Bewährte Behandlungspfade erhalten / HNO-Verband warnt vor starrem Primärarztmodell
(Neumünster) - Der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte (BVHNO) warnt vor der Einführung eines starren Primärarztsystems. „Den Zugang und die Verantwortlichkeit für die ambulante Versorgung von 75 Millionen GKV-Versicherten bei Haus- und Kinderärzten zu konzentrieren, ist ein Hochrisikospiel mit unwägbarem Ausgang“, schreibt der Verband in einem heute veröffentlichten Positionspapier. Vor dem Hintergrund der erodierten Hausarztstrukturen führe ein Gatekeeper-Modell zu einem neuen Flaschenhals in der ambulanten Versorgung. Stattdessen sei es vernünftig, funktionierende Behandlungspfade für grundversorgende Fachrichtungen, wie der HNO-Heilkunde, als Direktzugang zu erhalten.
Die ambulante HNO-Heilkunde trage wesentlich zur Entlastung der Hausärzte und Kinder- und Jugendärzte bei, hebt der HNO-Verband hervor: „Vor allem in der Erkältungszeit werden viele Patienten mit originär primärärztlich zu versorgenden Akutdiagnosen von HNO-Ärzten behandelt. Gerade aber nicht nur in Regionen mit stark ausgeprägtem Hausärztemangel haben HNO-Ärzte eine primärärztliche Ersatzrolle übernommen“, heißt es in der Stellungnahme. Daher müssten die Auswirkungen eines Gatekeeper-Modells auf die fachärztlichen Versorgungsstrukturen kritisch abgewogen werden. 88 Prozent der Patienten suchen die HNO-Facharztpraxis ohne Überweisung auf. Gleichzeitig steige der Bedarf an HNO-Facharztmedizin. Während die Zahl der hausärztlichen Behandlungsfälle zwischen 2021 und 2024 leicht rückläufig war (-0,3 Prozent), nahm die Zahl der HNO-Behandlungsfälle im selben Zeitraum um 12,3 Prozent zu. Darüber hinaus versorgen HNO-Fachärzte über 1.400 Behandlungsfälle je Arzt und Quartal und damit 36 Prozent mehr als ein Arzt im hausärztlichen Versorgungsbereich (892 Fälle/Arzt).
Früherkennung in Gefahr
Der HNO-Verband zeigt sich zudem besorgt, dass in einem Primärarztmodell schwerwiegende Erkrankungen zu spät erkannt werden. Als Beispiele führt das Positionspapier die Spiegeluntersuchung des Mundraums, des Rachens, der Stimmlippen und des Kehlkopfes (Laryngoskopie) an, die bei vielen Patienten zur Standarddiagnostik und Krebsfrüherkennung durchgeführt werde. Ähnliches gelte für die Untersuchung des Gehörgangs sowie des Trommelfells. Bleibe eine Schwerhörigkeit unbehandelt, steige das Risiko einer dementiellen Erkrankung. Werden allergologische Beschwerden nicht rechtzeitig kausal behandelt (Hyposensibilisierung), könne es zu einem sogenannten Etagenwechsel und zur Ausbildung einer asthmatischen Erkrankung kommen, erläutert der BVHNO.
Akzeptanz der Patienten fraglich
Zudem komme die Einführung eines Primärarztmodells einem kompletten Umbau der Versorgungs- und Behandlungspfade gleich. Galt bisher die Prämisse, den Patienten einen schnellen Zugang zum Facharzt zu ermöglichen und Wartezeiten zu reduzieren, unter anderem mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz, sollen nun hohe Hürden für den Besuch beim Facharzt aufgebaut werden. Dieser Paradigmenwechsel werde im Gegensatz zu verschiedenen Modellen im Ausland jedoch nicht mit Anreizen für die Patienten verknüpft. Bestehende Vorzugsregelungen, wie zum Beispiel die offene Sprechstunde, mit der bis zu 17,5 Prozent der Patienten ohne Termin beim Facharzt direkt behandelt werden, würden in einem Primärarztmodell vielmehr ersatzlos wegfallen, gibt der BVHNO zu bedenken.
HNO-Termine binnen drei Tagen
Mit Blick auf die Wartezeitendebatte verweist der Verband auf die Terminservicestellen (TSS) der Kassenärztlichen Vereinigungen. Laut Evaluationsbericht liege die durchschnittliche Vermittlungsdauer in der HNO bei nur drei Tagen. 56 Prozent der Patienten seien sogar innerhalb eines Tages behandelt worden. Demnach treffe das in der Steuerungsdebatte oft angeführte Argument der langen Wartezeiten in der HNO-Heilkunde nachweislich nicht zu, unterstreicht der HNO-Berufsverband. Vielmehr steige in einem starren Gatekeeper-Modell das Risiko der Zweiklassenmedizin. So komme es im Gesundheitssystem des Vereinigten Königreichs zu langen Wartezeiten auf Facharzttermine und Operationen sowie einer steigenden Zahl an privaten Versicherungspolicen. Ein Hausarztmodell könne sich auch in Deutschland als „Konjunkturprogramm für den privaten Versicherungsmarkt und als Booster für die Zweiklassenmedizin“ erweisen, hebt die Stellungnahme hervor.
Das Positionspapier „Einführung einer Primärarztversorgung – Gatekeeper-Modell mit hohen Risiken“ ist unter: www.hno-aerzte.de/primaerarztmodell abrufbar.
Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Berufsverband der Hals-, Nasen- und Ohrenärzte e.V. - Bundesgeschäftsstelle, Thomas Hahn, Geschäftsstellenleiter(in) Presse, Haart 221, 24539 Neumünster, Telefon: 04321 97250