Marburger Bund weist DIW-Bericht zurück
(Berlin) - In seinem Wochenbericht Nr. 34 hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die Arbeits- und Einkommenssituation junger Ärzte als weniger dramatisch bezeichnet als berichtet. In einem Schreiben an den Präsidenten des DIW kritisierte der 1. Vorsitzende des mb, Dr. Frank Ulrich Montgomery, diesen Bericht als "Konglomerat aus schlechter Recherche, Aneinanderreihungen unvollständiger Daten und falscher Behauptungen sowie absurden Schlussfolgerungen."
Das Schreiben im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Prof. Zimmermann,
mit großer Verwunderung habe ich Ihren Wochenbericht Nr. 34 über die Arbeitssituation junger Klinikärzte gelesen, der wegen falscher Aussagen, unvollständiger Datenerhebung und zynischer Äußerungen, die einem empirischen Anspruch nicht gerecht werden, nicht unbeantwortet bleiben darf.
Zunächst ist nicht nachvollziehbar, weshalb in Ihrem Wochenbericht und in der entsprechenden Pressemitteilung vom 24. August 2005 der Eindruck erweckt wird, dass die Situation junger Ärzte in Deutschland weniger dramatisch sei als berichtet, gleichzeitig jedoch darauf hingewiesen wird, dass das durchschnittliche reale Monatsnettoeinkommen von Ärzten unter 35 Jahren in der Zeit von 1993 bis 2002 um ganze 7,5 Prozent sank. Des Weiteren so Ihre Aussage hätten andere im öffentlichen Dienst beschäftigte Akademiker dieser Altersgruppe im selben Zeitraum einen Lohnzuwachs von drei Prozent, die Gesamtheit aller Erwerbstätigen sogar einen Lohnzuwachs von sechs Prozent zu verbuchen. Die von Ihnen dargestellten Gehaltseinbußen junger Ärzte bezeichne ich als dramatisch.
Der Autor des Wochenberichts versucht diese Einbußen mit einem Vergleich zur negativen Einkommensentwicklung von Gymnasiallehrern (-3,5 Prozent) zu relativieren. Mit Verlaub, wer aber den Arztberuf mit dem des Lehrers vergleicht, der vergleicht Äpfel mit Birnen. Denn mir ist nicht bekannt, dass Lehrer ebenso wie Krankenhausärzte Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienste und millionenfache Überstunden leisten müssen. In diesem Zusammenhang erscheint auch die erwähnte Wochenarbeitszeit junger Ärzte in Höhe von 46,3 Stunden, die der Autor als keineswegs aus dem Rahmen fallend bezeichnet, mehr als fragwürdig. Nach einer Erhebung des Marburger Bundes leisten Krankenhausärzte jährlich rund 50 Millionen Überstunden im Wert von einer Milliarde Euro, die überwiegend nicht registriert und vergütet werden. Allein die Berliner Universitätsärzte leisten nach eigenen Angaben monatlich etwa 85.000 Überstunden, die gar nicht vergütet werden. Hinzu kommen unzählige Bereitschaftsdienste, die zum Teil illegal sind und offiziell nicht erfasst werden. In einer aktuellen Umfrage unter 2.500 bayerischen Krankenhausärzten beklagt jeder zweite die Nichtumsetzung des Arbeitszeitgesetzes, das eine tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden vorsieht. 70 Prozent der Befragten werden nach einem Bereitschaftsdienst angehalten, einen weiteren Tagesdienst zu leisten.
Entsprechende Untersuchungen verschiedener Landesbehörden und Ärztekammern kommen zu identischen Ergebnissen. Eine Untersuchung der Technischen Universität Berlin zeigt, dass über 60 Prozent der Berliner Krankenhausärzte mehr als 60 Stunden in der Woche arbeitet. Es stellt sich an dieser Stelle die dringliche Frage, weshalb der Autor diese Fakten in seinem Bericht nicht berücksichtigt hat.
Nahtlos anschließend an der oben beschriebenen tatsächlichen Arbeitssituation der deutschen Krankenhausärzte sind auch die DIW-Berechnungen hinsichtlich des monatlichen Nettoeinkommens und des Stundenlohnes von Ärzten zu kritisieren. Junge Ärzte im öffentlichen Dienst verdienen demnach netto monatlich im Mittel 2.009 Euro, pro Stunde sollen es 10,80 Euro sein. Hätte sich der Autor die Mühe einer empirisch anständigen Recherche gemacht und die tatsächliche Arbeitsleistung inklusive Bereitschaftsdienste, Überstunden, der zwangsweise in der Freizeit zu erbringenden Forschungstätigkeit sowie der bereits umgesetzten Einkommenskürzungen für Ärzte durch die Politik berücksichtigt, dann käme er zum erstaunlichen Resultat, dass der Stundenlohn eines jungen Arztes in Wirklichkeit unter dem der Putzfrau in der Klinik liegt. Auch die erwähnte Perspektive einer Niederlassung mit besserer Vergütung ist mit größter Vorsicht zu genießen, hat doch der Gesetzgeber mit der Niederlassungssperre dazu beigetragen, dass der Arbeitsplatz Krankenhaus immer öfter Lebensarbeitsplatz bleibt.
Ärgerlich sind darüber hinaus falsche Aussagen im Wochenbericht des DIW. Der Autor behauptet, dass eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 auf 42 Stunden im Gespräch sei. Richtig ist vielmehr, dass bereits mit der erfolgten Kündigung des entsprechenden Tarifvertrages durch die Tarifgemeinschaft deutscher Länder zum 30. April 2004 diese Arbeitszeiterhöhung Realität ist. Aufgrund der Tatsache, dass die überwiegende Mehrzahl der jungen Klinikärzte lediglich befristete Verträge besitzt, existiert im Prinzip auch kein Bestandsschutz, da Neuverträge automatisch zu den schlechteren Konditionen abgeschlossen werden.
Darüber hinaus behauptet der Autor, dass in Fragen der Vergütung, Mediziner gegenüber Absolventen anderer Studiengänge mit Staatsexamen wie Jura oder Philologie, bei denen die dem Arztpraktikum entsprechende Referendarszeit beibehalten worden sei, sogar bevorzugt seien. Auch in diesem Fall wäre der Öffentlichkeit bei einer fundierten Informationsbeschaffung über den Ablauf der Arztausbildung diese Aussage erspart geblieben. Nach wie vor müssen angehende Ärzte eine praktische Zeit absolvieren, nämlich das sogenannte Praktische Jahr (PJ), für das sie im Gegensatz zu den erwähnten Staatsexamenskollegen gar keine Vergütung erhalten.
Kaum mehr zu ertragen sind die teilweise zynischen Schlussfolgerungen, die der Autor zieht. Er behauptet, dass die niedrigen Gehälter zu Beginn der beruflichen Laufbahn von Ärzten mit den erheblichen Kosten des Medizinstudiums gerechtfertigt werden könnten. Es ist m.E. nicht Schuld der Ärzte, dass deren Ausbildung relativ teuer ist. Weshalb sollten sie dann mit niedrigem Gehalt dafür bestraft werden? Setzt man zudem die Ausbildungskosten in Verhältnis zur verantwortungsvollen Leistung der Krankenhausärzte, die an 365 Tagen im Jahr, 24 Stunden am Tag nicht etwa Wochenberichte schreiben, sondern mit ihrer Heilkunst über Leben und Tod entscheiden, sich um die Heilung und Genesung kranker Menschen kümmern, dann behaupte ich, dass die Ausbildungskosten zu rechtfertigen sind und Ärzte für gute und harte Arbeit gute Einkommen verdient haben.
Bei der Bewertung der Einkommen junger Ärzte kann auch berücksichtigt werden, dass die Mediziner ein hohes Sozialprestige genießen..., schreibt der Autor. Mit anderen Worten: Weil Ärzte gute Arbeit leisten und aufgrund ihrer verantwortungsvollen Aufgabe bei der Bevölkerung beliebt sind, können sie ruhig weniger verdienen.
Den Vogel schießt der wissenschaftliche Bericht mit Schlussaussagen ab, wonach der Arztberuf weiterhin als attraktiv eingestuft werden könne, wonach keine Evidenz (!!!) für eine arbeits- oder einkommensspezifische Ausbeutung junger Klinikärzte abgeleitet werden könne und wonach als Lösungsvorschlag zum Ärztemangel tatsächlich die Anwerbung von Ärzten aus Osteuropa vorgeschlagen wird.
Sehr geehrter Herr Prof. Zimmermann, ich verkneife mir eine schonungslose Bewertung dieses Konglomerats aus schlechter Recherche, aus Aneinanderreihungen unvollständiger Daten und falscher Behauptungen sowie aus absurden Schlussfolgerungen. Ich biete Ihnen jedoch bei der Anfertigung weiterer Berichte zu diesem Themenbereich die Hilfe und Unterstützung des Marburger Bundes an.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery
Quelle und Kontaktadresse:
Marburger Bund - Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands e.V. - Bundesverband
Athanasios Drougias
Reinhardtstr. 36, 10117 Berlin
Telefon: 030/7468460, Telefax: 030/74684616