Effektivlöhne: Der Spielraum schrumpft
(Köln) - Zwar ging es bei den Tariflöhnen seit 1995 nicht mehr so steil bergauf wie in den achtziger Jahren. Doch für viele Unternehmen war selbst das bescheidenere Plus noch ein zu schweres Päckchen sie kehrten dem Flächentarifvertrag den Rücken oder mussten freiwillig gewährte Zulagen kürzen. Die Effektivlöhne sind daher in einigen Branchen nicht so stark gestiegen wie die Tarifentgelte.
Als vor einigen Monaten mal wieder die Lohnverhandlungen vor der Tür standen, begründeten die Gewerkschaften ihre zum Teil üppigen Forderungen mit der Zurückhaltung, die sie seit einiger Zeit geübt haben. Und tatsächlich drückten die Tarifpartner zuletzt längst nicht so stark auf die Lohntube:
Stiegen die Tariflöhne in Westdeutschland Mitte der achtziger und Anfang der neunziger Jahre pro Jahr im Schnitt um 3,9 Prozent, legten sie nach 1995 quer durch alle Branchen nur um knapp 2 Prozent zu. Doch trotz der aktuellen, scheinbaren Bescheidenheit ist der Druck auf die Löhne weiterhin groß darauf deuten vor allem zwei Ventile hin, welche die Unternehmen immer weiter öffnen:
Tarifpolitik. Einige Betriebe haben sich aus dem Flächentarifvertrag verabschiedet, weil sie der dort vereinbarte Schluck aus der Lohnpulle zu teuer gekommen wäre. So sank die Zahl der tarifgebundenen Firmen im Jahr 2000 gegenüber 1995 um rund 8 Prozent.
Effektivlöhne. Um das ausgehandelte Plus bei den Salären besser verdauen zu können, haben viele der im Flächentarifvertrag verbliebenen Unternehmen den Zuwachs mit freiwilligen Sonderzahlungen verrechnet etwa mit Erfolgsbeteiligungen oder Leistungsprämien. Gemeinsam mit der sinkenden Tarifbindung sorgte das Abschmelzen der Extras dafür, dass die tatsächlich von den Unternehmen gezahlten Bruttolöhne weit geringer anstiegen, als Arbeitgeber und Gewerkschaften vereinbart hatten. Seit 1995 kletterten in Gesamtdeutschland die Effektivlöhne im Jahresdurchschnitt um 1,3 Prozent knapp 0,8 Prozentpunkte weniger als die Tariflöhne.
Allerdings wurden recht unterschiedliche Wege beschritten, wie ein Blick auf die wichtigsten Branchen der alten Bundesländer zeigt:
Finanzdienstleister. Als einzige schwammen die Banken und Versicherungen bis vor kurzem gegen den Strom und gewährten einen höheren Zuschlag, als ursprünglich ausgehandelt. Ihre Mitarbeiter durften sich seit 1995 über einen Anstieg der Effektivlöhne um jeweils 18 Prozent freuen, während tariflich nur 12,8 bzw. 12,2 Prozent vorgesehen waren. Industrie. Sie gibt in Westdeutschland kein einheitliches Bild ab. Die Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie schoben ihre tatsächlich ausbezahlten Saläre und die Tariflöhne im Gleichschritt an. Dagegen tat sich in der Chemischen Industrie, aber vor allem in der Druckindustrie, ein erhebliches Gefälle auf. Die Fachleute an den Druckmaschinen beispielsweise erhielten effektiv 6 Prozent mehr geeinigt hatten sich die Tarifpartner auf einen jährlichen Zuschlag von knapp 15 Prozent.
Handel. Groß- und Einzelhandel ließen seit 1995 recht einmütig Luft aus der angespannten Lohntüte: Obwohl beide in Sachen Tarif-Plus noch die Spitzenplätze unter den zehn untersuchten Branchen einnehmen, finden sie sich bei den Effektivlohn-Steigerungen nur im Mittelfeld wieder. Selbst im Baugewerbe, wo sich die Sozialpartner angesichts der anhaltenden Strukturkrise mit Salärzuwächsen eher zurückgehalten hatten, mussten die Unternehmen freiwillige Wohltaten kürzen. Dass die Betriebe gezwungen sind, sich durch das Ventil langsamerer Effektivlohn-Anstiege Luft zu verschaffen, sollte auch bei kommenden Tarifrunden nicht vergessen werden: Etwas mehr Bescheidenheit könnte den Druck auf die Effektivlöhne sicherlich mindern und würde den Unternehmen den Verbleib im Flächentarifvertrag erleichtern.
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