Deutschland und Japan: Vor Reformen zurückgescheut
(Köln) - Trotz aller Unkenrufe ist Deutschland nicht von der japanischen Krankheit befallen. So kann hierzulande weder von einer geplatzten Spekulationsblase noch von einer Bankenkrise die Rede sein. Ähnlich wie in Japan herrscht allerdings eine Scheu vor durchgreifenden Strukturreformen die sind aber erforderlich, um das Wirtschaftswachstum wieder nachhaltig zu beleben.
Die prekäre Lage der deutschen Wirtschaft hat Stimmen laut werden lassen, die Bundesrepublik habe sich mit der japanischen Krankheit angesteckt. Als Beleg führen die Pessimisten zumeist die anhaltende Wachstumsschwäche in beiden Ländern an: Im Durchschnitt der Jahre 1991 bis 2002 stieg das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland gerade mal um 1,4 Prozent; Japan kam sogar nur auf ein jährliches Plus von 0,9 Prozent.
Im laufenden Jahr bilden die beiden Länder die Schlusslichter im Wachstumsranking der Industriestaaten. Während die Bundesrepublik noch auf einen geringen Zuwachs der Wirtschaftsleistung hoffen darf, muss das Land der aufgehenden Sonne wohl einen Rückgang um 0,3 Prozent verbuchen. Für 2003 wird Nippon wie auch Germania allenfalls ein mageres Wachstum prognostiziert. Obwohl die wirtschaftliche Entwicklung hier wie dort Anlass zur Sorge gibt, haben die Leiden des japanischen Patienten doch größtenteils andere Wurzeln. So ließ die konjunkturelle Überhitzung in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre die Aktienkurse und Immobilienpreise in die Höhe schießen bis die Blase 1989/90 platzte und Vermögen in doppelter Höhe der japanischen Wirtschaftsleistung vernichtete. Viele Kredite wurden nicht mehr bedient, die Basis für eine schwere Bankenkrise war gelegt.
Mit durchgreifenden Finanzmarktreformen hätte das Schlimmste verhindert werden können. Doch die Sehnsucht der fernöstlichen Gesellschaft nach Konsens und die Furcht vor Gesichtsverlusten stand den tiefen Einschnitten entgegen. Stattdessen erklärte man die Bankenkrise zu einem konjunkturellen Phänomen, dem die Regierung mit immer neuen Finanzspritzen und einer Politik des billigen Geldes zu begegnen suchte. Letztere ließ die Realzinsen ins Minus rutschen und die Preise fallen: Von 1999 bis 2002 sanken die Verbraucherpreise in Japan um insgesamt fast 3 Prozent. Die Deflation führte in einen Teufelskreis aus schrumpfenden Einkommen und Gewinnen, wachsenden Schulden von Staat und Unternehmen, sinkenden Investitionen und Konsumausgaben sowie immer mehr Firmenzusammenbrüchen.
Deutschland muss indes nicht mit einer Spekulationsblase im japanischen Ausmaß fertig werden. Die Vermögensverluste auf Grund der Börsenflaute belaufen sich nur auf den Wert des halben Bruttoinlandsprodukts eines Jahres. Und auch von einem maroden Bankensystem kann trotz schlechter Nachrichten aus diesem Sektor keine Rede sein. Ebenso wenig spricht für eine Deflation: Nach durchschnittlich 2,4 Prozent zwischen 1991 und 2000 dürften die Verbraucherpreise in diesem und im kommenden Jahr immer noch um jeweils mehr als 1 Prozent anziehen.
Nicht zuletzt liegt auch die Staatsverschuldung mit rund 60 Prozent des BIP deutlich unter dem japanischen Wert von etwa 130 Prozent. Dass Deutschland in den vergangenen Jahren dennoch international zu den Wachstumszwergen gehörte, lag zwar auch an den unerwartet hohen Kosten der Einheit, die die Steuer- und Abgabenlast in den Folgejahren auf knapp 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen ließen. Hinzu kam Mitte der neunziger Jahre die bis heute nicht überwundene Baukrise.
Ähnlich wie in Japan ist allerdings auch die Scheu vor tief greifenden Reformen dafür verantwortlich, dass die Wirtschaft lahmt. Hierzulande gilt der harmonische Ausgleich der verschiedenen Interessen ebenfalls mehr als eine leistungsorientierte, wachstumsfördernde Wirtschaftsordnung. Gerade deshalb wurde die deutsche Volkswirtschaft von den jüngsten konjunkturellen Stürmen viel härter gebeutelt als die meisten anderen Industrieländer.
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