Arzneimittelinnovation 2025: Bilanz vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen
(Berlin) - Ein Gentherapeutikum, das wöchentlich auf die Haut aufgetragen werden muss, und ein weiteres, das mit der Genschere CRISPR-Cas arbeitet, gehören zu den ungewöhnlichsten Medikamenten, die Pharmaunternehmen 2025 in Deutschland neu eingeführt haben. Schutzimpfungen bieten sie nun auch gegen Chikungunya-Fieber an; und erstmals nach 2002 konnten sie wieder neue Alzheimer-Medikamente einführen. Insgesamt haben Pharmaunternehmen in diesem Jahr 36 Medikamente in Deutschland auf den Markt gebracht (2024 waren es 43). Das sind einige Ergebnisse der Arzneimittel-Innovationsbilanz 2025, die der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) heute in Berlin veröffentlicht hat.
Zu diesen Neuerungen kam noch die Ausweitung des Anwendungsgebiets für mindestens 20 bereits zuvor schon vermarktete Medikamente. So wurde die Anwendbarkeit zahlreicher Krebsmedikamente auf weitere Krebsarten ausgedehnt, z. B. Mantelzelllymphom, Leberkrebs oder Mesotheliom.
Dazu sagt vfa-Präsident Han Steutel: „Pharmaunternehmen haben mit den Neueinführungen und Zulassungserweiterungen dieses Jahres einmal mehr die Möglichkeiten der Medizin erweitert. Ein Fokus liegt dabei auf schweren, oft lebensbedrohlichen Krankheiten. Das wird vielen Patientinnen und Patienten in schwieriger Lage zugutekommen."
Allerdings hätten mehr Medikamente für Neueinführungen bereitgestanden. „Die Zahl zugelassener, aber hierzulande nicht vermarkteter Medikamente wächst“, so Steutel. „Die Entscheidungen gegen eine Markteinführung könnten von Forderungen der US-Regierung nach umverteilten Arzneimittelausgaben beeinflusst worden sein. Früher waren wir es gewohnt, dass fast alle Medikamente schnell Verfügung stehen. Um die Versorgung mit neuen Arzneimitteln wieder umfassend zu gewährleisten, brauchen wir eine innovationsfreundliche, wachstumsorientierte Arzneimittelpolitik in Deutschland und Europa.”
75 Prozent der 36 neuen Medikamente wurden vor ihrer Zulassung auch in Deutschland erprobt.
Han Steutel weiter: „Deutschland steht vor globalen Herausforderungen: In der präklinischen und klinischen Arzneimittelforschung bleiben Potenziale ungenutzt. Hier gehen andere Länder – wie China – mit deutlich größerem Tempo voran. Gleichzeitig zwingt die US-Politik unser Land dazu, neue Antworten auf die Fragen zu finden, wie eine leistungsfähige Versorgung und ein wettbewerbsfähiger Pharma-Standort in Zukunft aussehen müssen.“
Breite Verteilung auf die Anwendungsgebiete
Die 36 Medikamente mit neuem Wirkstoff verteilen sich wie folgt auf verschiedene Anwendungsgebiete:
Krebserkrankungen: 13
Stoffwechselkrankheiten: 6
Neurologische Krankheiten (ohne Krebs): 4
Herz-Kreislauf-Erkrankungen: 3
Infektionskrankheiten: 3
Immunologische Erkrankungen: 2
Blutungskrankheiten: 2
Muskelerkrankungen: 1
Sonstige: 2
Zu den „Immunologischen Erkrankungen“ werden Autoimmunkrankheiten, allergische Erkrankungen und angeborene Immundefekte gezählt.
Krebserkrankungen
Neue Medikamente für Menschen mit Krebserkrankungen gab es in diesem Jahr ähnlich viele (13) wie in den Vorjahren: 2023 und 2024 waren es jeweils 12. Davon erweiterten jeweils gleich zwei neue Medikamente die Therapiemöglichkeiten bei Brustkrebs und bei Nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (jeweils mit bestimmten Genkonstellationen). Wie schon 2024 zählt rund die Hälfte der neuen Krebsmedikament zur großen Gruppe der oral anwendbaren Kinasehemmer, die in den Krebszellen auf jeweils unterschiedliche Weise Signale für die Zellteilung unterbinden. Zwei andere Krebsmedikamente ‒ gegen Brustkrebs und gegen Gebärmutterhalskrebs ‒ enthalten Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (mitunter als „bewaffnete Antikörper“ bezeichnet). Mit ihrem Antikörperteil binden sich diese an die Krebszellen, von denen sie anschließend ins Innere gezogen werden; dort töten dann die anhängenden Giftstoffe die Zellen ab.
Stoffwechselkrankheiten
Ungewöhnlich ist am Jahrgang 2025, dass gleich sechs Medikamente der Therapie von Stoffwechselkrankheiten dienen. Zu diesen zählt unter anderem das erste Medikament gegen die Metabolische Dysfunktion-assoziierte Steatohepatitis (MASH), eine fortgeschrittene Form von Fettlebererkrankung. Es wird geschätzt, dass daran rund drei bis fünf Prozent der Erwachsenen in den Industrieländern leiden.
Ebenfalls erstmals gezielt medikamentös behandelbar wurden die Krankheiten Molybdän-Cofaktor-Mangel und Thyreotoxikose bei Allan Hernon Dudley-Syndrom.
Alzheimer-Demenz
Nachdem es 23 Jahre lang keine Erweiterung des Arzneimittelsortiments gegen die Alzheimer-Demenz gab (2002 erhielt ein Medikament mit dem Wirkstoff Memantin eine entsprechende Zulassung), wurden in diesem Jahr gleich zwei neue Medikamente verfügbar. Beide können allerdings nur im Frühstadium und nach aufwendiger Diagnose durch Liquor-Untersuchung oder PET-Scan sowie einem Gentest eingesetzt werden.
Schutzimpfungen
2025 kamen drei Impfstoffe neu auf den Markt, darunter die ersten beiden Impfstoffe überhaupt gegen die oftmals sehr schmerzhafte Virusinfektion Chikungunya-Fieber. Sie tritt vereinzelt in Europa, aber sehr viel häufiger in Teilen Afrikas und in Süd- und Mittelamerika auf. Der dritte Impfstoff dient dem Schutz vor 21 verschiedenen Serogruppen von Pneumokokken ‒ Bakterien, die unter anderem Lungenentzündung hervorrufen können.
Gentherapien
2025 wurden zwei weitere Gentherapien verfügbar. Beide sind auf ihre Weise ungewöhnlich.
Die erste ist gleich bei zwei seltenen Erbkrankheiten einsetzbar: bei der Sichelzell-Krankheit und bei Beta-Thalassämie. Beide beruhen auf Defekten in einem Hämoglobin-Gen. Das Gentherapeutikum kann in blutbildenden Stamm- und Vorläuferzellen ein sonst nur vorgeburtlich aktives Ersatzgen aktivieren und so bei vielen Betroffenen für eine anhaltende gesundheitliche Besserung sorgen. Es setzt dafür erstmals die Genschere CRISPR-Cas therapeutisch (und nicht nur als Labortechnik) ein. Damit dürfte das Therapeutikum auch noch für einige Jahre weitgehend alleinstehen, denn nur ein einziges anderes CRISPR-Cas-basiertes Medikament hat derzeit die Phase III der Studienerprobung erreicht (gegen hereditäres Angioödem), nach der eine Zulassung beantragt werden kann.
Das andere Gentherapeutikum ist ein Gel zur Behandlung der schweren genetisch bedingten Hautkrankheit Epidermolysis bullosa. Auf Wunden aufgetragen, kann es durch Genübertragung die Heilung fördern, bleibt allerdings (anders als andere Gentherapien) nur rund eine Woche wirksam; danach ist eine erneute Anwendung erforderlich.
Medikamente gegen seltene Erkrankungen
Einige der neu eingeführten Arzneimittel adressieren häufige Krankheiten wie etwa Migräne; doch rund zwei Drittel (24 Medikamente) haben eine seltene Erkrankung als Anwendungsgebiet ‒ es leiden daran also nicht mehr als fünf von 10.000 EU-Bürger:innen. Von Thyreotoxikose bei Allan Hernan Dudley-Syndrom und an Molybdän-Cofaktor-Mangel sind sogar in der ganzen EU nur jeweils rund 450 Patient:innen betroffen; und trotzdem haben Hersteller für sie Medikamente entwickelt und 2025 herausgebracht.
Dazu Steutel: „Das zeigt das anhaltende Engagement der Pharmabranche auch für solche Patientinnen und Patienten, deren Krankheit nicht häufig vorkommt. Damit allerdings Betroffene und Medikamente zuverlässig zusammenfinden, muss die Infrastruktur für die Früherkennung bzw. Diagnose seltener Krankheiten in Deutschland noch weiter ausgebaut werden. Und vor allem sollte der bewährte Gesetzes- und Erstattungsrahmen für Orphan Drugs nicht geändert werden. Denn forschende Pharma-Unternehmen brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, um in diesem Feld aktiv bleiben zu können.“
13 der Medikamente gegen seltene Krankheiten haben auf Antrag ihrer Hersteller von der EU den Orphan Drug-Status zuerkannt bekommen; er attestiert ihnen, zumindest für einen Teil der Betroffenen den bisherigen Behandlungsmöglichkeiten überlegen zu sein.
Keinen Orphan Drug-Status erhalten Medikamente, die gegen seltene Unterformen häufigerer Erkrankungen zugelassen sind. So kommt beispielsweise das 2025 eingeführte Medikament mit dem Anwendungsgebiet „Nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC) mit 19del-Mutation oder Exon-21-L858R-Substitution im EGFR-Gen“ nicht für einen Orphan Drug-Status in Betracht, obwohl daran nur rund zwei von hunderttausend Bundesbürger:innen leiden.
Herstellungsarten
Wie schon 2024 enthält die Mehrheit (56 Prozent) der neuen Medikamente chemisch synthetisierte Wirkstoffe. Weitere 42 Prozent der Medikamente werden gentechnisch hergestellt. Ein Impfstoff wird biotechnisch ohne Einsatz von Gentechnik produziert.
Das zeigt, dass die Pharmaforschung weiterhin sowohl auf gentechnische als auch auf chemische Wirkstoffe setzt. Letztere werden meist als „small molecules“ bezeichnet, was allerdings verkennt, dass beispielsweise die 2025 eingeführten chemischen Wirkstoffe Eplontersen und Olezarsen mit jeweils knapp 1.000 Atomen deutlich größer sind als gentechnisches Humaninsulin mit seinen nur 788 Atomen.
Quelle und Kontaktadresse:
Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), Rolf Hömke, Wirtschaftspresse, Charlottenstr. 59, 10117 Berlin, Telefon: 030 206040
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