Pressemitteilung | Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)

Kanzlerrede: Viele kleine Reförmchen

(Köln) - Der große Wurf ist dem Bundeskanzler mit seiner Regierungserklärung am 14. März nicht geglückt. Statt grundlegende Reformen vorzuschlagen, verliert sich die rot-grüne Bundesregierung in vielen kleinen Reförmchen. Bei allem Klein-Klein wagt sie aber auch einige Schritte in die richtige Richtung – nun gilt es, Tempo zu machen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner Regierungserklärung eine lange Liste von Maßnahmen vorgetragen, mit denen die Sozialsysteme entlastet, der Arbeitsmarkt reformiert und die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden sollen.

Im Einzelnen:

Finanzpolitik. Unterm Strich fällt das Schröder-Programm im Bereich der Steuer- und Finanzpolitik zu mager aus, um der Wirtschaft wirksame Impulse zu geben. Es enthält zudem Widersprüchliches: Einerseits wird durch das geplante Steuervergünstigungsabbaugesetz die Eigenheimzulage gekürzt, andererseits will der Bund der Bauwirtschaft durch ein Wohnungsbaumodernisierungs-Programm unter die Arme greifen. Die in diesem 8 Milliarden Euro schweren Programm vorgesehene Zinssenkung für Kredite dürfte überdies kaum ausreichende Anreize für Investitionen bieten, da das Zinsniveau bereits auf niedrigem Level ist.

Der Krisenbranche Bau ein bisschen Auftrieb verschaffen soll auch das vorgesehene zinssubventionierte kommunale Investitionsprogramm in Höhe von 7 Milliarden Euro. Inwieweit die hoch verschuldeten Kommunen dieses Programm allerdings abrufen werden, steht in den Sternen. Allerdings wird die angekündigte Entlastung der Kommunen bei der Finanzierung des Flutopferfonds in Höhe von 800 Millionen Euro den Gemeinden wohl etwas Luft zum Atmen verschaffen.

Kritisch muss bewertet werden, dass der Bundeskanzler sich zur Stärkung der kommunalen Finanzkraft für eine Revitalisierung der Gewerbesteuer ausgesprochen hat und damit den Ergebnissen der Gemeindefinanzreformkommission vorgreift. Dabei würden nicht nur Freiberufler in die Besteuerung einbezogen, es würde auch einer ertragsunabhängigen Besteuerung wieder neues Leben eingehaucht. Auch an anderer Stelle hat der Kanzler wenig Mut gezeigt: Deutliche Impulse wären von einem Vorziehen der für 2005 vorgesehenen Steuerentlastung in Höhe von 18 Milliarden Euro ausgegangen.

Soziale Sicherung. Auf die Reform der Rentenversicherung ist der Kanzler gar nicht näher eingegangen – erst will man die Vorschläge der Rürup-Kommission abwarten.

Hoffnungsvoll stimmen einige Ansätze zur Gesundheitsreform. Das Eingeständnis, die Strategie der Kostendämpfung sei gescheitert, sowie die schonungslose Diagnose, das jetzige System fördere eine Mentalität der Selbstbedienung, legen den Finger in die offene Wunde.

Nach den Andeutungen des Bundeskanzlers müssen sich Mitglieder gesetzlicher Kassen auf höhere Selbstbehalte einstellen. Die Ratio dahinter: Wer an den Behandlungsaufwendungen spürbar beteiligt wird, fragt beim Arzt auch nach den Kosten und nimmt Leistungen sparsamer in Anspruch. Skandinavier oder Franzosen machen es den Deutschen vor (vgl. iwd 37/2002).

Ein Knackpunkt der Kanzler-Rede ist die Kürzung des Leistungskatalogs, die zu einem Beitragssatz von unter 13 Prozent führen soll. Im Umfeld der Rürup-Kommission wurde unter anderem die Ausgliederung der Zahnmedizin und des privaten Unfallgeschehens diskutiert – ein Einsparvolumen von über 2 Beitragssatz-Punkten. Hier rudert der Kanzler zurück. Lediglich das Krankengeld soll privat abgesichert, das Mutterschaftsgeld als versicherungsfremde Leistung aus dem Steuersäckel bezahlt werden.

Insgesamt bringen die vorgesehenen Maßnahmen mit rund 10,3 Milliarden Euro nur eine Entlastung von knapp 1,1 Punkten – bei einem durchschnittlichen Beitragssatz von derzeit 14,4 Prozent zu wenig, um die angepeilten 13 Prozent zu erreichen.

Ein echter Umbau ist die Verlagerung des Krankengeldes in eine private Versicherung – immerhin gaben die gesetzlichen Kassen im vergangenen Jahr 7,6 Milliarden Euro dafür aus. Die geplante Auslagerung des Mutterschaftsgeldes aus dem Leistungskatalog der Kassen hin zu einer steuerfinanzierten Lösung erweist sich hingegen als Verschiebebahnhof, der den Fiskus möglicherweise teuer zu stehen kommt. Bislang bekommen privat Versicherte ein um rund 1.000 Euro geringeres Mutterschaftsgeld als die gesetzlich versicherten Mütter. Bei einer steuerfinanzierten Lösung müssten die Leistungen angeglichen werden.

Arbeitsmarkt. Auch hier bleibt vieles Stückwerk. So konnte die Bundesregierung noch immer kein tragfähiges Konzept für die Eingliederung der rund 1,5 Millionen arbeitslosen Geringqualifizierten präsentieren.Immerhin will Rot-Grün einige überfällige Einzelmaßnahmen ergreifen, die helfen, den verkrusteten Arbeitsmarkt ein wenig aufzubrechen.

Die wohl einschneidendste Reform kündigte der Kanzler beim Arbeitslosengeld an: Bislang wird es für ältere Arbeitslose ab 45 Jahren bis zu 32 Monate lang gezahlt. Dadurch wurde vielen ein gleitender Übergang von der Arbeitslosigkeit in die Rente ermöglicht. Künftig werden sich auch Ältere verstärkt nach einer neuen Arbeit umsehen müssen, denn die Bezugsdauer soll für unter 55-Jährige auf 12 Monate, für Arbeitslose ab 55 Jahre auf 18 Monate begrenzt werden. Das sind gar nicht so wenige:

Insgesamt gibt es über 700.000 Langzeitarbeitslose, die 45 Jahre und älter sind – allerdings sind nicht alle Bezieher von Arbeitslosengeld. Gleichwohl hätte dieser Schritt größer ausfallen sollen, denn erforderlich wäre eigentlich eine Begrenzung auf einheitlich 12 Monate gewesen – wie es schon vor 1985 der Fall war. Zudem werden die Einsparungen nicht sofort wirksam, da gegenwärtig Arbeitslose Vertrauensschutz genießen dürften. Ältere Arbeitslose müssen also voraussichtlich nicht unmittelbar mit Kürzungen rechnen.

Schon länger im Gespräch ist die Zusammenlegung der steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Neu ist, dass die Regierung die Leistungen für arbeitsfähige Hilfebezieher „in der Regel“ auf dem Niveau der Sozialhilfe ansiedeln will. Bislang wurden Modelle diskutiert, in denen ein allgemeiner Zuschlag von 29 Euro pro Monat sowie ein auf zwei Jahre begrenzter besonderer Zuschlag gezahlt werden sollen. Letzterer wäre Arbeitslosen zugute gekommen, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld gerade ausgelaufen ist; dies sollte vermeiden, dass das verfügbare Einkommen für die Betroffenen abrupt absinkt.

Bei der Frage, ob die Neuregelung Arbeitsanreize verbessern kann, steckt der Teufel jedoch im Detail:

Werden die Transfers für die rund 900.000 arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger auch nur geringfügig angehoben, haben sie weniger Ansporn, einen Job anzunehmen.

Beim Kündigungsschutz ist allenfalls ein Reförmchen herausgekommen. Als Neuerung wurde angekündigt, dass kleine Unternehmen mit bis zu 5 Arbeitnehmern nunmehr befristete Einstellungen vornehmen können, ohne dass gleich für die ganze Belegschaft das Kündigungsschutzgesetz wirksam wird. Die Nützlichkeit dieser Regelung wird indes durch die starke Regulierung befristeter Beschäftigungsverhältnisse, die auf höchstens zwei Jahre begrenzt sind, in Frage gestellt. Statt Ausweichmöglichkeiten zu schaffen, wäre eher eine Reform des beschäftigungsfeindlichen Kündigungsschutzes selbst notwendig gewesen – etwa durch eine Anhebung der Schwellenwerte.

Bei der besonders problematischen Sozialauswahl sollen die Kriterien künftig auch zwischen Betriebsleitung und Arbeitnehmervertretung vereinbart werden können, so dass Leistungsträger im Unternehmen gehalten werden. Ob dies wirklich zu einer Verbesserung gegenüber der gesetzlichen Regelung führen wird, ist aber keineswegs sicher. Möglicherweise sind die Kriterien dann noch restriktiver und umfangreicher als die jetzt geltenden (Alter, Betriebszugehörigkeit, Familienstand, Arbeitsmarktchancen).

Eine kleine Zugabe hat der Kanzler noch für die Existenzgründer vorgesehen. Sie sollen befristete Arbeitsverhältnisse für maximal 4 Jahre abschließen dürfen. Doch auch das ist nur eine Notmaßnahme. Besser wäre es gewesen, die Befristungsmöglichkeiten gleich grundlegend zu liberalisieren.

Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln Telefon: 0221/49811, Telefax: 0221/4981592

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