Gesundheitsreform: Ringen ums Rezept
(Köln) - Seit der Bundestagswahl vor einem Dreivierteljahr ist das Gezerre um das deutsche Gesundheitswesen in vollem Gange. Nun endlich setzen sich Regierung und Opposition an einen Tisch, um den vielen Worten demnächst Taten folgen zu lassen. Was den Experten beider Lager vorschwebt, genügt jedoch längst nicht, um den Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) deutlich zu senken.
Die Reformpläne von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt liegen schon seit einiger Zeit auf dem Tisch. In manchen Punkten zeigt sich das neuere Rezept der Opposition mutiger, doch auch sie lässt zu viele heilige Kühe ungeschoren. Was die Parteien im Einzelnen planen, und was davon zu halten ist:
Leistungskatalog. Hier hat die Ministerin den Rotstift nur zaghaft angesetzt. Aus dem Katalog streichen will Rot-Grün bisherige Kassenleistungen wie das Sterbegeld, Brillen und Kontaktlinsen, Sterilisation und künstliche Befruchtung. Summa summarum 3,1 Milliarden Euro Ausgabenersparnis umgerechnet 0,3 Beitragssatzpunkte. Außerdem sollen ab dem kommenden Jahr versicherungsfremde Leistungen wie das Mutterschaftsgeld in Höhe von zunächst 1 Milliarde Euro über die Erhöhung der Tabaksteuer finanziert werden. Weit mehr wäre möglich:
Ohne die ambulante und stationäre medizinische Versorgung im Kern anzutasten, ließen sich Leistungen im Wert von rund 24 Milliarden Euro aus der gesetzlichen Versicherung ausgliedern und der privaten Vorsorge anheim stellen.
Damit hätten die Beitragssätze im vergangenen Jahr um fast 2,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen können, was jeweils zur Hälfte Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugute gekommen wäre. Für 2004 ließe sich der durchschnittliche Beitragssatz von derzeit 14,3 Prozent mit einer umfassenden Streichliste auf etwa 12 Prozent drücken.
Um jener Marke ein Stückchen näher zu kommen, will die Regierung die Finanzierung des Krankengelds allein in die Hände der Versicherten legen allerdings unter dem Dach der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Arbeitgeber würden dann 0,35 Beitragssatzpunkte sparen, die Arbeitnehmer jedoch 0,7 Prozent ihres Bruttoeinkommens für die separate Krankengeldversicherung aufwenden müssen. CDU und CSU wollen dagegen das Krankengeld ganz den Arbeitgebern aufbürden. Damit würden die Arbeitskosten für die Unternehmen weiter in die Höhe getrieben und viele Jobs gefährdet. Ohnehin sind die Arbeitgeber durch die Entgeltfortzahlungspflicht während der ersten sechs Krankheitswochen einseitig belastet.
Ausgeklammert aus der Reformagenda bleiben die Zahnbehandlungen auch die Union will lediglich den Zahnersatz privat absichern. Andere europäische Länder haben das Gebiss schon längst komplett zur Privatsache erklärt mit großem Erfolg für die Zahngesundheit der Bevölkerung.
Zuzahlungen
Die Regierung plant etwas höhere Zuzahlungen zu Medikamenten und Krankenhausaufenthalten sowie Praxisgebühren für Facharztbesuche auf eigene Faust. Soweit richtig gedacht denn kostenbewusst verhalten sich Patienten nur, wenn sie ins eigene Portemonnaie greifen müssen. Doch die Union ist hier deutlich konsequenter: Die Versicherten sollen 10 Prozent aller von ihnen verursachten Kosten selbst tragen bis zu einer Grenze von 2 Prozent des Bruttojahreseinkommens. Einzelverträge zwischen Kassen und Ärzten. Dies ist ein Kernstück der
Schmidtschen Reform
Mit neu zugelassenen Fachärzten dürfen die Krankenversicherer künftig Einzelverträge an den Kassenärztlichen Vereinigungen vorbei abschließen. So soll Konkurrenzdruck unter den Medizinern geschürt werden. Das Gros bleibt jedoch verschont: die bereits niedergelassenen Fachärzte, alle Hausärzte sowie Zahn-, Augen-, Kinder- und Frauenärzte.
Hausarztmodell
Versicherte, die vor dem Gang zum Spezialisten ihren Hausarzt konsultieren, können nach dem Willen der Ministerin bald mit Rückzahlungen oder Beitragsnachlässen rechnen. Ein solches Verhalten spart sicher einige unnötige Ausgaben, doch wenn der Fall offensichtlich ist, verursacht das Modell Mehrkosten. So oder so wird sich der Beitragssatz wohl gerade bei 14,3 Prozent stabilisieren lassen. Denn drückende Schuldenberge und neuerliche Defizite fressen mindestens 6 Milliarden Euro des geplanten Einsparvolumens von 13,7 Milliarden Euro wieder auf.
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