschen Vereinigung für Datenschutz (DVD) "blankes Entsetzen" ausgelöst.

Dazu der DVD-Vorsitzende, Dr. Thilo Weichert:

"Nachdem man nach den ersten Verlautbarungen über das Anti-Terror-Paket noch die Hoffnung haben konnte, die grüne Bundestagsfraktion habe die schlimmsten Auswüchse verhindern können, belehrt der konkrete Text uns eines "Schlechteren". Den Zugeständnissen Schilys an die Grünen stehen massive Verschlimmerungen gegenüber. Was hier von einem rot-grünen Kabinett beschlossen werden soll, hätte sich die alte schwarz-gelbe Regierung nicht erlaubt: Geplant ist nichts weniger als die Grundsteinlegung für einen Geheimdienststaat und insbesondere für die perfektionierte Überwachung unserer nichtdeutschen Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Sollten mit dem ersten "Otto-Katalog" "nur" dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusätzliche Befugnisse gegenüber Banken, Post-, Telekommunikations- und Flugunternehmen eingeräumt werden, so sollen nun auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) "profitieren". Ganz nebenbei wird der große Lauschangriff für den Inlandsgeheimdienst eingeführt. Ohne Not wird das Sozialgeheimnis zur Durchführung von Rasterfahndungen durchlöchert. Neben diesen neuen rechtsstaatlichen "Grausamkeiten" sind fast alle aus dem ersten "Otto-Katalog" erhalten geblieben: Mit einer "Nebelkerzen-Regelung" soll das Bundeskriminalamt (BKA) weiterhin ohne Anfangsverdacht Daten erheben und speichern dürfen. Von Befristungen der Geltungsdauer von Befugnissen ist keine Rede mehr.

Die Asylbehörden sollen ihre Erkenntnisse aus den Asylanträgen personenbezogen an den Inlandsgeheimdienst weitergeben, ohne jede rechtsstaatliche Sicherung, ja ohne ein Verbot der Weitergabe an Geheimdienste der Verfolgerstaaten. An der Überwachung der Ausländerinnen und Ausländer ist praktisch kein Abstrich erfolgt. Sollte es bei der Biometrie im Ausweis von Deutschen politische Probleme geben, so werden die Ausländer als "Versuchskaninchen" vorgeschickt - mit einfacher Rechtsverordnung des Innenministeriums. Praktisch alle Maßnahmen im Ausländerrecht haben zwar keinen Effekt bei der Terrorismusbekämpfung, wohl aber einen für die Vollüberwachung des ausländischen Bevölkerungsteils, für die Abschottung der Grenzen und Einreiseverhinderungen und für Abschiebungserleichterungen. Das Gesetz atmet eher den Geist des Kolonialismus als den eines weltoffenen modernen Deutschlands. Der Ausländer wird als Sicherheitsrisiko und nicht als Partner behandelt.

Unbestreitbar ist, dass nach absolutem Fehlen von rechtsstaatlichen Sicherungen im ersten Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen einige Begrenzungen durchgesetzt wurden, z.B. Richtervorbehalte, eventuell erfolgende nachträgliche Benachrichtigungen oder die Notwendigkeit einer Entscheidung durch den Behördenleiter. Doch diese Korrekturen laufen teilweise ins Leere; an anderen Stellen fehlen sie weiterhin völlig. Wer glaubt, mit einer schwindsüchtigen G-10-Kommission gewaltige Geheimdienstapparate kontrollieren zu können, irrt.

Merkwürdig ist, dass im Entwurf an keiner Stelle von der Datenschutzkontrolle die Rede ist. Das rechtsstaatlich Mindeste wäre, diese entsprechend auszubauen wie die sog. Sicherheitsbehörden. Es bedürfte schon einer massiven Veränderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wenn dieser Entwurf von dem obersten deutschen Gericht hingenommen würde.

Die Strategie von Otto Schily scheint aufzugehen: Unverschämtes fordern, ein paar Brosamen dem Koalitionspartner unter den Tisch werfen und dann Unverschämtes umsetzen. Ein Trauerspiel bot bisher die SPD, deren rechtsstaatliches Gewissen offensichtlich völlig verstummt ist. Bündnis 90/Die Grünen sind gut beraten, schon vor der Kabinettssitzung am 7. November die Notbremse zu ziehen; in jedem Fall muss jede einzelne Regelung auf den parlamentarischen und den öffentlichen Prüfstand gestellt werden. Selbst Rechtsstaatsverfechtern in der Opposition von FDP und CDU muss dieses Paket suspekt sein. Die SPD-Wahlkampfstrategie für die Wahlen 2002, die CDU bei der "inneren Sicherheit" rechts zu überholen, darf nicht zu Lasten unserer freiheitlichen Ordnung gehen. Bei den Verhandlungen darf es keinen Zeitdruck geben, denn hier steht nicht die kurzfristige Abwehr von terroristischen Gefahren zur Diskussion, sondern die Zerschlagung von Pfeilern unseres Rechtsstaates. So nicht, Herr Schily!"

Quelle und Kontaktadresse:
Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V. (DVD) Bonner Talweg 33-35 53113 Bonn Telefon: 0228/222498 Telefax: 0228/

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