Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

IGLU-Studie: Der schöne Schein täuscht

(Köln) - Bekamen deutsche Bildungspolitiker von den PISA-Forschern noch die Leviten gelesen, ließ das akzeptable Abschneiden hiesiger Grundschüler bei der IGLU-Studie die Zunft wieder aufatmen – immerhin landete Deutschland im oberen Drittel. Grund zur Erleichterung bieten die jüngst veröffentlichten Ergebnisse jedoch nicht. Zum einen sind die Untersuchungen kaum vergleichbar. Zum anderen zeigt auch IGLU eklatante Schwächen des deutschen Bildungssystems auf. Beispielsweise gelingt es den Grundschulen nicht ausreichend, die Kinder leistungsgerecht auf die weiterführenden Schulen zu verteilen.

Der PISA-Schock sitzt bei vielen Bildungspolitikern noch immer tief. Nun machen erneut vier Großbuchstaben die Runde: IGLU. Die Abkürzung steht für Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung. An ihr nahmen im Jahr 2001 weltweit rund 147.000 Schüler aus 35 Staaten teil. In Deutschland kämpften sich 10.500 Kids aus 246 Grundschulen durch die Texte. Anschließend stand der Ergänzungstest IGLU-E auf dem Stundenplan, der auch Prüfungen in Mathematik und Naturwissenschaften, Rechtschreibtests und Aufsätze einschloss.

Die Ergebnisse kommentierte die Bildungs-Zunft mehrheitlich mit zufriedenen Mienen. Erteilten doch die IGLU-Forscher den Primarschulen bessere Noten, als PISA befürchten ließ. Insgesamt erarbeiteten sich die hiesigen Grundschüler 539 Punkte – der internationale Durchschnitt liegt bei 500 Punkten. Deutschland landet unter den 35 Teilnehmer-Ländern damit auf einem passablen elften Rang.

Mit einem Platz im oberen Drittel ziehen sich die deutschen Viertklässler zwar wesentlich besser aus der Affäre als die PISA-Teilnehmer. Allerdings sind die beiden Studien nur schwer vergleichbar:

- Teilnehmerstaaten. Ein Großteil der Staaten, die bei PISA erfolgreicher als Deutschland abschnitten, schwänzte IGLU. Dafür ging eine Reihe weniger entwickelter Länder – etwa Kolumbien oder Moldawien – ins Rennen, was zum Teil für das gute deutsche Abschneiden sorgte. Werden nur die 16 Staaten, die an beiden Studien teilgenommen haben, verglichen, landen die deutschen IGLU-Probanden auf dem neunten Rang und die PISA-Teilnehmer auf dem zwölften Platz.

- Alter der Schüler. Grübelten im Rahmen der PISA-Studie noch einheitlich 15-Jährige über Mathe-, Lese- und Grammatiktests, so traten bei der IGLU-Studie ganze Jahrgangsstufen an. Weil jedoch das Alter der Einschulung zwischen den Ländern schwankt, variiert auch das Durchschnittsalter der Teilnehmer. Gerade bei Grundschülern bewirken schon wenige Monate einen großen Unterschied in der Entwicklung der Kinder. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum Lettland oder Ungarn im Vergleich zu PISA plötzlich besser als Deutschland abschneiden. In beiden Ländern waren die Getesteten mit 10,9 beziehungsweise 10,7 Jahren etwas älter als ihre deutschen Konkurrenten (10,5 Jahre). Gleichzeitig fallen Staaten mit geringerem Durchschnittsalter – etwa Frankreich, Norwegen oder Island – gegenüber der PISA-Studie zurück.

Unabhängig davon, wie die Gesamtbewertung genau ausfällt, schreiben die IGLU-Forscher dem bundesrepublikanischen Bildungswesen einige interessante Detail-Ergebnisse ins Klassenbuch:

- Hohe Lesekompetenz. Beim Lesetest haben die deutschen Teilnehmer erfreulich abgeschnitten. Zwei von drei Schülern können im Text enthaltene Sachverhalte aus dem Zusammenhang erschließen (Kompetenzstufe III und IV). Dagegen ist der Anteil der Pennäler, die lediglich gesuchte Wörter in einem Text erkennen, mit fast 10 Prozent vergleichsweise gering – im Schnitt aller Teilnehmerländer reiht sich gut jeder vierte Jugendliche in diese Gruppe der „Beinahe-Analphabeten“ ein.Allerdings kommt rund ein Drittel der Grundschulkinder in Deutschland nicht über die Kompetenzstufe II hinaus. Nach der Definition der IGLU-Forscher haben sie demnach Mühe, im Text enthaltene Sachverhalte aus dem Kontext zu erschließen. Ohne systematische Förderung der Lesekompetenz werden sie quer durch alle Fächer große Schwierigkeiten haben, Neues zu lernen.

- Homogene Schülerschaft. Am Ende der vierten Jahrgangsstufe können die Klassenbesten den Nachzüglern noch kein X für ein U vormachen, denn die Fähigkeiten schwanken eher gering. So heimsen hierzulande die leistungsstärksten 5 Prozent 221 Punkte mehr ein als die leistungsschwächsten 5 Prozent der Schüler. Lediglich fünf der 16 Länder, die an beiden Studien teilgenommen haben, bringen es auf eine geringere Spannbreite. Bei den 15-jährigen PISA-Teilnehmern weist Deutschland hingegen die größte Differenz auf.

- Soziale Herkunft. Die PISA-Studie zeigte, dass Kinder besser lesen können, wenn ihre Eltern einen Hochschulabschluss haben und öfter mal ein Buch zur Hand nehmen. Bei Grundschülern spielt die Kinderstube dagegen eine geringere Rolle. Hier liegen die Lese-Ergebnisse von Schülern aus Akademiker-Familien und die Resultate ihrer Klassenkameraden aus so genannten bildungsfernen Verhältnissen wesentlich näher beieinander.

- Geringe Aussagekraft der Zensuren. Gleiche Kompetenzen bringen den ABC-Schützen noch lange nicht die gleichen Noten ein. So zeigten insgesamt 8 Prozent der getesteten Schüler stolz die Deutsch-Note „sehr gut“ vor – doch lediglich die Hälfte von ihnen erhält auch von den IGLU-Forschern die Bestnote (Kompetenzstufe IV). Dagegen erreicht mehr als jeder Vierte mit der Deutsch-Zensur „gut“ das IGLU-Topresultat.

Welche Zeugnisse die Kids am Ende des Schuljahres den Eltern unter die Nase halten können, ist offenbar stark beeinflusst von der sozialen Zusammensetzung der Klassen, deren Gruppennormen sowie der Lernbereitschaft und Motivation ihrer Mitschüler. Das ist darauf zurückzuführen, dass in Deutschland nirgendwo verbindlich definiert ist, über welche Kompetenzen und welches Wissen Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen sollten.

Die Abwesenheit solcher Bildungsstandards hat für das dreigliedrige Schulsystem weitreichende Folgen, wie die IGLU-Studie zeigt: Lehrer empfehlen beispielsweise den Besuch der Realschule sowohl Kids, die arge Probleme beim Textverständnis haben, als auch Kindern, die Sachverhalte locker aus dem Zusammenhang erschließen. Offensichtlich gelingt es der Grundschule nicht, die Schüler in Gruppen mit gleichem Rüstzeug aufzuteilen.

Das Verhalten der Eltern trägt ebenfalls nicht dazu bei, dass die besten Grundschüler auf die weiterführenden Schulen gelangen. Arbeiter-Familien neigen nämlich eher dazu, Sprösslinge mit guten Noten an der Real- oder Hauptschule anzumelden – auch wenn sie auf dem Gymnasium besser aufgehoben wären. Schüler aus bildungsfernem Umfeld sind demnach gemessen an ihrer Leistungsfähigkeit an den Gymnasien unterrepräsentiert. Wenn aber nicht nur das Wissen und Können der Kids über den Gang zu Gymnasium, Real- oder Hauptschule entscheidet, geht der Volkswirtschaft ein Teil des Potenzials zukünftiger Leistungsträger verloren.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln Telefon: 0221/49811, Telefax: 0221/4981592

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