Krankenversicherung "gesundgerechnet" / Vorschaltgesetz bringt weniger Einnahmen
(Köln) - Das so genannte Vorschaltgesetz soll der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in diesem Jahr eine Entlastung von 3 bis 3,5 Milliarden Euro bescheren. Doch die Bundesregierung hat ziemlich optimistisch gerechnet. Tatsächlich werden wohl nur 2,2 Milliarden Euro zusammenkommen. Damit stehen die nächsten Beitragssatzerhöhungen vor der Tür.
Gesundheitsministerin Ulla Schmidt griff gegen Ende letzten Jahres zu einem drastischen Mittel. Sie verbot den gesetzlichen Krankenkassen einfach, 2003 die Beiträge zu erhöhen. Der Schuss ging nach hinten los, denn AOKs, Ersatzkassen, BKKs und IKKs reagierten prompt noch im Dezember. Allein dadurch zahlt seit Jahresbeginn über die Hälfte der gesetzlich Krankenversicherten höhere Beiträge. Der durchschnittliche Beitragssatz kletterte auf 14,4 Prozent ein gutes Jahr zuvor hatte er noch bei 13,6 Prozent gelegen.
Eine andere Wahl, als an der Beitragsschraube zu drehen, blieb den Kassen nicht. Denn sie schrieben 2002 tiefrote Zahlen, im Budget klaffte ein geschätztes Loch von 2,5 Milliarden Euro. Im Gegensatz zu den Einnahmen entwickelten die Ausgaben eine beängstigende Dynamik. Sie schossen im vergangenen Jahr je Mitglied im Schnitt um 3 Prozent in die Höhe, während auf der Habenseite nur Mehreinnahmen von 1 Prozent pro Kopf zu verbuchen waren.
In einzelnen Fällen werden sich Beitragsanhebungen auch in diesem Jahr kaum vermeiden lassen. Der verordnete Beitragssatz-Stopp ist nämlich Makulatur, sobald eine Kasse in eine bedrohliche Schieflage gerät eine mehrjährige Finanzierung der Ausgaben über Kredite ist gesetzlich untersagt.
Das so genannte Vorschaltgesetz wird die Krankenkassen zwar etwas entlasten, aber nicht genug. Bereits zu Jahresbeginn trat der erste Teil des Pakets, das Beitragssatzsicherungsgesetz, in Kraft; es soll etwa 3 Milliarden Euro einbringen (Tabelle). Der zweite Teil, die Festschreibung der Krankenkassen-Verwaltungskosten und Eingriffe in den Arzneimittelmarkt, würde eine weitere halbe Milliarde Euro sparen helfen, liegt aber derzeit im Bundesrat auf Eis.
Die Bundesregierung hat die Effekte ihres Gesetzeswerks alles in allem reichlich optimistisch kalkuliert. Realistischer als die veranschlagte Entlastung von 3,5 ist eine von 2,2 Milliarden Euro.
Nebenwirkungen und Gegenanzeigen ihrer Adhoc-Therapie haben die Gesundheitsreformer komplett ausgeblendet:
1. Leistungskürzungen. Theoretisch bestünde hier ein immenses Einsparpotenzial von 24 Milliarden Euro (iwd Nr. 16/2002). Die Halbierung des Sterbegelds und Kürzungen im Bereich Zahntechnik bringen jedoch nur eine knappe halbe Milliarde Euro ein, die obendrein von staatlich verursachten Zusatzausgaben fast gänzlich wieder aufgefressen wird: Der Mehrwertsteuersatz für zahntechnische Leistungen soll von 7 auf 16 Prozent steigen dies würde der GKV zusätzliche Kosten von rund 330 Millionen Euro pro Jahr verursachen.
2. Höhere Versicherungspflichtgrenze. Früher konnte sich privat krankenversichern, wer mehr als 3.375 Euro brutto im Monat verdiente. Seit dem
1. Januar besteht dieses Recht erst ab Monatseinkommen von über 3.825 Euro. Auf diese Weise sollen mehr Beitragszahler an die gesetzlichen Kassen gekettet werden. Die erhofften Mehreinnahmen von 200 bis 300 Millionen Euro dürften allerdings nur ein Hoffnungswert sein. Denn viele von denen, die durch die höhere Wechselgrenze gehalten werden sollten, hatten der GKV schon im vergangenen Jahr adieu gesagt, weil ihnen durch die zusätzliche Anhebung der Bemessungsgrenze üppigere Beiträge blühten.
3. Arzneimittelrabatte. Die Daumenschrauben bei den Medikamentenausgaben anzusetzen, versuchen Gesundheitspolitiker fast alljährlich, zuletzt 2001 und 2002. Freilich ohne Erfolg: Die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneien stiegen 2002 um rund 5 Prozent und damit deutlich stärker als die meisten anderen Posten. Viel spricht dafür, dass auch die für 2003 kalkulierten Einsparungen von 1,4 Milliarden Euro durch die neue Rabattverordnung zu hoch gegriffen sind.
4. Nullrunde. Für Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser werden in diesem Jahr die Vergütungen eingefroren. Den Praxen und Kliniken entgehen dadurch 660 Millionen Euro Umsatz; Personal- und Sachausgaben steigen derweil unaufhaltsam weiter. Mittelfristig könnte sich die Nullrunde somit als Bumerang erweisen Ärzte und Krankenhäuser haben bislang noch immer Mittel und Wege gefunden, auf ihre Kosten zu kommen.
Quelle und Kontaktadresse:
Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW)
Gustav-Heinemann-Ufer 84-88
50968 Köln
Telefon: 0221/49811
Telefax: 0221/4981592