Patient Pflegeversicherung ernsthaft krank / BVR drängt auf Reform der Pflegeversicherung
(Berlin) - Die Pflegeversicherung in ihrer jetzigen Gestaltung steht vor dem finanziellen Aus. Dies erklärt der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) in seinem jüngsten Konjunkturbericht. Es drohten massive Beitragserhöhungen. Ein System, das seit 1999 rote Zahlen schreibe und von seinen Rücklagen zehre, sei nicht lebensfähig, so der BVR. Die Reform der Pflegeversicherung sei die dringendste unter allen gebotenen Sozialversicherungsreformen, sie sei allerdings auch am einfachsten möglich.
Koalitionsvertrag geht nicht weit genug
Die demografische Entwicklung in Deutschland erfordere eine grundlegende Umgestaltung der Pflegeversicherung. Während im Jahr 2000 100 Menschen zwischen 20 und 65 Jahren noch 26 Personen gegenüberstanden, die 65 Jahre oder älter waren, stehen sie im Jahr 2050 schon 55 Personen ab 65 Jahren gegenüber. Da die Pflegebedürftigkeit mit zunehmendem Alter stark ansteige, übernähmen immer weniger Erwerbstätige die Hauptlast an den Pflegekosten der Älteren. Die Lösung dieses Dilemmas liegt nach Meinung des BVR in einer Umstellung vom umlagefinanzierten zu einem kapitalgedeckten Finanzierungssystem. Die im Koalitionsvertrag fixierten Pläne von CDU/CSU und SPD, das Umlageverfahren in der Pflegeversicherung durch kapitalgedeckte Elemente zu ergänzen, gehen dem BVR nicht weit genug. Eine gänzliche Umstellung auf die Kapitaldeckung sei notwenig.
Bei dieser ordnungspolitisch sauberen Lösung würde, so der BVR, der Versicherungsbeitrag einen Sparbetrag enthalten, der die tendenziell im Alter eintretenden Leistungen decken soll. Jeder Versicherte betreibe damit eine Eigenvorsorge durch versicherungsmathematisch kalkulierte Prämien. Die Pflegeversicherung sei noch relativ jung, so dass die Umstiegskosten sich in Grenzen halten würden. Umstiegskosten fielen zum einen an, da das laufende Umlagesystem weiterfinanziert, beziehungsweise Ältere unterstützt werden müssten, da sie den versicherungsmathematisch kalkulierten Beitrag kaum tragen könnten, zum anderen entstünden Kosten auch durch den Aufbau von Kapital für die Jüngeren. Je nach Ausgestaltung der Umstellung würden die Beiträge in der Übergangszeit zwar steigen, anschließend aber niedriger sein als im gegenwärtigen System.
Abkopplung der Beiträge von den Lohnzusatzkosten
In der sozialen Pflegeversicherung sind die Leistungen ebenso wie in der Gesundheitsversicherung nicht einkommensabhängig. Durch ein System einkommensabhängiger Beiträge kommt es zu einer Umverteilung, die nicht dem Wesen einer Versicherung entspricht. Dazu gehört auch die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen. Diese Umverteilung soll nach Meinung des BVR aus dem System herausgenommen werden, um die Beitragsbelastung zu reduzieren. Eine Umstellung auf die Erhebung von einkommensunabhängigen Prämien sei sinnvoll. Dabei solle der Arbeitgeberbeitrag stufenweise reduziert und die gesetzliche in eine private, von den Versicherten selbst zu tragenden Pflichtversicherung überführt werden. Ein sozialer Ausgleich habe über das Steuersystem zu erfolgen: Bedürftige müssen eine Unterstützung zur Prämie erhalten.
Diese Korrekturen trügen dazu bei, den Keil zwischen den Arbeitskosten der Arbeitgeber und dem Nettoverdienst der Arbeitnehmer zu verringern. Dadurch würde Schwarzarbeit zurückgedrängt. Außerdem verminderte sich die Tendenz, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung durch Beschäftigungsverhältnisse zu ersetzen, die wie beispielsweise Minijobs weniger durch Abgaben belastet sind. Würden die Lohnzusatzkosten gesenkt und von der Entwicklung der Kosten im Gesundheits- und Pflegebereich abgekoppelt, käme es zu Entlastungen bei den in Deutschland im internationalen Vergleich hohen Arbeitskosten. Der Druck auf die Unternehmen, Arbeit durch Kapital zu ersetzen, also immer mehr Arbeitskräfte durch Maschinen auszutauschen oder Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, würde reduziert. Das käme besonders dem in der Regel sehr arbeitsintensiv produzierenden Mittelstand zu Gute.
Eine kurzfristige Finanzierungsquelle erhoffen sich die Koalitionäre aus der privaten Pflegeversicherung: Private und gesetzliche Pflegeversicherung bieten den gleichen Leistungsumfang an. Die Kalkulationsgrundlagen für die Beiträge der Versicherten und die Risikostrukturen sind jedoch unterschiedlich. Zum Ausgleich dieser unterschiedlichen Strukturen soll laut Koalitionsvertrag ein Finanzausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung eingeführt werden. Nach Ansicht des BVR würde mit einem solchen Vorhaben der Wettbewerb unter den Kassen komplett ausgeschaltet. Anstatt auf Marktkräfte zu setzen, die zu Effizienzsteigerungen und leistungsgerechten Beiträgen führen, würde jede Anstrengung der Kassen zur Kostensenkung und zur Anpassung ihrer Leistungen an die Bedürfnisse der Versicherten verhindert.
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