Handwerkstag lehnt neue Werkrealschule ab
(Stuttgart) - Der Baden-Württembergische Handwerkstag (BWHT) lehnt das Konzept der Landesregierung zur neuen Werkrealschule ab. Mit der Zulassungsbeschränkung zur 10. Klasse werde die groß angekündigte Bildungsinnovation zum Muster ohne Wert. "Wir brauchen keine weitere Selektionsstufe, sondern eine Berufliche Werkrealschule, die der Realschule in allen Belangen gleich gestellt ist", forderte Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle.
"Was von der ursprünglich innovativen Idee übrig geblieben ist, können wir nicht akzeptieren", sagte Landeshandwerkspräsident Joachim Möhrle. Das Handwerk sei enttäuscht vom vorliegenden Gesetzentwurf, dessen Anhörungsverfahren heute (2. Juni 2009) endet. Noch im Sommer letzten Jahres habe das vom Kultusminister vorgestellte Konzept einer tatsächlich eigenständigen Werkrealschule das Handwerk auf eine grundlegende Verbesserung der schulischen Bildung hoffen lassen. Stattdessen bildeten nun wie gehabt Hauptschule und Werkrealschule eine Einheit.
Nur wer einen Notendurchschnitt von 3,0 in den Kernfächern vorweisen kann, soll die 10. Klasse der Werkrealschule besuchen dürfen. Diese neue Hürde auf dem Weg zum mittleren Bildungsabschluss bedeute eine weitere Selektionsstufe und für die Betroffenen eine erneue Stigmatisierung, sagte Möhrle. Akzeptanzprobleme für die neue Schulart seien vorprogrammiert: "Warum sollte ein Schüler, der die Realschulempfehlung besitzt, freiwillig die Werkrealschule wählen?" Die Absetzbewegung hin zu Realschule und Gymnasium - in denen es diese Notenhürde vor der Abschlussklasse nicht gibt - werde weiter zunehmen. Ziel der neuen Werkrealschule müsse jedoch gerade eine gegenüber der alten Hauptschule deutlich höhere Akzeptanz bei Schülern, Eltern, Lehrkräften und vor allen Dingen auch bei den Betrieben sein.
Von der stets propagierten Gleichwertig der Abschlüsse an Realschule und neuer Werkrealschule könne ohnehin nicht Rede sein, so lange die beiden Schularten bei der Grundschulempfehlung nicht gleich behandelt würden und auch beim Übergang in weiterführende allgemeinbildende Schulen vom Werkrealschüler bessere Noten verlangt würden als vom Realschüler, kritisierte Möhrle. Wer im übrigen glaube, Kinder in so genannte praktisch und theoretisch Begabte aufteilen zu können, der müsste konsequenterweise für die absolut berufspraktisch orientierte Werkrealschule auch genau diese Begabungen für einen Notendurchschnitt heranziehen. Wenn laut PISA die Hälfte der baden-württembergischen Hauptschüler nicht ausreichend lesen, rechnen und schreiben könne, so Möhrle weiter, so werde genau diese Hälfte künftig noch weiter an den Rand gedrängt.
Möhrle sieht die Zukunftsfähigkeit des Handwerks gefährdet, wenn keine leistungsstarken Nachwuchskräfte mehr ausgebildet werden können. Auch im neuen Ausbildungsjahr werde wieder eine hohe Zahl von Lehrstellen unbesetzt bleiben, weil es an ausreichend qualifizierten Bewerbern mangle. Der Baden-Württembergische Handwerkstag verlangt deshalb in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf eine Berufliche Realschule, die folgende Anforderungen erfüllt:
1. Sie muss ein gleichrangiges und -wertiges Angebot neben der allgemeinen Realschule sein. Sie unterscheidet sich durch eine stärkere berufliche Ausrichtung. Alle Hauptschulen werden zur "Beruflichen Realschule" (analog zum Beruflichen Gymnasium). Hauptschulen werden damit als strukturfremd entbehrlich.
2. Ziel muss der Mittlere Bildungsabschluss sein, der auf beiden Realschulen niveaugleich und anschlussgleich ist.
3. In allen Schulformen der Sekundarstufe I ist eine identische Möglichkeit eines ersten Schulabschlusses im Bereich des bisherigen Hauptschulabschlusses zu schaffen. Dies gilt für beide Arten der Realschule. Die Grundschulempfehlung beschränkt sich auf Realschule und Gymnasium.
4. Die Berufsorientierung an Beruflichen Realschulen wird gestärkt und offen ausgestaltet. Die Schüler erhalten u. a. durch Praktika Zugang zu allen beruflichen Möglichkeiten, die bezogen auf die Breite der Wirtschaft wertungsfrei angeboten werden. Damit Schüler ihre Stärken entdecken und fördern können, werden handwerklich-technische Angebote und Projekte bereits ab der 5. Klasse angeboten und nicht erst ab Klasse 9.
5. Die Berufliche Realschule ist eine verpflichtende Ganztagesschule. Auf diese Weise werden die Voraussetzungen geschaffen, damit die einzelnen Schüler individuell gefördert werden können.
6. Die Berufliche Realschule zeichnet sich durch die konsequente Umsetzung eines klaren und überzeugenden pädagogischen Konzeptes der individuellen Förderung von der 5. bis zur 10. Klasse aus. Hierfür sind entsprechende Stellschrauben bei Schulleitung, Lehrerbildung und -besoldung zu stellen.
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