Precht: Printmedien wirken als "sozialer Kitt"
(Köln) - Der Philosoph Richard David Precht sieht in der Vermittlung von Orientierungswissen die Kernaufgabe gedruckter Zeitungen und Zeitschriften. "Die Aufgabe von Massenmedien ist es in erster Linie, Öffentlichkeit über relevante Themen herzustellen und so als 'sozialer Kitt' zu wirken", sagte der Bestsellerautor am 12.9. auf der Jahrestagung des Bundesverbandes Presse-Grosso in Baden-Baden. Printmedien könnten dies ungeachtet vieler intelligenter Blogs besser leisten als das Internet.
Precht betonte in einer Podiumsdiskussion zum Abschluss der Jahrestagung die Unverzichtbarkeit von Printmedien für den gesellschaftlichen Diskurs auch im digitalen Zeitalter. Wesentlicher Auftrag der Zeitungen sei es, "ideologisch nicht vorformatiertes Orientierungswissen bereitzustellen". "Diese Aufgabe", appellierte er an die Verantwortlichen, "dürfen Sie nicht verspielen." Printmedien servierten ihrem Publikum auch Wissen, nach dem dieses - anders als im Netz - gar nicht gezielt gesucht habe. Vor allem "systemrelevante" Zeitungen erweiterten den Horizont der Leser. Zeitungen und Zeitschriften sprach Precht zwei wesentliche Gütekriterien zu: ihre höhere Qualitätskontrolle bei der redaktionellen Auswahl und Darstellung der Inhalte und die stärkere Förderung von Meinungsvielfalt. Gerade gedruckte Verlagsprodukte belebten mit ihren breiten Themenspektren die Meinungsvielfalt in besonderem Maße.
Precht widersprach der These, das Internet schaffe automatisch mehr Demokratie und Meinungsvielfalt. Die Meinungen seien lediglich transparenter geworden. Seiner Ansicht nach fördert das Netz eine Befestigung von Vorurteilen sowie eine digitale "Pöbelkultur". Der User bekomme mehr mit von der Meinung anonymer Leute, die zumeist "fallbeilartig ihre Meinung äußern". Die "Like- oder Dislike-Kultur" ermuntere dazu, etwas permanent zu bewerten, oft mit Empörung. Print hingegen eröffne die Chance, über das Gelesene zu reflektieren", resümierte er.
VDZ-Hauptgeschäftsführer Stephan Scherzer unterstrich die existentielle Notwendigkeit des Pressevertriebssystems für die Zukunft: "Wir brauchen das Grosso als starken Partner." Die Verlage seien für die crossmediale Vermarktung ihrer Produkte gut aufgestellt. Er rief die Verleger dazu auf, weiterhin innovative marktgerechte Produkte zu entwickeln. Das Presse-Grosso sollte seiner Auffassung nach den Fokus auf die attraktive Ansprache des Lesers im Einzelhandel legen. "Vom Kunden her denken muss die Devise sein", unterstrich Scherzer.
Rainer Esser, Geschäftsführer des "Zeit"-Verlags, sprach sich für die Absicherung des Grosso-Systems durch den Gesetzgeber aus, wenn seine Funktion für den Erhalt von Pressevielfalt ernsthaft in Gefahr sei. Er nannte das Presse-Grosso eine "Errungenschaft der Zivilgesellschaft". Da zu befürchten sei, dass es auf Grund der Marktinteressen eines einzelnen Verlagshauses gestürzt werde, müsse dann der Gesetzgeber einschreiten, "um das Fortbestehen des Systems zum Wohle der Bürger, Verlage und des Pressehandels sicherzustellen".
Der Rechtswissenschaftler Boris P. Paal, Direktor des Instituts für Medien- und Informationsrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, sagte auf dem Hintergrund des laufenden Rechtsverfahrens zwischen dem Verlagshaus Bauer und dem Bundesverband Presse-Grosso, die Gerichte müssten sich mit der Meinungsvielfalt und -pluraliät als Wert im wettbewerbs- und kartellrechtlichen Kontext auseinandersetzen. Das Kartellrecht sei zwar primär auf die Lösung ökonomischer Fragen ausgelegt. Es seien aber auch und insbesondere verfassungsrechtliche Aspekte bei der Auslegung kartellrechtlicher Normen heranzuziehen.
Michael Haller, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung der Universität Leipzig, stellte die Rolle des Presse-Grosso als "Manager der Schnittstelle zwischen Hersteller und Konsumenten" heraus. Diese wichtige Funktion dürfe nicht nur verteidigt, sondern müsse aktiv gestaltet werden. Frank Nolte, 1. Vorsitzender des Bundesverbandes Presse-Grosso, erklärte, der Pressegroßhandel werde auch in den kommenden Jahren seinen Strukturwandel aktiv und engagiert vorantreiben. In Kooperationen und Unternehmenszusammenschlüssen sähen zahlreiche Pressegrossisten geeignete strategische Instrumente zur Bündelung ihrer Kräfte, um den Herausforderungen des veränderten Printmarktes kraftvoll zu begegnen. Die Grosso-Unternehmen würden ihren Fokus künftig verstärkt auf das Einzelhandelsmarketing sowie neue Dienstleistungen legen.
Die Podiumsrunde widmete sich zudem den derzeitigen Entwicklungen der Lesekultur in Deutschland. "Es wird aktuell mehr gelesen als je zuvor, Print und online", hob Philosoph Precht hervor. Oftmals seien dies aber überwiegend Kinder der bildungsnahen gesellschaftlichen Schichten. In der Breite sei hingegen ein generelles Abnehmen der Lesekompetenz zu beobachten. Eine aktive Frühförderung im Lesen sei notwendig, die bereits frühzeitig ansetzen und den Kindesinteressen entsprechend ausgerichtet sein müsse. "Der Wille zur Bildung müsse gefördert werden", forderte auch VDZ-Geschäftsführer Scherzer mit Blick auf die sich weitende Bildungsschere. Es dürfe nicht sein, dass sich ein großer Teil der Gesellschaft aus der Bildung verabschiede. Die junge Generation könne in den Schulen und Grundschulen durch in den Unterricht integrierte Medien angesprochen werden", regte Michael Haller, Professor em. Michael Haller, Wissenschaftlicher Direktor am Institut für Praktische Journalismus- und Kommunikationsforschung der Universität Leipzig, an: Dabei benötigten die Verantwortlichen die Unterstützung aus der Branche, von Verlage und Presse-Grosso. "Mit dem Pilotprojekt Zeitschriften in die Grundschulen sei man hier in der Leseförderung den nächsten Schritt gegangen", stellte Frank Nolte das im Januar 2013 startende Leseförderungsprojekt für vierte Klassen vor. Stiftung Lesen und Stiftung Presse-Grosso regen im Zuge des Pilotprojekts mit einem zielgruppengenauen Portfolio aus Kinder- und Jugendzeitschriften junge Leser zur Lektüre an. Aber auch die Einführung eines Schulfachs Medienerziehung wäre als Ansatzpunkt zur Förderung der Lese- und Medienkompetenz denkbar.
Quelle und Kontaktadresse:
Presse-Grosso Bundesverband Deutscher Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten e.V.
Pressestelle
Händelstr. 25-29, 50674 Köln
Telefon: (0221) 9213370, Telefax: (0221) 92133744