Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

IW Köln sieht keine wirtschaftlichen Probleme bei der EU-Erweiterung / Aber Streit um Strukturförderung erwartet

(Köln) - Ein wichtiges Türchen zum europäischen Haus ist geöffnet - die Vertreter von Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakischen und Tschechischen Republik, von Slowenien, Ungarn und Zypern haben am 16. April in Athen feierlich die Beitrittsverträge mit der EU unterzeichnet. Wenn alles planmäßig läuft, wird die EU am 1. Mai 2004 um 75 Millionen Menschen, rund 740.000 Quadratkilometer und eine Kaufkraft von fast 800 Milliarden Euro reicher. Während über die künftige Verteilung der Finanzmittel sicherlich noch gestritten wird, dürfte die Erweiterung in wirtschaftlicher Hinsicht recht problemlos über die Bühne gehen –zumal großzügige Übergangsregelungen geschaffen wurden. Die Bürger in den alten und neuen EU-Staaten fühlen sich allerdings über die anstehenden Veränderungen eher schlecht informiert.

Manche Kritiker befürchten nun, dass sich die Europäische Union an ihren Neuzugängen finanziell verheben könnte. Doch zumindest bis 2006 halten sich die zusätzlichen Verpflichtungen mit knapp 41 Milliarden Euro im Rahmen – das sind gerade mal 13 Prozent der für die gesamte EU vorgesehenen Mittel.

Dass die Aufnahme der Neulinge in die europäische Familie vorerst nicht kostspieliger wird, liegt vor allem am Agrar-Kompromiss. Die Landwirte in Ost- und Südeuropa erhalten 2004 nur 25 Prozent der üblichen Einkommensbeihilfen; erst 2013 wird der volle Zuschuss gezahlt (vgl. iwd 16/2002). Und auch sonst sollen die Ausgaben für die Agrarpolitik in den kommenden zehn Jahren im Zaum gehalten werden (vgl. iwd 46/2002). Die Karten können allerdings noch mal neu gemischt werden – denn über die mehrjährige Finanzplanung nach 2006 müssen dann 25 EU-Staaten einstimmig entscheiden.

Auseinandersetzungen dürfte es vor allem auch um die so genannte Kohäsionspolitik geben, mit der der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt in der Gemeinschaft gefördert werden soll. Dabei steht viel Geld auf dem Spiel:

Von 2000 bis 2006 sind allein für die strukturpolitische Förderung der bisherigen 15 EU-Mitglieder 212 Milliarden Euro vorgesehen. Mit 127,5 Milliarden Euro fließt der größte Teil davon in die Regionen, deren Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts erreicht.

Im Schnitt beträgt das BIP je Einwohner in den neuen Mitgliedstaaten nur 10.700 Euro und damit gerade 46 Prozent des EU-Mittels. Nach den geltenden Regeln hätten voraussichtlich 37 Gebiete in den Beitrittsländern Anspruch auf regionale Fördergelder. Zugleich würden 18 bisher unterstützte Regionen künftig leer ausgehen (vgl. iwd 26/2002). Damit ist Streit programmiert, zumal über die Förderpolitik nach 2006 noch entschieden werden muss. Deutschlands Position ist besonders prekär – einerseits möchte es als Netto-Zahler der EU die Ausgaben begrenzen, andererseits profitierten bislang gerade die östlichen Bundesländer von der Regionalförderung.

Weniger Probleme bringen dürften dagegen die wirtschaftlichen Auswirkungen der Erweiterung. In den vergangenen Jahren sind die Handelsgrenzen zwischen der Union und ihren östlichen und südlichen Nachbarn immer durchlässiger geworden. Auf importierte Industriewaren erheben die EU-Staaten keine Zölle mehr. Auch deshalb sind sie bereits heute wichtige Geschäftspartner für die Beitrittskandidaten:

Im Jahr 2001 flossen aus den meisten EU-Anwärterstaaten mehr als 50 Prozent der Exporte in die 15er-Gemeinschaft, Ungarn verkaufte sogar fast drei Viertel seiner Ausfuhren an die Länder der Union.
Umgekehrt sind auch die mittel- und osteuropäischen Märkte für die Unternehmen aus den EU-Stammländern immer wichtiger geworden. Die deutsche Wirtschaft macht da keine Ausnahme: Während die Exporte „made in Germany“ von 1993 bis 2001 insgesamt um 100 Prozent stiegen, legten die Lieferungen an die zukünftigen Nachbarn in der EU um 250 Prozent zu.

Den Firmen aus der Bundesrepublik wird es zudem zugute kommen, dass die neuen Mitglieder auch die Rechtsvorschriften der EU übernehmen. Damit können Investoren in Mittel- und Osteuropa noch besser von den dortigen Standortvorteilen profitieren – in Lettland z.B. von den Arbeitskosten von zuletzt nur 2,42 Euro je Stunde. Doch auch gut ausgebildetes Personal gehört zu den Trümpfen der EU-Anwärter.

Um den trotz aller Vorteile noch bestehenden Sorgen vor der Vergrößerung der EU zu begegnen, wurden Übergangsregelungen vereinbart. So wird es z.B. eine bis zu siebenjährige Frist geben, während der die alten Mitgliedstaaten die Zuwanderung von Arbeitnehmern aus den Beitrittsländern – außer Malta und Zypern – beschränken können. Zudem hat sich die EU 15 mit den baltischen Staaten, Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn darauf geeinigt, die nationalen Märkte für Straßentransporte erst nach einem Übergang von fünf Jahren gegenseitig zu öffnen.

Noch strenger geht Brüssel mit seinen neuen Schützlingen beim Euro um. Die Gemeinschaftswährung können die Beitrittsländer erst einführen, wenn sie die Maastricht-Hürden überspringen. Dazu darf unter anderem die jeweilige Landeswährung mindestens zwei Jahre lang maximal 15 Prozent nach oben oder unten von einem festgelegten Wechselkurs zum Euro abweichen. Auch an den Grenzen zwischen der alten und der neuen Union bricht die neue Freiheit keineswegs sofort an. Vorerst wird dort weiter kontrolliert – bis die Beitrittsländer die Anforderungen des Schengener Abkommens erfüllen. Dazu müssen sie unter anderem ihren Teil der EU-Außengrenze lückenlos überwachen und mit den übrigen Staaten der Gemeinschaft polizeilich eng zusammenarbeiten.

Während die neuen Träger des EU-Sternenbanners an solchen bitteren Pillen sicherlich zu schlucken haben, kommen ihnen dafür andere Ausnahmen zugute – z.B. in Sachen Umweltschutz. So müssen sie das Gemeinschaftsrecht bei der Behandlung von Abwässern, der Luftreinhaltung und der Abfallverwertung nicht sofort vollständig umsetzen. Auch die Finanzbeamten zwischen Tallinn und Ljubljana können noch mal durchatmen – die Mehrwert- und Tabaksteuersätze etwa können mit zeitlicher Verzögerung an das EU-Niveau angepasst werden. Und schließlich dürfen Estland, Lettland und Litauen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei den Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen durch Ausländer für sieben Jahre beschränken, Polen sogar zwölf Jahre lang.

Alles in allem ist der Boden für den Einzug der neuen EU-Bewohner gut bereitet – zumindest auf offizieller Ebene. Die Bürger diesseits und jenseits der bisherigen EU-Grenzen wissen über die anstehenden Umbauten im europäischen Haus und ihre zukünftigen Nachbarn allerdings nicht allzu viel:

Mehr als acht von zehn Briten, Portugiesen und Italienern fühlten sich im Herbst 2002 über die Erweiterung der EU kaum oder gar nicht informiert. Und fast die Hälfte der Esten und Ungarn wusste nach eigenem Bekunden wenig über die Union. Besonders groß sind die Wissenslücken auch in Bulgarien und Rumänien. Dabei sollen diese Länder 2007 ebenfalls zur europäischen Familie gehören. Quer durch den „Alten Kontinent“ gibt es also noch viel Aufklärungsbedarf, wenn sich die Europäer in einer viel größeren Gemeinschaft verstehen und wohl fühlen sollen.

Dies gilt umso mehr, als das Gebäude nach 2007 wohl noch weiter aufgestockt wird. Neben der Türkei, die bereits zu den offiziellen EU-Kandidaten gehört, hat auch Kroatien einen Antrag gestellt. Mazedonien will Ende 2003 folgen und wird sicher nicht der Letzte sein, der an die Tür klopft. Bei allem geographischen Wachstum den inneren Zusammenhalt zu bewahren, wie vom Kopenhagener Gipfel 1993 gefordert, dürfte daher künftig die schwierigste Aufgabe der EU sein.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln Telefon: 0221/49811, Telefax: 0221/4981592

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