Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Deutsche gehen weniger auf die Barrikaden / Statistik berücksichtigt allerdings keine Warnstreiks

(Köln) - Wenn es um Streiks und Aussperrungen geht, ist Deutschland auf den ersten Blick ein friedliches Land. Andere Staaten führen die Liste der durch Arbeitskämpfe verlorenen Arbeitstage an – allen voran Spanien und Kanada. Doch so weiß ist die deutsche Weste auch nicht, denn zahlreiche Warnstreiks trüben das Bild – nur zählt die keiner.

Gerade in Zeiten, in denen internationale Organisationen Deutschland immer wieder als kranken Mann Europas kennzeichnen, der unter einem unflexiblen Arbeitsmarkt und zu viel Bürokratie leidet, ist eines Balsam für die geschundene Seele: Der soziale Frieden gilt als „unbeflecktes“ Markenzeichen des Standorts D. Und in der Tat – gemessen an den durch Streiks und Aussperrungen verlorenen Arbeitstagen steht Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor recht gut da:

Im Schnitt der Jahre 1992 bis 2001 fielen hierzulande je 1.000 Beschäftigte jährlich gerade einmal neun Arbeitstage aus. Mit nur zwei Ausfalltagen schneiden allein Japan, Österreich und die Schweiz besser ab.

Am häufigsten auf die Barrikaden gingen in den 19 untersuchten OECD-Ländern die Arbeitnehmer in Spanien, Kanada und Dänemark:

In Spanien, wo die Gewerkschaften noch an klassenkämpferischen Ideologien hängen, kamen zwischen 1992 und 2001 im Schnitt – je 1.000 Beschäftigte gerechnet – fast 300 Arbeitstage im Jahr zusammen.

Kanada schneidet mit mehr als 180 Ausfalltagen im internationalen Vergleich ebenfalls schlecht ab. Dort streiten sich die insgesamt 800 Gewerkschaften – wie hierzulande Lokomotivführer und die übrigen Bahngewerkschafter – noch viel öfter um die Vorherrschaft auf dem tarifpolitischen Schlachtfeld.

Dänemark hat seine knapp 170 Ausfalltage in erster Linie einem zehntägigen Massenstreik im Jahr 1998 zu verdanken, als es um die tarifliche Einführung der sechsten Urlaubswoche ging. Nur durch das Eingreifen der Regierung (Zwangsschlichtung) konnte die Gewerkschaftsbasis damals zur Vernunft gebracht werden. Rechnet man diesen Effekt aus der Streikbilanz heraus, kommt Dänemark im Zehnjahresschnitt auf nur 41 Ausfalltage. Früher gehörten auch Griechenland und Italien zur Gruppe der streikfreudigsten Volkswirtschaften, was so jedenfalls nicht mehr stimmt.

Griechenland macht seit 1999 zwar offiziell keine Angaben mehr zu den durch Streiks verlorenen Arbeitstagen – deshalb fällt es aus dem Zehnjahresvergleich heraus. Doch bis 1998 schwenkten die Hellenen auch nicht häufiger die Transparente als die Dänen.

Italien hat die Tarifparteien mehrfach erfolgreich in Sozialpakte eingebunden, um die Voraussetzungen für eine Teilnahme an der Europäischen Währungsunion zu schaffen. Arbeitskämpfe sind entsprechend seltener geworden – und das bis heute.
Immer mehr Gewerkschaften haben zudem rund um den Globus ihre Kampftaktik geändert und verfahren nach dem Motto „In der Kürze liegt die Würze“: In den siebziger Jahren legte jeder Arbeitnehmer im internationalen Schnitt noch für fünf Tage im Jahr die Arbeit nieder – heute ruht lediglich an drei Tagen die Arbeit.

In einer hochgradig arbeitsteiligen Produktion bedarf es nämlich – das haben die Gewerkschaften früh erkannt – keiner lang andauernden Flächenstreiks mehr, um tarifpolitische Ziele durchzusetzen. Es reichen schon kleine Nadelstiche, bei denen Betriebe abwechselnd nur ein oder zwei Tage bestreikt werden, um den Produktionsablauf – auch in nicht bestreikten Betrieben – empfindlich zu stören und die Arbeitgeberseite „weich zu klopfen“.

Auch in Deutschland hat diese Form des Flexi-Streiks Einzug gehalten. In den neunziger Jahren hat jeder Arbeitnehmer nur noch eineinhalb Tage im Jahr die Arbeit niedergelegt – in den siebziger Jahren waren es mehr als sechs Tage.
Wer Streiks ausweicht und um des lieben Friedens willen schnell abschließt, bezahlt dafür offenbar aber hinterher einen hohen Preis: So haben „friedliebende“ Länder wie Deutschland, Japan und die Schweiz weltweit mit die höchsten Arbeitskosten.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln Telefon: 0221/49811, Telefax: 0221/4981592

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