Pressemitteilung | Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA)

Präzisionsmedizin in Deutschland: Chancen werden noch nicht ausreichend genutzt

(Berlin) - Präzisionsmedizin – auch Personalisierte Medizin genannt – bedeutet, die moderne molekulare Diagnostik für passgenauere individuelle Therapieentscheidungen zu nutzen. Deutschland schöpft das Potenzial dieser Präzisionsmedizin bei weitem nicht aus, obwohl Forschung und politische Unterstützung vorhanden sind. Das zeigt der heute veröffentlichte Biotech-Report 2025 der Boston Consulting Group (BCG) und des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa). Er macht deutlich: Damit neue personalisierte medizinische Ansätze zügig bei Patientinnen und Patienten ankommen, müssen Diagnostika und Therapeutika in der Zulassung, Nutzenbewertung und Aufnahme in die Erstattung zusammen behandelt werden.

„Präzisionsmedizin hat das Potenzial, den Patientinnen und Patienten zu besseren Behandlungen zu verhelfen und das Gesundheitssystem effizienter zu machen. Dazu bezieht sie individuelle genetische und molekulare Informationen in die Diagnostik ein und setzt teilweise sogar auf speziell für den Einzelfall hergestellte Medikamente. Leider werden diese Möglichkeiten bislang in Deutschland nur unzureichend genutzt; und die Umsetzung vieler Ideen, um die Präzisionsmedizin für die Regelversorgung weiterzuentwickeln, wird anderen Ländern überlassen. Damit sich beides ändert, bedarf es der politischen Unterstützung für die Präzisionsmedizin in Deutschland. Für diese setzt der Koalitionsvertrag, der personalisierte Medizin als stategisches Forschungsfeld benennt, auch ein klares Signal“, betont Dr. Matthias Meergans, Geschäftsführer Forschungspolitik des vfa.

Mitautor Dr. Jürgen Lücke, Biotech-Experte und BCG-Partner, sieht dafür Chancen: „Präzisionsmedizin ist längst kein Zukunftsszenario mehr. Deutschland hat jetzt die Chance, zu einem führenden Standort für innovative Diagnostik und Therapie zu werden. Die Weichen dafür sind gestellt: Wichtige Initiativen wie die Nationale Strategie für Genommedizin, die Medizininformatik-Initiative oder das MASTER-Programm des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung zeigen, wie Forschung und medizinische Praxis noch enger zusammenrücken können. Um das volle Potenzial der Präzisionsmedizin auszuschöpfen, müssen wir nun sicherstellen, dass innovative Ansätze schneller bei den Patientinnen und Patienten ankommen.“

Dafür, dass die Ergebnisse der präzisionsmedizinischen Forschung auch die Regelversorgung erreichen, sehen die Autoren des Biotech-Reports insbesondere folgende fünf politische Handlungsfelder:

 Deutschland als führenden Forschungsstandort für Präzisionsmedizin stärken
 Gesellschaftliches Bewusstsein für Präzisionsmedizin fördern
 Nutzenbewertung weiterentwickeln, um innovativen Ansätzen gerecht zu werden
 Hohe Qualität diagnostischer Tests sicherstellen
 Zulassungs- und Erstattungsentscheidungen für Diagnostika und Therapeutika synchronisieren
Die Medikamente der Präzisionsmedizin

Der vfa definiert „Präzisionsmedizin“ so:

Präzisionsmedizin (auch „Personalisierte Medizin“ genannt) bedeutet, dass in die Entscheidung über die Initiierung oder Weiterführung einer Therapie ein oder mehrere diagnostische Tests einbezogen werden, die individuelle Merkmale der Patient:innen auf molekularer (inkl. genetischer) oder zellulärer Ebene charakterisieren. Sie führen zu einer nach einzelnen Patient:innengruppen (statt nur nach der klinischen Krankheitsdiagnose) differenzierten Therapie. Zusätzlich werden zur Präzisionsmedizin solche Therapien gezählt, bei denen die Individualität der behandlungsbedürftigen Person dadurch berücksichtigt wird, dass das Therapeutikum unter Verwendung von Zellen, Geweben oder Gensequenzen der Person hergestellt wird. Das erklärte Ziel der Präzisionsmedizin ist es, die Therapie individuell bestmöglich auszuwählen und zu steuern.


Dieser Definition entsprechen nach vfa-Recherchen inzwischen Medikamente mit 136 unterschiedlichen Wirkstoffen. Neun davon werden individuell aus Zellen des Patienten oder der Patientin hergestellt (beispielsweise CAR-T-Zellen); in den übrigen Fällen sind es Medikamente, deren Verordnung jeweils erst nach diagnostischem Eignungstest erfolgen soll.
Laut aktuellem Biotech-Report sind derzeit 76 % der präzisionsmedizinischen Arzneimittel Krebsmedikamente. Die übrigen werden vor allem gegen immunologische, Stoffwechsel- und neuromuskuläre Erkrankungen eingesetzt.
Ernüchternde Praxis

In etlichen Untersuchungen wurde dokumentiert, dass Patient:innen bessere Therapieergebnisse haben, wenn sie konsequent präzisionsmedizinisch behandelt wurden. Leider geschieht das bei weitem nicht überall in Deutschland. Die Gründe sind vielfältig: So mangelt es insbesondere in ländlichen Regionen an spezialisierten Fachärzt:innen und geeigneten diagnostischen Laboren. Teilweise gibt es auch finanzielle Aspekte: So ist für einige Vortests die Vergütung nur im ambulanten Bereich, nicht aber für den Einsatz in Kliniken geklärt. Und genetische Diagnostik, die über das Abprüfen des Mutationsstatus einzelner Gene hinaus geht, wird von Krankenkassen noch gar nicht im Rahmen der Regelversorgung übernommen. Dabei ist beispielsweise bei Verdacht auf angeborene Gendefekte eine Sequenzierung des gesamten Genoms angezeigt.

„Diese Praxis ist unbefriedigend für ein Land, dass im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, weltweitend führend in der Biotechnologie sein zu wollen, und dass den Anspruch hat, seine Bürgerinnen und Bürger am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen“, so Meergans.
Der Biotech-Report 2025

Der Biotech-Report „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2025“ von Boston Consulting Group und vfa geht in seinem Schwerpunktteil ausführlich auf Präzisionsmedizin als Innovationstreiber ein. Neben Kapiteln zu präzisionsmedizinischen Konzepten, Projekten und Praxiserfahrungen umreißt er das Thema auch durch Interviews mit Vertreter:innen des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums, des Hertie-Instituts für klinische Hirnforschung, des Brustkrebsmagazins Mamma Mia!, des BARMER Instituts für Gesundheitssystemforschung, des Deutschen Netzwerks für Personalisierte Medizin (DNPM) und des Verbands der Diagnostica-Industrie (VDGH).

Zudem bietet er aktualisierte Wirtschaftsdaten zur medizinischen Biotechnologie in Deutschland.

Der Report lässt sich herunterladen unter: www.vfa.de/biotech-report-2025.pdf

Quelle und Kontaktadresse:
Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), Rolf Hömke, Wirtschaftspresse, Charlottenstr. 59, 10117 Berlin, Telefon: 030 206040

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